Was keiner will

Hallo, Leute. Wir sind unten im neuen Haus in der Einliegerwohnung. Die Vorbesitzer räumen gerade oben aus. Ende Oktober werden sie ausziehen. Der größte Stress des Umzugs ist vorbei. Ich sitze Freitags am Dorfstammtisch und strecke die Fühler nach der Feierwehr aus. Man sagte mir, Trinkfestigkeit sei wohl gefragt. Insgesamt gebe ich glaube ich ein Musterbeispiel für ländliche Integration ab. Ich möchte mich entschuldigen für meine leicht defätistische Art der letzten Zeit. Die kam einerseits aus dem Umzugsstress, andererseits aber auch aus meinen beruflichen Aussichten. Gestern habe ich mich noch einmal mit einem Kollegen unterhalten, der die Medien-Entwicklungen der letzten 30 Jahre in 10 Jahren Schnellbleiche nacherlebt – ein sehr interessantes Beobachtungsexemplar. Wir kamen an einem Punkt heraus, den wir auch ohne Gespräch kannten, der mich aber daran erinnerte, warum ich etwas erfinstert in die Zukunft blicke: Ernsthafter Fahrzeug-Journalismus ist nicht nur etwas, das niemand braucht, sondern obendrein etwas, das selbst der Leser nicht will. Wer etwas Emotionsbeladenes wie ein Auto oder gar Motorrad kaufen will, der will nicht hören, dass sein Wunsch stinkt. Wir kennen dasselbe im Gadget-Bereich genauso von Apple Computer.

Von Kritik kannst dir folglich nicht nur nix kaufen, sondern du verlierst mit jeder Kritik Leser (miss einfach einmal nach). Warum dann überhaupt so pedantisch sein? Ich behaupte, dass Kritik an Produkten regulativ wirkt, also am Ende dem Verbraucher hilft – selbst, wenn er die Kritik nicht hören wollte. Ich möchte auch Themen bringen, die keiner wirklich haben will, aber gesagt werden sollten. Daimlers Babyklau in den Foltergefängnissen Argentiniens war natürlich ein Downer. Aber das „schämt euch!“ hat halt sonst keiner in der Autoszene gebracht, obwohl es bitter nötig war. Der Text wurde bei Google ausgelistet, sehe ich gerade. Ihr findet den Text [hier], denn per Google-Suche findet man ihn nicht. Insgesamt hat sich der Verlag damit kaufmännisch keinen Gefallen getan. Trotz solcher Zähigkeiten: Mir macht meine Arbeit Freude. Deshalb glaube ich, es wird sie immer geben. Bei der Bezahlung blicke ich weniger zuversichtlich in die Zukunft. Motorjournalismus an sich ist am Sterben, und das, was mir daran Spaß macht, ist kaufmännisch unsinnig für Verlage. Man vergebe mir also meine Existenzangst, die werden viele Kollegen in der Branche teilen. Abwarten. Benzin tanken. Es hat der Laune unheimlich geholfen, die letzten Tage mit der Duke über kleinste Dünndarmschlängelsträßchen durch den wunderbar herbstlichen Herbst zu fahren mit Sturm, Blättern, Regen, Sonne und bis gestern den letzten 3/10er-Kennzeichen auf ihren Abschlussfahrten. Wir sehen uns da draußen – wenn ihr ein Ganzjahreskennzeichen fahrt.

Kommentare:

ältere
  • X_FISH meinte am 1. Oktober 2019 um 4:10:

    Ich mag Motorradtestberichte. Alle Motorräder sind darin super. Egal welche. Auch die mit Mängeln. Dafür gibt es schließlich Euphemismen.

    »Schlechte Verarbeitung« wird zu »für den Preis hochwertige Verarbeitung«. »Zu hoher Verbrauch« wird zu »den abgerufenen Fahrleistungen durchaus angemessener Verbrauch«. Ein recht teures Gefährt wird zu »für den Preis im fünfstelligen Bereich erhält man auch einen entsprechenden Gegenwert«. All time favorite: »Schlechte Sitzposition für längere Strecken« wird zu »ein idealer Urban Cruiser mit sportlich-cooler Körperhaltung«. 😀

    Es gibt also keine Kritik. Es gibt nur Verzicht auf Euphemismen. Den Verzicht muss man eben vermeiden. 😉

    Ich bin darin schlecht. »Die Straßenausleuchtung ist noch ausbaufähig« beschreibe ich mit »selbst mein 125er Roller aus den frühen 1990er Jahren hat mehr Licht auf die Straße gebracht«. Ich hab‘s einfach nicht drauf mit den Euphemismen… 😀

    • Clemens Gleich meinte am 1. Oktober 2019 um 10:29:

      Ich mag die Euphemismen nicht, weil sie missverständlich sind. Findet er das Licht jetzt okay oder nicht? Lieber gleich sagen, dass es eine unterdurchschnittlich trübe Funzel ist. Euphemismen sind auch nicht dazu da, Sprache verständlicher zu machen, sondern im Gegenteil weicher, aus sozialen Gründen. Man möchte netter kommunizieren. Vielleicht bist Du einfach nicht so nett. Ich weiß, dass ich tendenziell bös bin.

    • eugen meinte am 2. Oktober 2019 um 10:00:

      Ich finde nicht, dass du „böse“ bist, sondern ist es (für mich zumindest) einfach so, dass du (zumindest ab und zu) einfach selbstverständliche Dinge (z.B. negative Sachen beim Moppeden) auch so bezeichnest und zwar in einem zeitgemäßen und gut zu lesenden Stil. Dies mag dann oft in der Menge von Artikeln zum selben Thema mit ihrem oft mühsam ähnlichem und verkrampft positiven Inhalt auffallen, aber mir gefällt das.

    • Sebastian` meinte am 1. Oktober 2019 um 11:07:

      Mein bevorzugter Euphemismus ist glaube ich „nett“.
      „Die Sitzposition ist nett“ oder meinetwegen auch „die Verarbeitung ist nett“. und so weiter.
      Denn „nett“ ist die kleine Schwester von Scheisse.
      Gibt viele nette Motorraeder da draussen

  • Andreas W. meinte am 1. Oktober 2019 um 11:19:

    Das Thema mit der Wertschätzung von Journalismus (wie auch anderen „kreativen“ Berufen) hatten wir – meine ich – schon einmal diskutiert. Damals hattest Du noch etwas mehr Hoffnung und einen rosigeren Blick als ich, von daher finde ich es eher Schade, dass auch Dich nun die Existenzangst beschleicht.

    Nicht „schade“ sondern „schlimm“ ist hingegen die Entwicklung generell in „den Medien“ bzw. der Medienlandschaft, imho. Denn all das, was ich an Deinen Texten ausgesprochen schätze und auch achte (ein für mich sehr feiner und toller Schreibstil und eben Realität & Fakten), verliert aktuell an Bedeutung. Und wo Qualität nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium ist, da bleibt am Ende eben auch das Honorar bzw. die Anerkennung auf der Strecke.

    Ich habe gestern, nachdem ich den Text hier gelesen und mir auch wieder Gedanken zu meiner beruflichen Zukunft gemacht habe, bei Heute+ einen Bericht gesehen, der mir den Irrsinn der aktuellen Entwicklung erneut vor Augen geführt hat. Hatte nix mit Journalismus zu tun, sondern eher mit meinem „Kerngeschäft“ bzw. meiner Kernkompetenz, der Werbung / Kommunikation. Unsere tolle Bundeswehr, die sich in den letzten Jahren ja durch hervorragende Budgeteffizienz und viele sinnvoll ausgegebene Milliarden in nicht tauchende U-Boote, nicht fliegende Hubschrauber, nicht gut schießende Gewehre und in ineffiziente Berater ausgezeichnet hat, macht gerade eine neue Youtube-Reality-Serie für weibliche Rekruten (bzw. zur Akquise der selbigen). 63 Folgen à ca. 10-15 min., in denen weibliche Rekrutinnen bei ihrer Grundausbildung begleitet werden.
    Budget bzw. geplante Kosten: 7.000.000 EUR…

    Auch die Influenca (ich kann sie nicht anders schreiben, sie sind für mich eine Art „Virus“) verdienen je nach (angeblicher) Reichweite bzw. Followergemeinde zwischen 5.000 – 100.000 EUR pro Werbepost. Wenn ich mir solche Summen anschaue, sie u.a. auch mit den Honorarvorstellungen bei klassischen Werbemaßnahmen (Logo-Entwicklung, Webdesign usw.) oder eben auch gut recherchierten journalistischen Texten vergleiche, dann verstehe ich meine / unsere Branche auch nicht mehr – von den Kunden bzw. Auftraggebern ganz zu schweigen…

    Aber eine „Lösung“ für diese Entwicklung bzw. die damit einhergehenden Probleme, habe ich auch nicht. Mit „Social Media“ bzw. der „Demokratisierung der Medien“ durch das Internet haben Kommunikationskanäle & mögliche Reichweiten Einzug gehalten, die vor Jahren noch per Gesetz (u.a. Rundfunkstaatsvertrag) geregelt bzw. reguliert waren – um sie u.a. auch vor Manipulation und Zugriff durch Unternehmen, Parteien usw. zu schützen.
    All der „Corporate Content“, der heute in journalistischer Verpackung daher kommt, der letztlich aber nur PR, Werbung oder tatsächlich auch Meinungsmanipulation darstellt und alles andere als „neutral“ oder ggf. sogar „journalistisch fundiert“ ist, wird mit Unsummen an Geld gepusht. Dabei ist es egal, ob es sich um große Firmen handelt, die damit jegliche Kritik an ihren Produkten oder ihrem Gebaren im Keim ersticken wollen (weil eben deutlich höhere und gepushte Reichweite), oder z.B. auch um politische Akteure (Parteien wie einzelne Politiker), die ihre eigene Agenda unkritisch und teils auf Unwahrheiten basierend pushen.
    Propaganda rulez – sofern man eben das nötige Geld im Rücken hat…

    Eine ganz miese und für die Gesellschaften weltweit sehr gefährliche Entwicklung, imho!

    Sorry, sehr lang und wahrscheinlich schon nach dem ersten Absatz irgendwie „am Thema vorbei“ – aber irgendwie hängt es am Ende, für mich, doch miteinander zusammen…

  • Peter M meinte am 1. Oktober 2019 um 14:38:

    #beruflicheAussichten
    Ja, wenn man sich bei dwdl.de die „harte Auflage“ und den Rückgang pro Jahr ansieht, dann sieht´s finster aus!
    Zu was?
    Zu Recht!
    Mit Relotius-Journalismus, schlecht getarnten Werbeartikeln und das „hypen“ völlig nutzloser über-technisierter Motorräder haben die Red. des Motorrad-Einheits-Presse-Verlags sich selbst das Grab geschaufelt.
    Wer braucht denn bitte 230 kg schwere Enduros oder 200 PS Super-Sportler, die ohne Elektronik-Paket gar nicht fahrbar sind?
    Die neue „super“-Ténéré (700er) ist da mal die krasse Ausnahme.
    Der Trend geht nun einmal zum Internet und den dortigen Informationsmöglichkeiten…
    Oder wie BILD es so treffend formulierte: JEDER kann ein Reporter sein…BILD-Leser-Reporter.

    • eugen meinte am 2. Oktober 2019 um 9:52:

      …Mit Relotius-Journalismus, schlecht getarnten Werbeartikeln und das „hypen“ völlig nutzloser über-technisierter Motorräder haben die Red. des Motorrad-Einheits-Presse-Verlags sich selbst das Grab geschaufelt….

      Das sehe ich genauso, vielen Dank. Ich habe mir diese Heflt immer gekauft und (einigermaßen) gerne gelesen, aber seit Jahren gehe ich zur Thalia, nehm mir diese Heftn, lese sie durch und lege sich wieder zurück. Es bringts einfach nicht mehr, für diese undifferenzierten, immer gleich gehaltenen, vollkommen unkritischen und eigentlich immer langweiligeren Berichte im immer gestrigen Schreibstil Geld auszugeben. (dazu muss ich sagen, ich bin seit meiner Jugend wirklich süchtig nach Motorradzeitschriften, aber derzeit ist das einfach ein schlechter Stoff, der da abgeliefert wird.)

  • Gonzo meinte am 3. Oktober 2019 um 11:28:

    Da hilft nur ein eins: HD – Auspackvideos und Produkttests auf Youtube und Instagram unter Pseudonym. Man muss nur in einen Studenten investieren der irgendwas mit Medien macht und die Kamera hält, idealerweise gleich mitbringt.

    „Ulli v. Unterschiett“ findet die neue Royal Enfield supergeil, Ulli findet die neue retro-BMW supergeil, Ulli ist begeistert von neuen Alpine-Stiefeln die der Postbote gerade vollkommen überraschen gebracht hat.
    Vorher aber ein paar Wochen Sonnenbank und McFit, keiner will bleiche german Männchen ohne Adern aufm Bizeps abonnieren.
    Ulli findet jetzt auch den neuen Porsche Taycan Turbo super (letztens surrten gerade 4 von den Dingern voll besetzt mit hippen Japanern
    und Stuttgarter Kennzeichen zum Photo-Shooting auf unseren Stamm-Moppedtreffplatz südlich von Hamburg, den wir gerade mit einem räudigen Rudel Einzylinder-Zweitaktern luftbläuend eingenommen hatten … die dachten wohl, wir fahren hier schon alle mit Windmühlenstrom – haha am Arsch).
    Ohhh ein neues Paket mit Bartpflegeprodukten von einem männlich in s/w gehaltenen Spezialshop hat der Ulli bekommen – so weich war der Bart noch nie! Lass ihn im Fahrtwind deines neuen E-Scooters wehen, der dir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde…das Modell, auf das gerade alle scharf sind und nach dem die Suchmaschinen durchforstet werden. Bämmbämmbämm, Abos!
    Dankt mir später, ich könnte ewig so weiter machen 🙂

  • Volker meinte am 14. Oktober 2019 um 11:00:

    Interessant, daß sich trotz Niedergang der Motorpresse die Autoindustrie und ihre endosymbiontischen Anhanggebilde noch so hartnäckig halten können. Anno 2008 schaffte ich bei BeOne/WhiteBlue Kurzarbeit und bemitleidete die Kollegen, die im Vertrag 50% „leistungsabhängigen Anteil“ stehen hatten, der ihnen mangels Beauftragung/fakturierbarer Werte nun durch die Lappen ging. Und auf die restlichen 50% gabs noch 50% Teilzeitabschlag. Das muß man angesichts von Mindest- und Niedriglohnjobs als ausgebildeter Akademiker dann schon eher im Bereich „Hobby“ verbuchen und geflucht wurde damals viel über das Joch der Projektauktionen und die geschundenen Zulieferer.

    Nun, nach diversen weiteren Gängelungsmaßnahmen u. A. im Umfeld der Scheinselbstständigkeit (wo „Externe“ von zweite-Welt-Kollegen in dritte-Welt-Ghettos abrutschten), scheint sich die Lage wieder normalisiert zu haben.

    Whiteblue mußte nach gewissen Unregelmäßigkeiten zwar Insolvenz anmelden (ich habe vorher gekündigt), fand aber zumindest belegschaftsmäßig eine neue Bleibe bei Vispiron, eines der 1001 Unternehmen, derer sich die deutsche Automobilinbdustrie bedient, wenn sie billig Gewerke an Land ziehen möchte, mit dem geringsmöglichen Maß an Verantwortung.

    In dieses Fahrwasser verorte ich die Motorpresse auch, harte Fakten will – da gebe ich Dir vollkommen recht – in diesem nurmehr rein emotional belegten Thema niemand hören. Und Kritik, die einem vor Augen führt, daß man mehrheitlich seine knappe Zeit in einem zu bestenfalls 25% gefüllten Käfigfahrzeug bei rund 5% Transporteffizienz verschwendet und damit täglich durchschnittlich ein gutes Dutzend Kilometer mit unter 30km/h zurücklegt, geht halt gar nicht. Im Influenza-Bericht haben der Tank immer voll, die Straßen immer frei und die Ampeln immer grün zu sein.

    Es ehrt Dich, daß Du die Jubelperserei nicht mitmachst – aber vermutlich gibts in der V-Loggerszene genug, die das so nebenbei zur Selbstdarstellung und für ein paar Schnittchen mitmachen, es werden also noch genug süße Phrasen vom Marketingbaum geschüttelt.

    Glückwunsch zu Ganzjahres-Duke. Meine Supermoto-KTM startete vorgestern – nach Monaten der Mißachtung – natürlich auch auf den dritten Kick. Nicht vreheimlichen darf ich allerdings die vorangegangene Standardprozedur mit dem Entleeren des Vergasers (KTM hat da einen recht schönen Multitoolknochen dem Bordwerkzeug beigepackt, der sich mit SW 15-17-21-27 zumindest dafür fantastisch eignet), denn das vermutlich einzige in japanischer Auftragsfertigung für Mattighofen produzierte Teil an dieser Karre ist der Benzinhahn. Der sich dem allgemeinen Qualitätsniveau beugt und selbst in OFF-Stellug immer ein bisserl in die Schwimmerkammer tröpfelt.

    Aber, wie ich höre gibts bald keine Kipphebelrollen, Mikroölfilter, Plastikteile und Lichtmaschinenstatoren mehr für das Teil. O tempora, o mores. Aber bis dahin wird sie mich noch tadellos über die immer freien Straßen des herbstlichen Münchner Hinterland begleiten.

    Gute Fahrt!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert