Bier and Loathing: BMW S 1000 RR

Weil ich die Rennmaschine schön fand, schockierte mich das Lampenarrangement der Serienmaschine. Weil die Serienmaschine über 200 PS hat, musste ich eine Lösung für dieses ästhetische Problem finden. Ich fand sie im Suff.

„Du bist der strukturierteste Mensch, den ich kenne“, hat eine Fotografin mal zu mir gesagt. Das muss ich auch, denn hier unmittelbar am Rande des Chaos (siehe hier) in Reichweite eines wohlsortieren Schranks voll Scotch führt jeder andere Lebenswandel unweigerlich zum Absturz. Am besten illustriert sich der gesamte mathematische Sachverhalt jedoch wohl durch ein Beispiel, das ohne Formeln auskommt und selbst nüchtern noch Sinn macht: der BMW S 1000 RR.

Die Rennmaschine sieht aus jedem Winkel knackig aus mit ihrem Zackendesign. (Bild: BMW)

Als dieses Motorrad das Blitzlicht der Rennstrecken erblickte, auf denen es lange vor Verkauf seine ersten Auftritte hatte, war ich baff. Hier hatten wir einen Hersteller, der unsere Sehnerven seit Jahren rücksichtslos mit dem Karl-Dall-Blick der R 1200 GS quält, der in der Vergangenheit optische Menschenrechtsverletzungen wie die F 650 CS „Scarver“ oder die K1 begangen hat. Über die K1 sagte mir unlängst jemand „man muss sich ja mittlerweile nicht mehr schämen, K1 zu fahren“, denn wer heute eine K1 sieht, kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass eine Firma sowas mal absichtlich gemacht hat und hält die K1 für eine fahrende pointierte retrozeitgeistige Kulturkritik eines dieser sperrigen holländischen Haschkünstler. Für die Einspurtupperware Scarver indes gibt es keine Entschuldigung. Was daher auf den SBK-Rennstrecken Anfang 2009 fuhr, war etwas Ungeheuerliches: ein schick-schnittiges Motorrad mit einer durchgängig stimmigen Ästhetik, auf dem „BMW“ stand. Es war so unerwartet, als würde Angelika Merkel auf einmal etwas Intelligentes sagen. Und doch war es wahr.

Die Linie des Racers folgt einem Thema kantig blitzender Zacken, die in einem spitzgehörnten Heck enden. Das ganze Gerät wirkt wie in einem der cooleren Kreise der Hölle erdacht. Ich war entzückt. Ich bin außerdem Patriot. Nein, nix Deutschland. Bayern! Mein Geburtsland. Bayern konnte schon immer alles besser als Deutschland, wie es gelegentlich ein Länderspiel Bayern-Deutschland beweist. Bei solchen bayrischen Triumphen rufe ich immer sofort in der Heimat an, sei es nun bei Sepp Bruckschlögl, bei Walter Aust oder in diesem Fall bei BMW: „Bin positiv geschockt! Wunderbares Motorrad, sieht fies aus.“ Dann sprechen wir nach solchen Themen am Telefon abschließend immer noch über eine mögliche Nachfolge vom König Ludwig oder über die grundsätzliche Überlegenheit des bayrischen Bieres, danach freue ich mich auf den Moment, wenn ich mich anhand des fertigen Produktes an der Unterlegenheit meiner ausländischen Peers ergötzen kann. Der Moment kam, als ich wenig später eine der ersten Serienmaschinen mit 200 PS auf dem Prüfstand notierte. Aufgrund der runden Zahl ätzten die Ausländer „Schummelei“, doch jetzt, mittlerweile standen genug Serienmaschinen mit über 200 PS auf der Rolle, um ihnen allen das Maul zu stopfen. Überlegenheit für Bayern! Wie gesagt, ich hatte meinem Moment. Zerbrochen ist das alles, als ich in das Gesicht der Serienmaschine sah.

Die Serienmaschine mit ihrer Maske des Schreckens. (Bild: BMW)

Bevor ich zu dieser Maske des Schreckens komme, muss man eine fundamentale bayrische Emotion verstehen: den Wunsch nach Eigenständigkeit. Als Kind trug ich gelbe Micky-Maus-Pullis, in die Ottfried Fischer gepasst hätte und ging im Schlafanzug in die Schule — alles nur, um unverwechselbar auszusehen. Unverwechselbar gut anziehen konnte ich mich nicht, also zog ich mich wenigstens unverwechselbar bescheuert an. BMW macht dasselbe. Sie geben es sogar zu: „Wir können als BMW nicht wie eine Fireblade aussehen!“ Ich: „Aber Aprilia RSV 4.“ BMW: „Ja. Der Galuzzi, der hat es halt einfach drauf.“ Also wieder Ottfried Fischers Micky-Maus-Pulli. Der Scheinwerferschielblick von F 800 R und Co. ist ein Beispiel für dieses Verhalten. Oder jetzt das seltsam deplazierte Gesicht der S 1000 RR. Symmetrie ist ein verhaltenswissenschaftlich belegtes ästhetisches Prinzip menschlicher Wahrnehmung. Kurz umgekehrt: Asymmetrie ist tendenziell hässlich. Deshalb macht es keiner. Außer BMW. Aus dem Rahmen fallen, selbst um den Preis der Hässlichkeit. Grundsätzlich verstehe ich das. Am Fallbeispiel bin ich jedoch enttäuscht, denn das Design war so gelungen, dass sie einfach das Thema der Zacken zu zwei kantigen, böse guckenden Dämonenaugen hätten weiterführen können, statt links einen Honda-Scheinwerfer von 1995 und rechts dieses unmotivierte Baumarktbohrloch in die Frontverkleidung zu setzen. Zimmerkollege Maik, dem wir schon vor langer Zeit für eifriges propagandistisches Fahnenschwenken die bayrische Ehrenstaatsbürgerschaft verliehen haben, sagte relativierend „ich finds nicht so schlimm. Man wird sich dran gewöhnen.“ Und hier kam das strukturierte Denken ins Spiel. Also, Versuchsaufbau:

Problem:
Die BMW S 1000 RR – wird man sich dran gewöhnen?
=> Zeitrafferprinzip: Kann man sie sich schöntrinken?

Material:

  • Fotos und Erinnerungen des Motorrads
  • eine halbe Flasche Bourbon (Elijah Craig)
  • anderthalb Packungen Milch
  • Eiswürfelform
  • Eisschrank oder entsprechendes Wetter
  • Tumbler
  • eine Prise Muskatnuss
  • zwei Frauen
  • eine Katze
  • Fingerfarben

Mein Medium ist inspiriert vom klassischen Milchpunsch, den der bekannte Fuselforscher Kingsley Amis in seinem Buch „Everyday Drinking“ empfiehlt: Milch, gefrorene Milcheiswürfel, Bourbon, Brandy, Muskatnuss. Schon zu Erscheinen der HP2 Sport jedoch reduzierte ich die Rezeptur auf kältestmögliche Milch mit smoothestmöglichem Bourbon darin, was erstaunlich gut funktioniert. Jack Daniel‘s Gentleman Jack eignet sich. Oder eben der gute Reverend Elijah Craig (danke an Gernot für den Tip). Die Milch in der Eiswürfelform einfrieren, die Tumbler gleich mit in die Kälte stellen, das fertige Getränk soll maximal kalt sein. Martini-kalt. Für meine HP2-Sport-Versuche stellte ich die Tumbler gleich mit Milch und Bourbon mit rein, was als optimal gelten darf, solange man nicht drauf vergisst und alles einfriert oder – nur so als Beispiel – die Tiefkühlessensvorräte der Mitbewohnerin zwecks Raumgewinn in den Garten wirft, wo sie am nächsten Tag in der Sonne von Käfern geplündert werden. Auf das fertige Getränk eine Prise Muskat streuen, beim Gentleman Jack ersetzt etwas Kardamom die würzigeren Noten des Elijah Craig. Anstoßen. Oral einnehmen.

Das Gute an diesem Getränk: Man kann bis zu Gemischverhältnissen Bourbon-Milch von 1:1 gehen, ohne dass der Punsch zu alkoholisch schmeckt. Er ist daher beeindruckend effektiv. In meinem Testaufbau servierte ich zwei Frauen den Punsch. Die eine drapierte sich nach einem Glas auf dem Bett, die andere bekam einen Laberflash und setzte sich an den Computertisch, von dem aus die Katze unbemerkt einen Schluck vom Punsch nahm, durch die Wohnung torkelte, besoffen auf den Schrank springen wollte, natürlich scheiterte und gerettet werden musste (also die Katze jetzt). Und das war nur die erste Runde. Innerhalb kürzester Zeit konnte der Forschungsleiter (ich) also die ersten Farbtafeln richtung Bett zeigen. Er begann mit der linken Seite:
„Wie sieht das aktuell für dich aus?“
„Okay. Das ist die Honda, oder?“
„Nein. Es ist nur die Honda-Seite der BMW.“
„Oh.“
„Hier ein Bild der Front.“
„Oh Gott!“
„Hm. Mehr Milchpunsch für dich.“
Etwas später:
„Hier ein Bild der Front.“
„Mwa. Wird nicht besser.“

Applauskurve Kesselberg, irgendwann in der nächsten Regierungsperiode. (Bild: BMW)

Mehr Milchpunsch ging irgendwann aus Angst ums Bett nicht mehr. Allerdings fiel dem Forschungsleiter eine Dose Fingerfarbe ein, die aus komplexen Gründen immer griffbereit in der Schreibtischschublade liegt. Man könnte doch einfach mit leicht abwaschbarer Fingerfarbe testen, wie es wirkt, die Asymmetrie damit aufzulösen. Oder man könnte… aber da war sie schon eingeschlafen. Also rief er am nächsten Tag in der MO-Redaktion an, wo eine S 1000 RR unter Schneemassen versumpfte. Leider hatte der Testchef die Verkleidung demontiert, deshalb benutzte er statt der Realität Photoshop und ein Wacom-Zeichentablett. Wunder der Alkoholtechnik: Es geht! Man könnte also mit schwarzer Klebefolie auf billigste Weise ausreichend optische Symmetrie im Gesicht herstellen, um den Begriff „Gesicht“ für mich zu rechtfertigen. Gut, es sieht ein bisschen emo aus mit diesem Mascara, aber das soll doch gerade eh modern sein. Auf eine gewisse Weise ist die Serienverkleidung sogar schlau gemacht: Jeder, der die neue BMW viel auf der Rennstrecke fährt, wird die reinrassig zackige Rennverkleidung kaufen wollen. Deshalb werde ich, sobald ich der nächste König von Bayern bin, eine Rennverkleidung an der S 1000 RR in unserm God‘s own Country straßenlegal machen. Um der wahren Schönheit willen. Prost.

Update: Aufmerksame Leser von www.s1000rr.de schreiben mir, dass es solche Folienaufkleber schon seit Dezember ‘09 fertig konfektioniert bei Peco gibt. Klickstu hier.

Kommentare:

ältere
  • Winfried v.B. meinte am 20. August 2010 um 9:12:

    Ich mag die Front. Mittlerweile. Und das sogar nüchtern. Wenn die BmdoubleU in Racingfarben vor einem steht, sieht das sogar richtig gut aus. Die Aprilia hingegen mag ich nicht mehr so sehr. Zu Insektenhaft.

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