Nie wieder Jetlag

Das hier ist ein Artikel für alle meine Vielfliegerkollegen, denn es geht um unsere ganz eigene Sonderform des Jetlag. Wenn wir irgendwo mit arger Zeitverschiebung landen, quälen sich viele Mitreisende herum, während ich noch nie im Leben Jetlag hatte. Ich begründete diesen Umstand bisher stets damit, dass ich keinerlei Schlafrhythmus habe. Nachdem ich allerdings gerade den aktuellen Stand der Schlafforschung lese, gehe ich davon aus, dass das nicht stimmen kann, denn jeder hat einen, auch wenn er unregelmäßig schläft. Meine neue These ist also: Jederzeit schlafen können ist eine Fertigkeit, die sich manche Menschen aneignen. Die meisten Soldaten tun das zum Beispiel, aus schlichter Notwendigkeit.

Zu meiner These passt auch, dass ich abends gern Espresso trinke und dann unmittelbar darauf schlafen gehe. Nun gibt es zwar rare Lebervariationen, die Koffein besonders schnell abbauen, aber man sollte nie zu schnell davon ausgehen, man sei etwas Besonderes, solange banale Erklärungen vollkommen ausreichen. Ich kenne viele Leute, die nach Koffeineinnahme sofort schlafen können. Das erklärt sich schnell aus schlichter Gewöhnung an diese Substanz.

Der Jetlag der Kurzreisenden

Zurück zum Jetlag: Nach dem Aussteigen in irgendeinem zeitzonenfernen Stadtdschungel tun die meisten Kollegen das, was immer bei Jetlag empfohlen wird: Sie bleiben wach, bis sie schielen, damit sie zum örtlichen Rhythmus ins Bett gehen können, an den sie sich ja anpassen möchten. Tatsächlich ist das meines Wissens weiterhin der gängige Tipp gegen Jetlag. Ist aber sowieso egal, weil der Tipp für uns Sonderfälle nichts bringt, im Gegenteil: Der Schlafrhythmus passt sich in einem Tempo von etwa einer Stunde pro Tag an. Wir sind selten länger irgendwo als zwei, drei Tage, aber häufig an Orten mit Zeitverschiebungen über acht Stunden. Wer sich also viel Mühe mit der Anpassung gibt, hat davon nichts außer mehr Jetlag nach der Rückreise.

Wenn wir also egal wo hundemüde landen, bin ich meistens der Einzige, der dieser Müdigkeit nachgibt und einfach schläft, sobald Zeit und ein Bett vorhanden sind (außer mir kenne ich nur noch den sehr lebenserfahrenen Ulf Böhringer, der das tut). Die Anderen halten sich mit Wäscheklammern, Alkohol, Shopping oder Schlimmerem die Augen offen, in der Hoffnung, zur örtlichen Bettgehzeit besser zu schlafen. Am nächsten Tag sind dann alle unterschlafen außer Ulf und ich. Die Beeinträchtigungen durch Unterschlafenheit sind recht gut bekannt, zusammengefasst könntest genausogut besoffen losfahren.

Schlafen lohnt sich meistens

Woran liegt Ulfs Nichtjetlag? Ich glaube, dass es sich lohnt, zu schlafen, wenn der Körper es noch im Rhythmus gewohnt ist und verlangt, denn das erlaubt noch einigermaßen Schlafqualität. Im Idealfall gibt es mehrere unverplante Stunden vor der Pressekonferenz mit anschließendem Abendessen. Die Furcht, nach so einem Nachmittagsschlaf nachts nicht mehr schlafen zu können, ist verständlich, aber wahrscheinlich meistens unnötig: Erstens wirst du nachts sowieso meistens mindestens ein bisschen scheiße schlafen im fremden Bett am fremden Ort zur verschobenen Zeit, also wärst du mit höchster Wahrscheinlichkeit am nächsten Morgen genauso froh über den Nachmittagsschlaf wie Ulf oder ich. Und zweitens sind moderne Zivilisationsmenschen sowieso in den meisten Fällen chronisch unterschlafen. Dein Hirn wird sich also eher bedanken, falls du wider jede Wahrscheinlichkeit doch ein paar Minuten mehr Schlaf zusammenkriegst als daheim. Ein Versuch lohnt sich auf jeden Fall.

Der biologische Schlafrhythmus des Menschen sieht sowieso eine kurze Schlafphase nachmittags plus eine lange nachts vor. Unsere modernen Schlafgewohnheiten (möglichst kurz nur einmal nachts) oder andere davor (früher schliefen Westeuropäer z. B. eine Zeitlang in zwei längeren Phasen nachts mit einer Wachpause dazwischen) sind kulturell begründet, nicht biologisch.

Schlafdruck baut sich hauptsächlich aus zwei Richtungen auf: Adenosinaufbau und Tagesrhythmus. Letzterer synchronisiert sich mit dem Tageslicht, da gibts nichts zu holen. Die beschriebenen Tipps gelten für Müdigkeit aus Adenosinaufbau. Nur diese Müdigkeit ist rhythmusunabhängig.

Unterwegs genug schlafen hilft außerdem beim unterwegs genug essen statt mehr als genug: Viele Kollegen beschweren sich, dass sie unterwegs wider ihre Pläne zu viel essen. Dazu interessant: Schlafentzug führt zu mehr Hunger und unterdrückt Sattheit, die sich ausgeschlafen einstellen würde. In diesem Sinne: Ich leg mich jetzt wieder hin, beziehungsweise, da ich gerade im Flugzeug sitze: Ich krümpfele mich ein. Gute Nacht!

Schnrrzzzt ... ?

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Kommentare:

ältere
  • Volker meinte am 15. März 2018 um 14:14:

    Mei, man kann es „Jetlag“ nennen.

    Man kann es auch akute Müdigkeit und Schlafbedürfnis nennen. Gegen Müdigkeit und Schlafbedürfnis hilft… -Überraschung! – Schlaf. Sogar unmittelbar und mit großem Erfolg. Und wenn man aus irgendwelchen Gründen nicht schlafen kann/darf, z. B. weil es die kulturell begründeten Meetingrunden, der Sitzreihenabstand oder der dauertelefonierende Nachbar nicht hergeben, muß man halt wachbleiben. So definiert man Jetlag weg.

    Und Burnout definiere ich weg, indem ich den Betroffenen einfach (nur) eine emotionale Erschöpfung, Frustration und mangelnde Leistungszufriedenheit attestiere. Da müssen sie halt an sich arbeiten.

    Du kannst immer und überall schlafen. Schätze Dich glücklich!

    • Clemens Gleich meinte am 15. März 2018 um 16:30:

      Es geht um den häufigen Tipp, vor Ort unbedingt und absichtlich (also trotz verfügbarem Kingsize-Bett im Hotel) wachzubleiben bis zur örtlichen Bettstunde. Das bringt dir gar nichts, wenn du am nächsten Tag schon wieder heimfliegst. „Du kannst immer und überall schlafen“ ist im Übrigen eine Aussage wie „Du kannst alles essen“. Menschen sind sich viel ähnlicher als unterschiedlich. Wenn ich mehr essen würde, nähme ich genauso zu wie jeder Andere, und wenn ich am ersten Tag in den USA krampfhaft wach bliebe, wäre ich am nächsten Morgen genauso zerknautscht.

    • Volker meinte am 15. März 2018 um 17:07:

      Ich glaube, niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, rät bei einem Kurzzeitaufenthalt deutlich außerhalb der gewohnten Zeitzone ernsthaft zu irgendwelchen Schlafentzugsexperimenten.

      Die Sache ist doch so: Ich steige am Montag um 15:30 am MUC Terminal 2 in den Direktfliecher nach Tokio (kniescheibenmordende Holzklasse), der dann nach ~12h Flugdauer Dienstag, 10:30 Ortszeit dort ankommt. Genau rechtzeitig für einen Businesstag bei NEC, der sich incl. Abendprogramm gerne bis 22:00 hinzieht. Wer die üppige Mittagspause von 12:00-12:30 sinnvoll für ein Nickerchen nutzt und danach nicht wie ausgekotzt aussieht, hat meinen vollumfänglichen Respekt. Bis 24:00 bastelt man noch Meeting Minutes und Powerpräsis fertig oder lädt irgendwelche Bilder hoch – je nach Profession.

      Danach klingelt um 6:00 der Wecker, ab in die Ginza-Line, 1h Pendelbetrieb mit im Stehen pennenden Japanern. Bis hier bereits 28 Stunden Schlafentzug. Repeat Tag 3 und 4, für den sich nochmal je 2-3 Stunden addieren.

      Rückflug Samstag 12:50 ab Haneda, Ankunft in München ebenfalls(!) Samstag 16:50. Sodann narkoseähnlicher Schlaf in der S8.

      Da geht es also einfach ums nackte Überleben.

      Flöge ich über Ostern nach Australien (BTDT) und es gäbe außer der potentiellen Enttäuschung meiner Gastgeber nichts zu riskieren, bliebe ich halt bis zur sanften Schmerzgrenze auf und haute mich dann in die Falle. Die 12 Stunden Differenz kannst Du in objektiv 12 Tagen so halbwegs aufholen, bist halt latent unausgeschlafen und lernst, wie es sich als Familienvater anfühlt. 😉

      Niemals würde ich Schwachsinn wie „Du kannst alles essen“ verbreiten, der erste Hauptsatz der Thermodynamik ist mir aus dem Studium schon noch einigermaßen gegenwärtig. Ja, wenn Du nur müde genug bist, schläfst Du auch im Stehen. Oder beim Stop-Over auf einer arabischen Hocktoilette (BTDT2). Die Empfehlung, diese willkommenen Schlafgelegenheit zu nutzen, ist aber ähnlich wie „gelegentlich ein- und ausatmen um nicht zu ersticken“ oder die gerne kolportierte Bundeswehr-Dienstanweisung, daß ab 150cm Wassertiefe selbsttätig mit Schwimmbewegungen zu beginnen sei.

      Irgendwer erzählte mir mal, er würde sich vorsorglich Melatonin und/oder Metyrapon einpfeifen und könne so seinen Biorythmus schneller auf Kurs bringen. Vermutlich so wirksam wie Energieklanglack und Antikalkmagnete – aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

    • Clemens Gleich meinte am 15. März 2018 um 17:46:

      Lieber Volker, ehrlich gesagt kam mir nicht in den Sinn, dass es Angestellten der Firmen noch dümmer gelegt wird als uns, die wir doch nur da sind zum Schnittchen fressen und rumfahren. Wir haben häufig bald nach der Landung dieses Kingsize-Bett zur freien Verfügung. Und wider Deine Einschätzung raten dennoch DIE MEISTEN Kollegen dazu, wachzubleiben, bis die lokale Bettchenzeit kommt – trotz völliger Übermüdung aus der Reise.

      Mein Beileid zu Chefs, die glauben, sie erhielten auf die von Dir beschriebene Weise die sinnvollste Arbeit aus ihren Angestellten.

    • Volker meinte am 15. März 2018 um 17:59:

      Hi Clemens!

      … erst meinte ich ja Sarkasmus aus dem ersten Absatz zu lesen. Aber, ja, danke für Deine Anteilnahme. Derartig einfühlsame Scheffs gibts tatsächlich – diejenigen, die meinen, so ein Business Class Flug wäre keine eh Arbeitszeit und man könnte da nach einem Betthupferlfilmchen ja so RICHTIG vorschlafen, sind dann schon eher in der Minderheit.

      Ich will auch nicht über Gebühr vom Leder ziehen (schließlich kriegt jeder, was er verdient und meine Kündigung war irgendwann die absehbare Konsequenz), als Arbeitnehmer bist eben auch selbst gefordert, diesem Unfug Widerstand zu leisten.

      Wenn Deine Kollegen tatsächlich bei einem Kurztrip trotz bleierner Müdigkeit zum Schlafentzugswettbewerb aufrufen, fällt mir schon entsetzt die Kinnlade runter. Ob man sich allerdings tatsächlich um 10:00 Ortszeit für >8h in die Heia hauen muß und dann zu nachtschlafender Zeit fit wie ein Turnschuh ist, kann freilich diskutiert werden.

      Ich würd mir halt nach 4-5 Stunden mal den Wecker stellen und sehen, wie meine biologischen Systeme dann drauf sind. Vielleicht fallen mir um Mitternacht eh wieder die Äuglein zu.

    • Clemens Gleich meinte am 15. März 2018 um 18:06:

      Ja natürlich ned 8 Stunden, sondern die ein, zwei, drei Stunden bis zur Pressekonferenz, so überhaupt vorhanden. So locker gehts bei uns dann auch wieder ned zu.

  • 3-plus-1 meinte am 15. März 2018 um 18:28:

    Das Jetlag-Problem kenne ich nicht so, weil ich nicht über Europa hinaus reise, wohl aber ist mir das mütterliche „Du kannst doch nicht jetzt schon ins Bett gehen“ bekannt. So ein Blödsinn!

    Ich brauchte bis zum Studium als dann im Winter einfach alles bleischwer und grau wurde und ich einfach um auf die Etikette gepfiffen habe und um 16:00 Uhr ins Bett gegangen bin. Das war eine echte Erfahrung, denn mit einer Pissunterbrechung habe ich da bis Morgens um 08:00 Uhr durchgepennt und plötzlich erschien die Welt bunt und alle Aufgaben so einfach.

    Das habe ich dann auch nach Möglichkeit beibehalten und wenn müde bin ich eben abends gleich ins Bett gefallen. Genau dazu erstaunt mich nun dieser Satz von dir:

    „früher schliefen Westeuropäer z. B. eine Zeitlang in zwei längeren Phasen nachts mit einer Wachpause dazwischen“

    So etwas scheint ja ein Horror für ganz viele Menschen heute zu sein. Aber was ist so schlimm daran nachts aufzuwachen, nur um sich mit wachhalten zu quälen, damit man unbedingt bis zum Weckerklingeln durchschläft?

    Wenn ich abends früh ins Bett falle und dann um Mitternacht aufwache, fühlt sich das wie geschenkte Extrazeit an, die nur mir gehört. Da lässt sich gut ein Film oder zwei Serienfolgen schauen, ohne gestört zu werden und danach ist auch die Bettschwere für die Reststunden da.

    PS: Von Übermüdung wird man nicht nur fett durch Hunger sondern auch krank durch ein leistungsreduziertes Imunsystem. Also gerade sich JETZT wach halten obwohl ein Bett zur Verfügung steht und keiner was von einem will, ist selbstzerstörerisch.

  • Frank meinte am 4. April 2018 um 14:23:

    Ich erinnere mich an ein Projekt aus der Zeit, als das Apple-Logo noch bunt war. Da hatten irgendwelche Leute ein Baseball-Käppi gebastelt, unter dessen Schirm eine Reihe Glühleuchten saß, die Tageslicht imitieren sollten. Diese Leuchten wurden von einem Laptop gesteuert, der über ein Programm genau berechnete, wie viel Licht man zwischen Abflug an Punkt A zur Zeit X und Ankunft an Punkt B zur Zeit Y braucht, damit die innere Uhr beim Ankommen mit der Lokalzeit synchron geht.

    Ich weiß nicht, ob das jemals gefunzt hat, andererseits, warum sollte das, was bei legehennen klappt, nicht auch bei Menschen gehen.

  • zensorsliebling meinte am 17. Mai 2018 um 14:23:

    Ob Jetlag oder nicht ist individuell verschieden und was dem einen nützt ist für den nächsten Quälerei.
    Allgemein ist der Jetlag bei ausgedehnten West-Ost Abend- und Nachtflügen stärker ausgeprägt, die Amerikaner sagen „Red Eye“ dazu. Mich trifft das immer hart und ich hasse die Zeit danach.

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