Es war einmal vor vielen, vielen Jahren. Genauer war es 2008, in einem schrecklich typischen April. Sonne, Regen, Hagel, Regen, Schnee, Hagel, Wolken, Sonne im Fünfsekundenwechseltakt. Es war außerdem die Zeit, in der der neu gegründete VDMT (nicht der VDMT, sondern der VDMT) seinen Tuning-waswars?-Wettbewerb? als eine Art Antiveranstaltung zum Tuner-GP von PS ausrichtete — im (wenig) schönen Oschersleben, (un-)malerisch gelegen in der Magdeburger Börde, das ist so ein Kartoffelacker, schlimmer als die Uckermark. Trotzdem ist da ja viel schöne Strecke zwischen O-live und Stuttgart gelegen, also nahm ich die Aprilia NA 850 Mana, die ich gerade total toll fand. Die Mana hört sich auf dem Papier ultralangweilig an („jaja, Automatik, geh einfach weiter, okay?“), macht aber Laune, wenn man sich den Ruck und ihr die Chance gibt. Die Mana hat außerdem einen Kofferraum da, wo sonst der Tank ist, inklusive Teppichen und einer kleinen Lampe drin wie beim Auto. In diesen Kofferraum passte problemlos die Canon 30D, die kleine Knipse, die Sony PSP, ein Buch, ein MP-3-Player und Wäsche für ein Wochenende. Klappe zu, fertig. Keine doofen Koffer, kein Rucksack, genial.
Bis hierhin ist das Märchen noch gut, ne? Fehlt nur noch die nackte Prinzessin mit vor Kälte eisenharten Nippeln. Wie bei den Gebrüdern Grimm oder noch schlimmer dem Andersen ging es allerdings von hier stracks in Richtung Verderben. Das Verderben fing mit einem Leserbrief an, den ein MO-Leser dem Leserbriefonkel (mir) schickte, in dem er sich darüber echauffierte, dass Timo ein von ihm vertriebenes Kleidungsstück nicht so toll fand wie er selbst. Es war nichtmal harsche Kritik, nur so „bietet weng wenig für das Geld“. Der Mann klagte derart eloquent, dass ich ihm zur Antwort gab: „Bub, bass uff, ich nehm jetzt dei‘ Jagge und fahr damit im Vollsiff nach Oschersleben. Und dann seh‘ ma scho.“ Erfahrene Zubehörtester packt spätestens hier das kalte Grausen, doch ich war damals jung, dumm und hoffnungslos optimistisch. Vielleicht war ich auch besoffen, das scheint mir heute wahrscheinlich. Um die ungetestete Jacke zu komplettieren, schnappte ich mir außerdem einen ungetesteten Helm. Okay, definitiv besoffen.
Der Helm war einer dieser super belüfteten Helme, die im Sommer toll sind, weil das Wetter ungefiltert durchzieht. Es war halt kein Sommer. Vor allem kriegte man ungefiltert Wasser aller Aggregatszustände in die Fresse, weil die Belüftungsöffnung einfach aus Löchern ohne die üblichen Mücken-/Wasserabscheider bestand. Zumachen ging nicht, dann beschlug das Visier. Die Jacke war … sagen wirs so: Timo hatte einfach recht, das Teil war sein Geld nicht wert. Die Reißverschlüsse waren fummelig, der Tragekomfort nicht so doll, die Außentaschen und die Ärmel liefen voll Wasser. Sie sah außerdem scheiße aus. Und sie war nicht so warm, wie ich das von meiner Reiserukka gewohnt war. Hinzus nach Oschersleben (~700 km) ging es noch. Nur wenig Schneeregen, oft durchgängig flüssiges Regenwasser, kuschlige zwei Grad Plus und mehrere Kilometer trockener Asphalt. Die Veranstaltung war für die Hühner. Das Wetter war so trostlos, dass wir die Fotos mit verrotteter Oscherslebener DDR-Industriearchitektur im Hintergrund nicht im Heft verwenden konnten, aus Angst vor einem Massenselbstmord unter der Leserschaft. Die Rückfahrt war die Hölle. Es hatte an der Rennstrecke die ganze Zeit geregnet. Die scheiß Jacke war durchgeweicht. Der scheiß Helm spuckte das Wetter ins Gesicht. Dann fing es um Oberhof rum an zu schneien. Kein Schneeregen, Schnee. Die nasse Jacke fror über. Bei Würzburg dachte ich, fährste noch mal bisi Landstraße, weil die Mana auf der Autobahn 11 Liter soff (15 passen in den Tank). Außerdem kommen einem solche Ideen halt unterkühlt logisch vor, denn kalte Gehirne funktionieren schlecht. Ich habe zum Beispiel mal kurz vor dem Erfrieren „ich bin der Anton aus Tirol“ gesungen. Jedenfalls hagelte es nach drei Kilometern in der kurzen Zeit eines Überholvorgangs die komplette Straße zentimeterhoch zu, da hatte ich dann genug, fuhr einfach auf Ankommen Autobahn.
Angekommen bin ich irgendwie. Ich weiß noch, dass ich mir sofort in schwangerenartiger Gier ein Abendessen aus purem Fett zubereitete. Eier auf Speck in Butter geschwenkt mit Käse überbacken warens. Als Gemüse rauchte ich eine Gauloises — eine rote Gauloises, weil rot wärmer aussieht. So versorgt legte ich mich in eine 60° C heiße Badewanne, in der ich auftaute, bis mein Gehirn stotternd neu startete. Als ich wieder mehr Denkleistung als für DJ Ötzi nötig zur Verfügung hatte, dachte ich zwei Dinge. Erstens: „Ich bin zu alt für den Scheiß.“ Zweitens: „Nie wieder fahr ich eine Gewalttour mit irgendwelchen Fetzen, die keinen peniblen Shakedown hinter sich haben.“
Klar, dass der Bub mit seiner Jacke und der Helmhersteller bei Verkündung meiner unter Einsatz der Gesundheit eingefahrenen Testergebnisse („scheiße“) Zeter und Mordio schrien – schön aus ihrem beheizten Sessel heraus. Es ist wurscht, welcher Helm, welche Jacke das waren, die Teile gibt es nicht mehr. Hoffentlich. Was ich mir von solchen Herstellervertretern wünsche, wäre, dass sie ihr Zeug einmal (einmal reicht) im Aprilschneeregen nach Oschersleben und zurück fahren. Danach könnte man viel sachlicher, realistischer diskutieren. Ich hingegen habe lieber mit Halvarssons diskutiert, denn die testen ihr Zeug weit im Norden oben bei -30° C auf Motorschlitten. Die Rukka-Textilsachen kannte ich schon, mit der gelben Halvarssons-Jacke fuhr ich im Winter 2008/2009 eine Alternative, die echt viel für ihr Geld bietet (zu der Jacke später nochmal mehr). Im Sommer dann war Jürgen Stoffregen von BMW zu Besuch bei MO, einen Helm vorstellen und redete auch drüber, was bei den BMW-Textilsachen so vorwärtsgegangen ist. Das brachte mich auf die Idee, diesen Winter BMW-Kleidung zu fahren, was jetzt tatsächlich geklappt hat. Aber jetzt hab ich so viel gelabert, dass ich den eigentlichen Zubehörtest (wieder im kalten Osten getestet, 1000 km!) auf morgen verschieben muss.
Immerhin hat die Geschichte eine Moral: Wenn dir der Verkäufer erzählt, seine 20-Euro-Handschuhe, ne, die fahren Russlandreisende ohne Griffheizung bei -40° C (was ich fast wortwörtlich so gehört habe), dann sag ihm freundlich, aber bestimmt, was Russlandreisende mit seiner Mutter machen und verlasse geschwind für immer seine Geschäftsräume, eventuell eine Handgranate (aber keine Sicherung) zum Abschied hinterlassend. Sollen sie alle in einer feuchtkalten Hölle vermodern. Die ich mir übrigens in etwa wie Oschersleben im April vorstelle.
Hallo,
ich bin schon etwas älter (über 40) und fange nach einigen Jahren wieder mit Motorrad an. Danke für den Bericht, jetzt weiß ich, das ich mit Streetguard 3 anfange. Denn es gilt „Nie wieder in billig Dreck frieren“.
Gruß
Stephan