Lauter Nullen

Im Computerbereich, das weiß ja mittlerweile jeder aus der Sendung mit der Maus, gibt es tief drinnen eigentlich nur Nullen und Einsen. In Wirklichkeit gibt und vor allem gab es im Computerbereich jedoch deutlich mehr Nullen als Einsen, wie ein unverklärter Blick in eine schreckliche, PC-graue Vergangenheit zeigt.

„Früher war alles besser“, ist glaube ich der Spruch, den ich in letzter Zeit am öftesten explizit oder implizit höre. Früher, das waren halt noch Autos! Das waren noch richtige Vergaser! Da konnte man noch! Was? Ja, Unterbrecherkontakte reparieren! Gibts ja heut alles nicht mehr! Das stimmt natürlich. Bis auf ein Wort: „konnte“. „Musste“ sollte es heißen, denn mechanische Unterbrecher gingen die ganze Zeit kaputt, was retrospektiv verklärt besser ist, weil man es dann selber reparieren und sich dabei kompetent fühlen konnte. Früher gab es auch noch richtige Politiker. Männer von Welt. Helmut Schmidt. Heute gibt es nur noch das Merkel. Oder der Hitler. War ja nicht alles schlecht, was der gemacht hat, newar? In den typischen Trinkerkneipen würde der alte Adolf jedenfalls heute mit Kusshand und Freibier empfangen, scheint einem, wenn man sich die Gespräche am Tisch anhört. Damals hätt sich niemand getraut, Hartz Vier zu beantragen und genützt hätte es gleich dreimal nichts. Und vergessen wir nicht die Autobahnen! Vergessen wir lieber die Mefo-Wechsel und den Weltkrieg.

Diese Beispiele stehen deshalb da, weil unsere alternde Gesellschaft jetzt bei den Computern angelangt ist, die früher besser gewesen sein sollen. Ich rede nicht davon, häßliche Kästen in Computermuseen wie das in Paderborn zu stellen, so als warnendes Mahnmal für die Nachwelt, sondern ich rede von einer Verklärung selbst der Datenverarbeitungsvergangenheit, die ich selbst noch kenne, wie mir kürzlich bei einem rein zum Spaß abgesetzten Usenet-Posting auffiel (jahaa, so alt bin ich! Usenet! Das war halt noch was!). Es ging um alte Macs und lautete so: „Banause! Das waren noch Maschinen damals! Diese ganze Leistung heute, wer soll denn die überhaupt verwerten? Nene, so ein alter Mac, da konnte man halt noch selber RISC-Assembler schreiben, auf sowas wird ja heute gar kein Wert mehr gelegt, ich weiß gar nicht, warum. Kein Wunder haben wir eine Wirtschaftskrise. Wenn ich diese modernen Mac-Designgeschwülste schon seh, ey! Ich jedenfalls warte darauf, dass mir endlich wieder ein Hersteller den NuBus baut, vorher kauf ich keinen neuen Rechner. Es gibt einfach nix für mich.“ Klar erkennbar ironisch gemeint. Dachte ich. Bis ernst gemeinte, unterstützende Antworten kamen. Welche NuBus-Accessoires mir noch fehlten und so weiter. Damit wir uns verstehen: Der NuBus war damals okay. Er ist eben den Weg des Unterbrecherkontaktes gegangen. Heute gibt es in der Praxis tausendmal bessere Busse, und Theorie interessiert nur schlechte Verlierer.

Ich habe die Anfänge von zivilem Internet und vernetztem Personal Computing persönlich miterlebt und kann daher sagen: Nein. Nein. Nein. Früher war gar nichts besser. Früher war alles schrecklich. Dazu brauchen wir gar nicht mal bis zu Kolossen wie dem ENIAC zurückzugehen, jenem 27-Tonner, der nach dem zweiten Weltkrieg für die USA ballistische Flugbahnen für ihre Kernwaffen berechnete, dessen Rechenleistung jedoch von jedem heutigen Handy vieltausendfach übertroffen wird. Beginnen wir lieber beim Commodore 64, dem wohl meistverkauften Heimrechner. Er war grau. Seine Form? Man nannte ihn den Brotkasten. Sagt ja alles. Der C64 war damals ein geniales Produkt zum Arbeiten und Rumspielen, denn man hatte ja sonst nix. Der Brotkasten war so beliebt, dass man ihn noch sehr lange in Kinderzimmern finden konnte. Ich fand mal einen in einem Kinderzimmer, das ich besuchte. Der Brotkasten las gerade ein Computerspiel von einer Kassette, was ungefähr so lange dauert, wie das Spiel selber zu schreiben. Man könnte die Wartezeit auch mit Lesen überbrücken, „Schuld und Sühne“ zum Beispiel. Der Besitzer, ein Kind, das ich mir nur vage mit Propellerkappe auf dem Kopf in Erinnerung rufen kann, starrte jedoch stattdessen fasziniert auf seine Apparatur. Der Besucher, ein Kind, das ich mir sehr gut in Erinnerung rufen kann, weil ich es war, starrte entsetzt auf die Szenerie und flüchtete. Flüchtete, obwohl ich eigentlich schon immer Maschinen im Allgemeinen und Elektronik im Speziellen geliebt habe. Aber die Datassette war mir zu hart.

Die linke Wand da, mit der kann der ENIAC bis drei zählen - wenn ihm seine Assistentin hilft. (Bild: US Army)

Dann kamen die IBM-kompatiblen MS-DOS-PCs. IBM wollte mit PCs nicht so recht was zu tun haben und überließ es ziemlich wahllosen anderen Firmen, den Personal Computer zu konstruieren und auszustatten. Bill Gates erzockte sich schlau ein Betriebssystem für das System und seine Mutter, sehr gut bekannt mit IBM-Entscheidern, setzte sich dafür ein, dass der Bub den Auftrag für seine Firma Microsoft bekam. Die Art, wie Herr Gates Geschäfte macht, ist zwar keineswegs die feine, doch führte seine rücksichtslose, aber durchdachte Strategie schnell zu einem Quasi-Standard: MS-DOS, Intel-x86-PC. Scheußliche Kombination, doch immerhin hatte jeder dieselbe. Als Gates DOS kaufte, hieß es noch QDOS, kurz für „Quick and Dirty Operating System“, und genau so funktionierte es. Da half es auch nichts, dass Microsoft den Euphemismus „Disk Operating System“ dafür einführte. Den PC ließ IBM mit billigen, gerade passend verfügbar herumliegenden Teilen bauen, was ihm zu sofortigen weltweiten Nachbauten verhalf, die viele statt der IBM-Produkte kauften. Alles, was nicht MS-DOS-IBM-PC-kompatibel war, ließ sich bald kaum noch verkaufen, ähnlich wie es bei Windows-Intel („Wintel“) später war. Also saß ich später gelegentlich wieder in Zimmern, diesmal meistens in Arbeitszimmern von Vätern. Väter taten so, als arbeiteten sie damit, eigentlich spielten sie natürlich. Zack McKracken lief über einen Monochrom-Bildschirm im Keller eines Freundes, irgendwann später schwärmte er von Monkey Island. Habe nie verstanden, warum, weil ich beim Zuschauen sofort eingeschlafen bin.

Computerspiel aus der „guten alten Zeit“. Es hatte 16 Farben, ich sah es immer monochrom.

Diese damaligen PCs sind den heutigen von der Architektur recht ähnlich, sagt man. Gemeint ist: Sie sind von der Architektur so ähnlich wie ein feuchtes Lehm-Pueblo in seinen Grundaspekten den Petronas Towers ähnelt (beide haben Wände). Der PC war schon damals mit Karten erweiterbar. Heute steckt man die Dinger ein, schaltet an und freut sich. Damals gab es nichts zu lachen, höchstens vor Verzweiflung. Die Karten arrangierten sich untereinander mit von Hand vergebenen Interrupts. Stellen Sie sich das so ähnlich vor wie in einem Klassenzimmer, in dem sich die Schüler mit Nummern melden. Ja, Nummer 10? Und dann fangen drei Leute an zu sprechen, was den Rest des Tages dazu führt, neu über Nummern zu reden. In den Anfängen des Plug and Play redete dann auch noch der Computer bei der Vergabe mit, das machte alles noch schlimmer. Hatte man diesen Sack Flöhe endlich sortiert, ging es beim Betriebssystem mit seinen Treibern los. Ich kriege heute noch nen Kackreiz, wenn jemand „Config.sys“ sagt. Warum? Na, weil die Leute mit technischen Problemen zu mir kamen, weil ich mich für Technik interessierte und sie fälschlicherweise dachten, dasselbe gelte für ihre Probleme. In meinen Erinnerungen liegen genug krank-kaputte Konfigurationen für drei Leben voller Alpträume.

Irgendwann erschummelte ich mir sogar in bester Bill-Gates-Manier einen alten Schneider Euro PC und machte mich daran, darauf eine Grafik-Engine zu schreiben, die aus dem Teil -BAM!- eine Iris Indigo machen würde. Irgendwas mussten die Grafikgurus doch übersehen haben, einen kleinen, genialen Kniff, der… Um es kurz zu machen: Hatten sie natürlich nicht. In einer lauen Sommernacht schließlich saß ich vor dieser (grauen) Schachtel, verzweifelnd beobachtend, wie lange es dauerte, bis sie eine Sphäre berechnet hatte, als meine Schwester hereinkam und es so zusammenfasste: „Wir sitzen alle unter dem Balkon, nehmen Drogen und reden über Sex. Jetzt komm mit, das, was du da machst, ist doch scheiße.“ Sie hatte recht. Ich kam mit. Trotzdem lernte ich viel später eine Menge über Computer, arbeitete kurz als Programmierer und meine in Heimarbeit später an einem richtigen Rechner gebastelte Grafik-Engine brachte mir immerhin ein Arbeitsangebot von Electronic Arts ein. Das sage ich erstens, um anzugeben, aber hauptsächlich, um eventuelle Leserbriefe zu relativieren, die in etwa so lauten könnten „…wenn er weng Ahnung gehabt hätte, dann wäre…“ und so weiter. Denn jetzt kommt die Neuzeit, als alles besser, weil erträglicher wurde.

Vergessen wir mal den Mac, das machen eh die meisten. Verdrängen wir Windows 3.irgendwas, wir wollen uns nicht aufregen. Erinnern wir uns an Windows 95. Es war grauenhaft. Aber es legte den Grundstein für die grafische Oberfläche, die wir uns heute auf Windows- wie Linux-Desktops anschauen. Windows 98 und ME verdrängen wir wieder, die waren noch grauenhafter als 95. Erinnern wir uns an Windows NT, das war dieselbe grafische Oberfläche, die aber auf einem funktionierenden, zeitgemäßen Unterbau fußte. Mein erster und einziger neu gekaufter Rechner war daher ein Pentium Pro mit Windows NT 4.0 für Workstations. Das war so der Beginn von Windows-Workstations, mit denen man tatsächlich arbeiten wollte. Nein, jetzt kommt natürlich nicht „das war halt noch ein Windows damals“, jetzt kommt Windows XP. XP war endlich ein NT für alle. Es war hübsch bunt, funktionierte (vergleichsweise) sauber und war vor allem der Marktstandard, für den jeder Anwendungen entwickelte. Es lief sogar auf den alten Gurken, die ich mir für einen Fuffi gebraucht kaufte. 2003 war das zum Beispiel ein 350-MHz-Celeron, mit dem man trotz Microsofts „Mindestanforderungen“ von 500 MHz unter XP völlig problemlos arbeiten konnte. Wie gut das war, merkte ich im Kontrast, denn als ich eine Zeitlang keine DTP-Software brauchte, fuhr ich ein Linux, bei dem sowohl KDE als auch Gnome (beides Desktop-Umgebungen) auf meiner (grauen) Rostmühle so viel langsamer waren als die blaue XP-Oberfläche, dass ich es schnell wieder wegwarf, DTP hin oder her. Linux erinnerte mich zu sehr an die alten DOS-Tage. Es kam immer mit Problemen, die mich nicht interessierten.

XP hingegen tat einfach, was man verlangte, es war in bester Windows-Tradition eine geradezu sprichwörtliche Hure. „Man“ waren nämlich sehr oft andere Leute als der Besitzer, zum Beispiel Programmierer von Viren oder Trojanern, also etwas konkreter ich. Bei mir fanden Virenscanner gelegentlich Schädlinge, jedoch ausschließlich solche, die ich selbst geschrieben hatte. Zugegeben, ich hatte beim Schreiben Anderes mit diesen Programmen vor, aber der Scanner brachte einen auf Ideen. Es war deprimierend einfach, Windows-Systeme zu kompromittieren, was aber fairerweise zugestanden hauptsächlich an der Wetware liegt, die da vor dem Bildschirm im Sessel lümmelt und ihre drei funktionierenden Gehirnzellen dazu nutzt, zu überlegen, wie sie trotz der Antivirensoftware diese Virusmail endlich öffnen kann. Jeder Sysadmin weiß genau, welche Kandidaten ich meine.

Heute habe ich hier wieder mal eine alte Gurke, in die ich für den Preis einer halben Tankfüllung zwei Gigabyte Arbeitsspeicher gesteckt habe. Funktioniert perfekt. Endlich kann ich vergessen, was ein Interrupt überhaupt ist, endlich kann ich alles vergessen, was wir in der Schule über DOS und diverse Unix-Shells gelernt haben. Gelegentlich kaufe ich Hardware, schließe die an und habe schon fast vergessen, dass sowas früher immer ein Horrorwochenende voller Gefummel war. Ja, XP funktioniert endlich so, wie man das will; so gut, dass niemand Windows Vista kaufen wollte. Tja. Windows XP, das war noch ein Betriebssystem. Nicht so wie dieses Vista heute. Früher war halt noch alles besser.

Epilog

Die IT, heute aktuell, morgen veraltet. Der Artikel ist jetzt auch veraltet, denn die beschriebene Gurke ist abgeraucht, und jetzt arbeite ich auf einem Mac Mini unter Windows 7 Ultimate 64. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben einen Mac gekauft und zum ersten Mal ein Betriebssystem. Das MacOS hab ich runtergeschmissen, damit ich dessen zehn GByte für Fotos habe. Vielleicht poste ich demnächst(tm) mal, wie man den Mini rein unter Win7 aufsetzt, es gibt ein, zwei Stolpersteine, die wahrscheinlich Apple da hingelegt hat, sowie zwei, drei gute Tips. Empfehlen kann ich die Konfiguration jedoch eh: der Mac Mini (Win7 nennt ihn abschätzig „Lunchbox-Computer“) ist leise und gut designed, Windows 7 ist für Tastaturschreiber wie mich das effektivere OS gegenüber MacOS und alle Energiesparoptionen des Mini funktioneren über ACPI reibungslos, inklusive Mac-Schlafen (suspend-to-RAM mit dieser hinundher gedimmten Diode) und Win-Ruhezustand (suspend-to-disk). Es ist alles so viel besser als früher.

Heute ist alles so viel besser als früher. Ein gescheites Windows auf einem günstigen Mac - das hätt's damals nicht gegeben!

Kommentare:

ältere
  • Erik meinte am 18. Oktober 2012 um 19:03:

    Vista war/ist grauenhaft! Windows 7 find ich aber wieder richtig gut.

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