Jeder liebt Underdogs. Und Underdogs finden immer eine weiche Stelle, in die sie sich verbeißen können. Ich persönlich habe außerdem eine Schwäche für Schweineeimer im Renneinsatz, habe in MO 11-2008 selbst eine alte Bergrennstrecke für meine Schweineeimerweltmeisterschaft mit Schwerlastern wie der Harley Road King, der großen Suzuki Intruder M 1800 und natürlich der Triumph Rocket III malträtiert. Sowas ist immer wie ein Wettrennen von Hängebauchschweinen: Es hat wenig mit Sport zu tun, aber alles plus ein bisschen mit Unterhaltung. Ein klassischer Schweineeimer und ein Underdog ist AMGs „Rote Sau“, der Mercedes 300 SEL 6.8 AMG, der im Juli 1971 beim 24-Stunden-Rennen von Spa einen zweiten Platz einfuhr, den niemand erwartet hatte. Es hatte nichtmal jemand erwartet, dass eine lange Limousine mit Servolenkung, Luftfederung, Teppichen, Türverkleidungen und Edelholz-Zierteilen überhaupt teilnehmen könnte. Natürlich hatte die Rote Sau mehr zu bieten als Tropenholz. 428 PS zum Beispiel. Die katapultierten den 300 SEL samt seiner Teppiche auf Geschwindigkeiten von 265 km/h. Auf den langen Geraden des alten Kurses in Spa kriegte sie keiner. Die Geraden waren auch die einzige Chance der überlasteten Bremsen, nicht in vier Streifen Metallguss auf der Strecke zu enden. Es war großes Kino für alle Zuschauer und der rote AMG schaffte es sogar in die Tagesschau.
Wie das bei den Racern so ist, verkauften sie den Wagen an den französischen Konzern Matra, der sein enormes Gewicht und seine enorme Geschwindigkeit für Tests verwendete, wie es Flugzeugreifen beim Aufsetzen so geht. Was aus dem Original geworden ist, weiß glaube ich keiner so recht. Fest steht, dass AMG 2006 eine funktionsfähige Replik der Roten Sau baute, die seitdem in der Zentrale bei Affalterbach im Foyer steht. Das Auto hat auch heute noch so viel Charisma, dass keine Werksführung bei AMG komplett ist, ohne dem feuerroten Schweineeimer Hallo zu sagen. Es ist eines der ganz wenigen Fahrzeuge, die den Proll wie den Connaisseur gleichermaßen ansprechen. Man muss dieses Teil gernhaben.
AMG hat es gern. Sie haben es so gern, dass sie ein Showcar aufgebaut haben, eine AMG S-Klasse im Stil der Roten Sau – als Vorschau auf den im September kommenden Mercedes S 63 AMG. Der Mercedes S 63 AMG „Thirty-Five“ hat einen Überrollbügel, Schalensitze und Berge von Leistung (571 Ps, 900 Nm mit Performance Package). Er hat jedoch außerdem die alten Aufkleber von damals und er hat bestimmt alle Komfortfunktionen der S-Klasse minus wahrscheinlich die Massagesitze. Das Auto könnte mit seiner Leistung eine Kleinstadt versorgen und muss das auch, weil es nämlich so viel wiegt wie eine. Es ist total gaga. Ich liebe es. Ich liebe den Gedanken, damit DVD-guckend und telefonierend wie ein roter ICE (denn so lang ist die Karre) an überforderten Sportwagenlenkern vorbeizublasen, den Asphalt in Wellen aufwerfend.
Ich möchte mit einem Zitat von Hans Heyer schließen, denn der hat die Rote Sau damals in Spa zusammen mit Clemens Schickentanz gelenkt:
Wir wussten, dass wir gewinnen konnten.
Nur die anderen wussten es noch nicht!
4,4 s von 0 auf 100 ist schon ne Ansage für den neuen Schweineeimer. Macht bestimmt Spass und ist def. unbezahlbar, für Unsereins.
Tja, Christoph, oder alten 300 SEL kaufen und auf über 400 PS aufpumpen. Das ist dann sehr unerwartet für alle, die man mit so einer Antiquität kassiert.