Hin und wieder zurück: Uf dr Alb

Ich bin ein Streuner. Deshalb verstehe ich mich wahrscheinlich so gut mit Hunden. Ein Streunerprojekt für diesen Sommer: Mann, Frau, Hund zu dritt über die Alb streunern, diese kleinsten Wanderwege entlang.

Sommerurlaub. Das kannte ich viele Jahre gar nicht mehr, bis ich mir letztes Jahr nach der langen Abstinenz einen Nachmittag am Ebnisee gönnte. Dieses Jahr die volle Packung: mehrere Tage UND einen Nachmittag am Ebnisee freigenommen! Eigentlich wollte ich gern mit der Frau und dem Hund auf den Kungsleden gehen, den berühmten großen Wanderweg in Schweden. Da war nur meine Planung mal wieder zu knapp, das muss auf die nächste Mitternachtssonnenzeit verschoben werden. Aber uns gefiel der Gedanke so gut, archaisch tageweise durch die Gegend zu streunern, dass wir stattdessen auf die Alb gingen, diesen wunderbaren Brocken von der Donau zerteilten fossilen Kalkschwammriffs aus einer Zeit, in der diese Gegend ein warmes Meer bedeckte.

„Tschüss, ich bin dann mal weg, wir sehen uns in drei Tagen!“

Meine Freundin hatte noch eine andere Motivation als das Streunern: das Wesen der Bracke. Ihr Hund „Loki“ ist nämlich ein Brackenmischling. Bracken wurden dereinst dazu gezüchtet, selbständig durch den Wald zu „brackieren“, Wild aufzuscheuchen, damit ein Jäger es abschießen kann. Sie brauchten dazu eine Eigenständigkeit, die dem gemeinen Hundehalter Tränen in die Augen treibt: „Tschüss, ich bin dann mal weg, wir sehen uns in drei Tagen!“ Wenn man Erziehungstipps hört wie „Versteck dich doch einfach mal, wenn er nicht folgt, der wird dann ganz schnell unsicher und sucht dich und läuft dann nimmer so schnell weg.“, dann weiß man, wer noch nie eine Bracke erzogen hat. Versteck dich 20 Stunden lang, der Hund wird es nicht einmal wahrnehmen. Wenn ich erfahrenen Jägern erzähle, dass die Freundin eine Bracke als Haushund hält, kommt immer unter erstaunt hochgezogenen Augenbrauen: „Warum?“ Weil er in der Wohnung toll ist und sie am Anfang nicht ahnen konnte, wie viel Bracke in diesem Mischling steckt.

Was sie beschäftig, ist die „Bindung“ zwischen ihr und dem Tier. Sie hätte gern mehr davon. Ihr alter Hund verzehrte sich nach ihr. Ihr aktueller Hund kommt nicht einmal an die Tür, wenn sie nach einer Woche ohne ihn nach Hause kommt und ihn zur Begrüßung ruft. Diesem Tier ist es egal, welcher Mensch ihn füttert. Das würde Katzenhalter nicht stören, aber wer die traditionelle Sidekick-Hundefreundschaft sucht, wird hier die bedingungslose Hundeliebe vermissen, die in Sprüchen auf Kaffeetassen gelobt wird. Das verstehe ich, obwohl sie den Hund natürlich dennoch innig liebt und er sich in der Wohung beispielhaft verhält. Sie las dann einen Artikel, bei dem eine Hundefrau mit ihrem bindungsschwachen Tier eine Wandertour unternahm, die Wunder wirkte für diese „Bindung“. Das war also ihre zweite Motivation.

Wege finden

Unser geplanter Weg folgte größtenteils dem Donau-Zollernalbweg, manchmal dem Donauberglandweg und manchmal eigenen Wegen. Ich hatte mir von der Stuttgarter Sektion des DAV ein GPS-Gerät geliehen, das aber eher als Tracker nützlich war als wirklich nötig: Diese Wege sind wirklich deppensicher ausgeschildert. Was besonders älteren Damen von der Alb extrem gut gefiel: Der Hund trug sein eigenes Gepäck. Das hatten wir vorher auf einem 10-km-Shakedown ausprobiert, das Gepäckgeschirr störte ihn nicht, es scheuerte nirgends, und er hätte wahrscheinlich auch das doppelte Gewicht getragen. Im Gepäck: Trockenfutter, Schweinenasen, Ersatzleine und seine Ultraleicht-Isomatte. Insgesamt 1,8 kg, unter 10 Prozent seines Eigengewichts. Sein Wasser trug seine Herrin.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass der Hund die Strecke toll fand, nicht das Gruppenerlebnis. Wenn er den Weg alleine hätte laufen dürfen, ohne Gepäck, aber mit Fütterungsservice, wäre ihm das glaube ich viel lieber gewesen als mit uns. Wenn ich über den Hund spreche, lege ich Wert darauf, dass es nicht „mein“ Hund ist oder „unser“ Hund, sondern „ihr“ Hund. Natürlich ist diese Distanzierung eine reine Formalität, denn wir leben alle unter einem Dach, also müssen wir solange miteinander klarkommen, bis einer den Hut nimmt, und der Hund kann das mangels Selbstbestimmung schonmal nicht sein. Die Wahrheit ist: Ich verstehe Loki sehr gut. Ich fahre auch gern allein Motorrad. Da kann ich anhalten, wie ich lustig bin, also nur zum Tanken. Ich kann die blödesten Strecken fahren, Schotterpisten mit Rennreifen, keiner kann rumnölen. Aber ich bin eben ein mündiger Bürger. Der Hund hat diese Freiheiten schlicht nicht, auch schon mangels eigenen Führerscheins. Da hatte er nun also die tollsten Strecken, musste sich aber zwangsweise mit uns abgeben. Er versteht nicht, dass seine Herrin ihm ein unfassbar gutes Leben finanziert, denn das Essen kommt für ihn aus dem Schrank oder mit der Post. Er sieht nur, dass er Befehle befolgen muss. Voll unfair!

Prinzessin Rockstar geht campen

Mein erster Spitzname für das Tier war daher „Prinzessin Rockstar“, was seinen Charakter zwischen Arroganz und Neurosen gut zusammenfasst. Ich weiß nicht genau, was wir für ihn sind. Ich sehe ihn als Spielkameraden. Wir spielen am liebsten die dümmsten Hundespiele. Hin und her rennen zum Beispiel. Voll lustig. Sachen zerreißen. Raufen. Buddeln. Selina anspringen. Sowas. Selina dagegen will am liebsten so Intelligenzspiele mit Loki machen, für die ihm ehrlich gesagt einfach etwas Intelligenz fehlt. Die Lust sowieso. Und weil der Hund lieber mit mir Plüschkatzen aus dem Flughafen-Shop zerreißt als sich merkt, wo ein Leckerli im Hundepuzzle versteckt wurde, sagt Selina häufig, der Hund liebe mich viel mehr als sie. Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, es ist wie mit dem Ficken: Der Hund liebt nicht mich. Er liebt das. Das Zerreißen. Das Brackieren. Das Buddeln. Genauso mag ich das mit Hunden herumalbern, hätte aber ohne Hundefreundin niemals einen Hund. Unsere Beziehung ist daher sehr symmetrisch. Wir mögen uns beide, aber wir brauchen uns nicht. Wir sind nur über Selina überhaupt nennenswert miteinander verbunden. Vielleicht sieht diese Symmetrie von außen wie echte Freundschaft aus. Ist sie aber nicht. Muss sie auch nicht. Die Prinzessin und ich sind damit zufrieden.

Ich bin einfach kein Camper. Ich werde die Tage ohne den Lasten-Deuter auf die Alb zurückkehren und mit der Bracke dort frei rennen.

Mich beschäftigte etwas ganz Anderes: Selbst zu Fuß stellte ich fest, dass ich einfach kein Camping-Typ bin. Wenn ich diese wunderschönen Wege auf der Alb sehe, will ich die rennen und nicht wie ein LKW mit dem Rucksack da langstapfen. Mein Rucksack ist sehr, sehr gut: Deuter Aircontact. Dennoch war mit großem Doppelwandzelt und der Elektronikausrüstung (irgendwo müssen die Bilder ja herkommen) nicht einmal an leichten Trab zu denken, das hätte sofort gescheuert. Rund 18 kg wog mein Gepäck inklusive 1 l Wasser und Essen. Das sind 28 Prozent meines Körpergewichts. Erfahrene Wanderer wissen, dass das wenig Freude macht. Mir machen allerdings auch schon <10 kg wenig Spaß, denn ich merke dasselbe wie auf dem Motorrad: Von dem ganzen Schrott, den man mitschleppt wie so ein Einsiedlerkrebs, braucht man, wenn man ehrlich ist, fast nichts, am allerwenigsten auf der Alb, wo der nächste Ort nie weit entfernt liegt. Schnell hatte ich die Idee, irgendwo ein Basecamp mit dem Auto zu eröffnen und diese Wanderstrecken ohne Gepäck zu rennen. Die Freundin war zuerst nicht so begeistert. Das kann noch werden. Der Hund wäre sofort dabei. Doch zunächst campierten wir in Hausen, direkt an der Donau, denn die Bindung soll sich ja auch durch Zelten einstellen.

Zuhause darf Loki nie ins Bett. Auf der Reise sollte er mit in Selinas Schlafsack schlafen dürfen, wohl aus Bindungsgründen. Den Schlafsack hatte er also schon daheim beim Probeliegen sofort annektiert. Am Campingplatz dann legte er sich sofort hinein. Es passte recht gut, ich schlief mit dem Kopf weg von der Haarwolkenschleuder, also mit den Füßen zur Frau. Klingt unromantisch, war auch so. Das ist Selbstverteidigung gegen die Haarbombe. Selina hat so ein Wackelsensorenarmband, das ihren Schlaf in dieser Nacht angab mit: 5 Stunden Schlaf, davon 47 Minuten Tiefschlaf. Camping halt. Jedes Geräusch macht dich wach, jede streifende Taschenlampe, früh schlafen gehen geht nicht, weil jemand noch wach ist, lang schlafen geht nicht, weil jemand schon wach ist, und wenn die Sonne aufgeht, schläfst du sowieso nicht mehr lange. Wie viele Campingplätze liegt auch der in Hausen direkt an der Bahnlinie. Ich verstehe am Campen nur den Grund, dass es weniger kostet als eine Herberge.

Insgesamt liefen wir am ersten Tag knapp 20 km. Anstiege 740 m, Abstiege praktisch dasselbe, denn Start und Ziel lagen direkt an der Donau. Das reichte für einige Bettschwere. Am nächsten Tag wurden wir mit knapp 17 km und 600 m Anstiege etwas gemütlicher. Ich konnte nach der Zeltnacht noch keine Veränderung des Brackenverhaltens feststellen. Selina erzählte sogar, Loki habe sie nachts im Schlaf angeknurrt, als sie sich bewegte. Ich denke, der lose, unverbindliche Beziehungstyp, der ist einfach in seinen biologischen Anlagen ganz tief drin. Alles mit umdrehen und gucken, was wir so machen, das ist in zäher Erziehung gelernt. Von selber kam da gar nichts.

So gegen 17.00h reservierten wir ein Zimmer im Gästehaus der Mühle in Dietfurt bei Inzigkofen, die waren sehr nett. Schlafarmbändel sagte am nächsten Morgen: 10 Stunden Schlaf, fast die Hälfte davon tief. So stelle ich mir schon eher meinen Urlaub vor. Ich sehe gerade, dass Google eine Wiese oben am Wald als Zeltplatz ausweist, das wussten wir aber nicht. Ich weiß auch immer noch nicht, wen ich da fragen müsste oder ob da eine Kirschenkistenkasse steht oder was weiß ich. Wer es weiß: in die Kommentare. In Dietfurt steht auch eine Ruine, aber die gehört der Bergwacht. Keiner darf da rein. Wenn die Bergwacht da ist, kann man fragen, dann lassen sie einen manchmal, sagte ein Local. Also saßen wir abends auf der Terrasse und betrachteten die Burch von außen im Sonnenuntergang. War auch ganz schön.

Spinnen und Eriträer

Von Dietfurt gibt es einen schönen Höhenweg nach Inzigkofen, den gingen wir. Es ist sowieso interessant, wie viele schöne, kleine Wanderwege Google Maps im Fußgängermodus kennt. Ausprobieren. Unten in Inzigkofen führt dann der Hohenzollernweg durch den Park in Richtung Sigmaringen weiter. Das ist dann halt alles Bauland. Wir vermissten die schmalen Pfade. Es gab aber ein substanzielleres Problem: Der Hund hatte sich die Krallen bis fast aufs Leben abgelaufen. Also steuerten wir den Bahnhof an, zurück zum Auto fahren. „Hängen wir lieber morgen noch einen Tag Ebnisee dran“, sagte ich. Schwimmen gehen. Kein Gepäck schleppen. Wiese. Das Schloss in Sigmaringen war ganz schön, ansonsten blieb mir Sigmaringen in Erinnerung mit: viele Spinnen und Eriträer mit Boom-Box am Bahnhof.

Das mit der Bindung hat wahrscheinlich nicht wie erwünscht geklappt. Ist aber auch egal, denn ansonsten hat alles gut geklappt. Loki liebt dieses Brackieren den ganzen Tag, in unbekanntem Gelände. Wir wollen also nächstes Jahr mit ihm auf den Kungsleden gehen. Dann leihe ich mir ein leichtes Zelt. Oder vielleicht gleich biwaken, das sehen wir dann. Auf die Alb gehe ich außer mit dem Motorrad auch jederzeit wieder zu Fuß, aber nicht mehr mit Gepäck. Ich komme mir lächerlich vor, mit dem Survival-Rucksack an den Reihenhäusern vorbeizumarschieren, als wäre Weltkrieg oder Apokalypse. Wie gesagt: Wir werden zurückkommen und die Pfade entlangrennen. Das Wandern hat uns interessanterweise messbar zunehmen lassen. Die Frau wog 1 kg mehr danach, der Hund wog 1 kg mehr danach, und wenn ich mich öfter wiegen würde, hätte ich wahrscheinlich auch 1 kg mehr messen können. Wer also zunehmen möchte, dem kann ich gemütliches Wandern empfehlen, aber keinen Grund dazu geben, denn gegessen haben wir kaum mehr als daheim. Ist wahrscheinlich wie mit dem Joggen: Der Körper läuft in jeder Gangart sehr spritsparend.

Ich bleibe: kein Camper. Loki bleibt Loki. Selina bleibt Selina. Wir haben uns trotzdem lieb. Nur glaube ich, dass Selina nach allen Erfahrungen keine Bracke mehr adoptieren würde.

Kommentare:

ältere
  • Moni meinte am 21. August 2016 um 22:38:

    Wirklich sehr schöne Bilder, gefällt mir sehr gut!
    Ich freue mich auf weitere Blogs, bitte wieder mit sovielen Bildern!

  • Pit meinte am 22. August 2016 um 8:59:

    Spitze… mußte permanent beim Lesen grinsen!

  • Alexander meinte am 22. August 2016 um 12:35:

    Während meines Elsass-Trips vorletzte Woche bin ich ja auch ein paar Kilometer gewandert – in Nubuk Lederjeans und Moppedsneakern, mit einem aus der Ortlieb Tasche und ROK Straps improvisierten Rucksack. Das Equipment hat die ganze Sache zwar etwas erschwert, schee woars trotzdem. Deshalb habe ich mir die Lauferei (Schweden schwebte mir da auch vor) auch mal auf den Plan geschrieben.

  • Pete meinte am 29. August 2017 um 21:05:

    Sehr gelungener Beitrag 🙂 Sehr genial das Du auch viele Bilde geschossen hast, so kann man sich einen ganz genauen Eindruck machen. Einfach toll!

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