Geschichten über Joey Dunlop

Es gibt für die meisten Menschen anekdotische Geschichten, die sie besser charakterisieren als jede Eigenschaftenbeschreibung. Dieses Jahr zur TT auf der Isle of Man erzählten Teamkollegen von Joey Dunlop Anekdoten über einen Freund, Kollegen, Kradisten und generell guten Menschen.

Ich hätte mich gleich nach meiner Rückkehr von der Isle of Man hinsetzen sollen und das aufschreiben, aber zuerst kommen halt mal die bezahlten Geschichten, die meine Miete finanzieren. Ich freue mich über jedwede Ergänzung, vor allem von Herrn Mayer, der beim Abendessen mit Hondas „TT Legends“ ja neben mir saß und mein Erinnerungsvermögen durch beständiges Abstellen von Alkoholika boykottierte. Was mir blieb:

Neil Tuxworth, Carl Fogarty, John McGuinness, Linda Dunlop, Nick Jefferies, Phillip McCallen, Ron Haslam, Roger Burnett, Michael Rutter (vlnr)
Roger Marshall (?), Carl Fogarty, John McGuinness, Linda Dunlop, Nick Jefferies (hinten), Phillip McCallen, Ron Haslam, Roger Burnett, Michael Rutter (vlnr)

 

Die Vergaser auf der Mauer

„Eine Geschichte charakterisiert Joey vielleicht wie keine andere“, erzählt Neil Tuxworth, Racing Manager von Honda UK, „und das ist die mit den Vergasern. Joey beschraubte ja seine Maschinen am liebsten immer selber, in seiner Garage. Als also eine neue Vergaserbatterie für den Rennbetrieb freigegeben wurde, schickte Honda die ihm aus Japan — sehr sorgsam verpackt, denn diese Vergaser waren 30.000 Pfund wert. Wer Honda kennt, weiß, dass sie da schon ein ganzes Stück über ihren Schatten springen mussten. Irgendwann kam ein Kollege von der Rennabteilung in Japan. Wir wollten uns mit Joey treffen, deshalb brachte ich ihn zur Garage. Leider war Joey nicht da. Dafür stand die Rennhonda draußen auf der Wiese. Mit offenem Motor. In den es hineinregnete. Und auf der Mauer zum Bach hin, da lagen die unbezahlbaren Vergaser.

„Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, es war mir so peinlich. Ich meine: Joey bereitete seine Maschinen sehr akribisch vor, aber wie sah das denn aus? Ich drehte mich zum Gast aus Japan hin, um eine Entschuldigung zu stammeln, aber der lächelte mich schon wissend an: ‚Keine Sorge, Tuxworth-San. Auch in Japan kennen wir schon Joey Dunlop. Es ist okay.‘ Joey war glaube ich nicht bewusst, wie er beim Schrauben wirkte. Es gibt ein recht bekanntes Photo, auf der die Rennmaschine auf der Seite liegt und die Kupplung einfach daneben im Gras. Seine Maschinen mussten top funktionieren, aber wie seine Arbeit aussah, war ihm egal.“

Die 16-jährige Japanerin

„Die andere Geschichte, die mir sofort für heute Abend einfiel, war die mit der jungen Japanerin“, fährt Neil fort. „Joey nuschelte ja oft in sich hinein. Dazu kam sein ausgeprägter Antrim-Dialekt und die Tendenz, ebenden nochmal mit einem ihm ganz eigenen Dialekt zu überlagern. Er sagte zum Beispiel ‚kiplit‘ für ‚Vollgas‘, wohl eine Kurzform von ‚keep her lit‘. Auf jeden Fall kam Japan irgendwann auf die Idee, die japanischen Mechaniker mit einer Dolmetscherin zu unterstützen. Sie war 16 und sie sprach perfektes Englisch. Kurz nach ihrem Dienstantritt kam das Mädchen in Tränen aufgelöst zu mir. ‚Es tut mir so leid!‘, sagte sie. Was denn los wäre, fragte ich zurück, und sie sagte: ‚Ich war auf den besten Schulen und ich hatte die besten Noten, aber so sehr ich mich auch anstrenge, ich verstehe seine Sprache nicht. Ich habe versagt!‘ Sie war untröstbar.

Nach ein paar abschließenden Worten reicht Neil das Mikro an Phil McCallen weiter, einen Teamkollegen von Joey in Hondas Rennteam und obendrein einer der besten Freunde der Dunlop-Familie. „Jetzt hast du mir die Geschichte von der Japanerin weggeschnappt!“, ruft er in Richtung Neil. „Aber egal, ich erzähl sie jetzt mal weiter, weil du das Ende weggelassen hast. Also: Irgendwann zu dieser Zeit kam Joey zu mir und sagte ‚kmbrgt‘, gefolgt von einer minimalen Kopfbewegung. Ich meine, so war er eben. ‚kmbrgt‘, das war für ihn Informationsaustausch. Ich hatte auch schon gehört, dass dieses arme Mädel völlig fertig war, weil sie das nicht verstand. Vielleicht hätte ihr jemand erzählen sollen, dass wir ihn ja auch nicht richtig verstehen. Ich kannte ihn allerdings schon lange und konnte mir nach einiger Zeit vorstellen, dass er mich mal kurz unter vier Augen sprechen wollte. Ich folgte ihm. Draußen dann: ‚Dieses Mädchen aus Japan‘, fing er an. Jaaa? ‚Ich weiß nicht, wie ich‘s Honda sagen soll, aber ich versteh die nicht, kein Wort!‘ Schlussendlich übersetzte ich von Joey nach Englisch, und sie übersetzte mein Englisch ins Japanische.“

Eines Tages, auf dem Podium

One for the hero: Mr. McPint fuhr zur Feier des Mannes die TT in Joey Dunlops Farben.
One for the hero: Mr. McPint fuhr zur Feier des Mannes die TT in Joey Dunlops Farben.

Ein bestens aufgelegter John McGuinness kommt ans Mic. Am nächsten Tag wird er zum 30-jährigen Jubiläum „Joey Dunlop bei Honda“ in den Farben von Joeys letztem Superbike-Rennen (die Klasse hieß damals „Formula 1“) bestreiten: rote Kombi, rote Maschine, gelber Helm. „Es gibt so viele Geschichten über Joey zu erzählen, weil er so ein besonderer Mensch war“, fängt John an. „Aber eine gefällt mir besonders, weil ich darin vorkomme. Als ich noch ein ganz junges Windgesicht war, war natürlich Joey Dunlop mein Held. Das ging zu dieser Zeit gar nicht anders. Ich meine: Er ist immer noch mein Held.

„Aber ich wollte natürlich auch meinen eigenen Stempel auf der Welt setzen, und jeder sollte das wissen. Auch Joey Dunlop. Einmal in Irland bin ich tatsächlich bei seiner Garage vorbeigefahren. Ich hatte Glück: Er war gerade dort am Schrauben. Ich hielt an, machte ihn auf mich aufmerksam und rief: ‚Eines Tages werde ich neben dir auf dem Podium stehen!‘ Und er knurrte nur: ‚Mm.‘ Da gab es nicht viel weiter zu reden, ich fuhr weiter. Aber ich arbeitete wirklich hart, und eines Tages stand ich tatsächlich neben Joey Dunlop auf einem Podium. Noch als wir dort oben standen, stumpte ich ihn an: ‚Siehst du? Ich hab‘s dir doch gesagt: Eines Tages werde ich neben dir auf dem Podium stehen.‘ Und er nur so: ‚Mm.'“

Call to Stories

Wie gesagt: Ich hätte mich gleich nach meiner Rückkehr von der Isle of Man hinsetzen sollen, das aufschreiben. Mietforderungen sind länger haltbar als scotchgetränkte Erinnerungen. Ich kriege zum Beispiel die schöne Erzählung nicht mehr so recht zusammen, wie Joey mit Phil McCallen in Japan war und auf dem Rückflug feststellte, dass in der Ersten Klasse „all you can drink“ für Whiskey gilt. Deshalb: Anmerkungen und Fehlerkorrekturen sowieso immer mitteilen. Vielleicht war es nämlich doch Nick Jefferies, der das mit dem „kiplit“ erzählt hat. Aber viel wichtiger: Wer eine Joey-Geschichte hat, möge sie mir bringen, ich mache sie dann für alle verfügbar. Ich bin bereit, dafür zu bezahlen. Nicht mit Geld, das gebe ich meiner geliebten chinesischen Vermieteroma, aber mit Sachen. Ich habe ein Joey-Dunlop-Shirt von der Isle of Man mitgebracht und einen Fan-Hefter von der IOM-Post. Darin sind Briefmarken, eine Postkarte und ein ausgestanzter Fetzen von einem von Joeys T-Shirts, die Linda Dunlop für Fans gespendet hat. Auf der Rückseite des Hefters ist auch das schöne Bild mit der Kupplung im Gras. Die einzige Maßgabe für Geschichten ist das, was sich Joey selber immer gewünscht hat: Dass wir uns nicht nur an das erinnern, was er war, sondern zuvorderst, wer er war.

I never really wanted to be a superstar.
I just want to be myself.
I hope that’s how people remember me.

Bilder: Honda Racing UK

Kommentare:

ältere
  • Alexander meinte am 16. August 2013 um 11:56:

    „Vielleicht war es nämlich doch Nick Jefferies, der das mit dem “kiplit” erzählt hat. „

    Ich bin auch der Meinung, dass das Nick war, der das erzählte. Beschwören kann ich es aber leider nicht, dafür war der Abend zu anstrengend.

    • Clemens Gleich meinte am 16. August 2013 um 12:20:

      Das nächste Mal nehmen wir ein Diktiergerät mit. Das wird nämlich nicht betrunken.

  • Alexander meinte am 16. August 2013 um 12:26:

    Gute Idee! Hätten wir eines von diesen smarten Telefonen gehabt, hätten wir das benutzen können, die haben solche Funktionen ja jetzt auch! … Ups. Naja, beim nächsten Mal.

  • Der Emo fährt weg | MoJomag meinte am 16. August 2013 um 12:30:

    […] Geschichten über Joey Dunlop […]

  • Norbert meinte am 4. September 2013 um 15:29:

    Wehmütig gelesen,nachdem ich Joey 1999 bei seiner letzten TT live gesehen habe.
    Grossen Dank für diesen Bericht!

  • Thimo meinte am 2. Oktober 2013 um 12:59:

    Schöner Bericht, wäre gern dabei gewesen. Ihr seid wirklich beneidenswert …

    Nur Mr. Tuxworth ist auf dem Foto nicht zu sehen … der ist ein eher untersetzter Engländer mit weiß-grauen Haaren. Ich weiß aber auch nicht, wer der nette ältere Herr links neben Foggy ist – nur Tuxworth halt nicht.

    • Clemens Gleich meinte am 2. Oktober 2013 um 13:08:

      Verdammt, hast Recht, das isser gar ned! Könnte es Roger Marshall sein? Schreib ich jetzt einfach mal hin.

  • nairolF meinte am 8. Oktober 2013 um 22:45:

    Ich war 90 auf einem der letzten Rennen der TT Formel 1 in Finnland.
    Durch Zufall lernte ich an der Fähre ein Rennteam kennen (Heinz Platacis) und wurde dann von den Jungs gefragt, ob ich nicht nach Kouvola kommen wolle um sie während des Rennens an der Box zu unterstützen.
    Ich glaub so eine Chance hat man nur einmal im Leben und natürlich bin ich hingefahren.
    Highlight eins war für mich, dass meine damalige XBR im Fahrerlager exotischer war, als all die RC30s und OW01s.
    Im Rennen dann musste nachgetankt werden und ich stand bereit in der Box mit einem Spritkanister.
    Da bekam ich mit, wie Joey die Tafel rausgehalten wurde, er solle in der nächsten Runde zum Tanken kommen.
    In der nächsten Runde knallte Joey vorbei, wohl in der Absicht Fogerty noch zu bekommen. Hat wohl in der Runde nicht geklappt und in der Folgerunde ignorierte Joey die Tafel zum dritten Mal.
    In der Zwischenzeit bekam sein Manager einen Tobsuchtsanfall und schrie rum, Joey sei wohl beim ständigen Stürzen zu oft auf den Kopf gefallen, bleibe dann gleich ohne Sprit liegen und könne dann die Karre in die Box schieben.
    Joey kam dann auf den letzten Tropfen und jagte weiter. Erfolgreicher als Heinz, der irgendwas um 25ter wurde.
    Beeindruckend war auch Joeys Bruder Robert, der auf einer Norton F1 startete und leider im Rennen ausschied. Letztlich gewann Foggy vor einem Finnen. Joey war glaub ich unter den Top Ten.

  • Clemens Gleich meinte am 10. Oktober 2013 um 21:18:

    @nairolF: Schee!

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