Onys Boox Leaf, interner Store

Test Android-Ereader Onyx Boox Leaf

Diesen Text hatte ich für die c‘t geschrieben, aber selbst nach einem Dreivierteljahr ist er leider doch nicht erschienen. Jetzt lasse ich das mal hier raus, sonst ist das Gerät vollends veraltet.

Aus der beliebten Reihe „das klingt doch gar nicht schlecht“: Mein Amazon Kindle Oasis 9th Gen schwächelt. Die ohnehin unterdimensionierte Batterie degradiert zusehends, Reparatur dank großzügiger Klebstoffmengen kaum ohne Bildschirmbruch möglich. Statt noch einmal Amazon Geld in den Rachen zu werfen für so eine Frechheit, könnte man doch auch einen Android-Ereader verwenden, dachte ich mir. Der Onys Boox Leaf klang hier trotz seines Preises von 250 Euro sehr gut: aktuelles Display mit gleicher Auflösung wie das Kindle, aber flexibles Android 10 drauf. Zack, bestellt.

Der kleine deutsche Versender unter https://ereader.store macht seine Sache gut, das Gerät war zügig da. Beim Auspacken die erste Enttäuschung: Das Gehäuse sieht aus wie Alu, ist aber aus Hartplastik – so dünn, dass es beim Halten manchmal knarzt. Für 250 Öcken habe ich mehr erwartet. Es gibt Tablets vergleichbarer Größe für 130 Euro mit Alugehäuse. Immerhin halten Schrauben statt Klebstoff allein den Bildschirm, sodass man auf Reparierbarkeit hoffen kann.

Der integrierte Shop für Ebooks ist bis auf einen ersten Test vollkommen nutzlos, weil er nur eine Handvoll gemeinfreie Werke enthält. Der Shop für Apps nutzt freie Android-App-Pakete, von denen zwar einige wichtige vorhanden sind (z. B. die Kindle-App), dies aber ohne Gewähr auf Software-Integrität. Man kann Googles Play Store an den Start bringen. Das ist aber gelegentlich ein zähes Unterfangen, weil das Verfahren schlicht oft nicht so funktioniert wie in den Anleitungen beschrieben. Es ergeben sich jeweils individuelle Haken, bei denen es dann hängt, zum Beispiel erscheinen nötige Bestätigungsklick-Links schlicht nicht.

Einstellen können, müssen

Nach irgendwann gelungenem Setup sehen alle Store-Apps zunächst sehr fransig aus, weil sie standardmäßig einen schnellen Refresh-Modus mit Dithering statt Graustufen verwenden. Das heißt, man muss bei jeder App erst einmal eine dazu passende E-Ink-Einstellung vornehmen. Dieses Thema zieht sich durchs ganze Gerät: Ja, du kannst mit einem Android-Ereader ganz viel selber konfigurieren, aber du MUSST das eben auch.

Ein Punkt pro Android war: mit Bluetooth-Tastatur auf E-Ink-Display draußen im Sonnenschein tippen. Mein bevorzugter Texteditor Jotterpad funktioniert hier zwar, ich fand aber zunächst keinen brauchbaren Kompromiss zwischen Textqualität und Refresh-Verhalten, vielleicht aufgrund von Idiosynkrasien von Jotterpad. Mit Google Notizen und Google Mail funktionierte Texteingabe wesentlich besser. An E-Ink tippen stellte sich jedoch generell als weniger nützlich heraus als gedacht. Man setzt sich zum Schreiben ja selten in die Knallesonne, und im Schatten funktionieren TFT oder OLED schlicht besser. Trotz geringem Stromverbrauch für das Display verbraucht der Leaf beim Verwenden wie ein Tablet dann eben auch Strom fast wie ein Tablet. Da ich unterwegs neben Ereader das Smartphone dabeihabe, auf dem ich gelegentlich per BT-Tastatur Texte eingebe, gibt es folglich keinen großen Vorteil. Wer wirklich auf einem E-Ink-Screen ausführliche Textarbeit erledigen will, wird sich ohnehin eher in Richtung Tablets mit über 10 Zoll Bildschirmdiagonale orientieren.

Knackpunkt Kindle-App

Bis hierher war das Gerät zwar etwas enttäuschend, aber Amazon war ja noch enttäuschender. Tendenz: Boox Leaf behalten. Flugs kündigte Amazon an, dass man in der Kindle-App für Android keine Einkäufe mehr tätigen könne, weil sich Amazon wieder einmal mit Google und Apple uneins war über Gebühren für In-App-Käufe. Dazu kommt die Inflexibilität der Kindle-App, die z. B. immer den Buchtitel zeigt, als ob man den auf jeder Seite wissen müsste. Das hätte genervt, doch eher zu Trotz anti Amazon geführt. Was mich das Leaf zurückschicken ließ, waren dessen technische Probleme mit Latenz und Eingaben. Manchmal passiert zehn Sekunden lang gar nichts nach einem Touch, bis er doch akzeptiert wird. Manchmal muss man fünf Mal drücken, bis etwas passiert – interessanterweise vor allem in den von Onyx angepassten, installierten Apps, weniger bei Installationen aus dem Play Store. Verdacht: Eingaben-Handling vs. Stromaufnahme.

Das Boox Leaf verwendet einen Qualcomm Snapdragon 636, das ist ein Achtkerner aus 2017 mit 1,8 GHz maximaler Taktung, plus einen separaten Chip für die E-Ink-Ansteuerung. Für ein kleines Tablet ist der SoC eine gängige Wahl, für einen Ereader völlig überkandidelt. Was sollen die Kerne da rechnen, das zum Einsatzzweck mit E-Ink passt? Schlimmer jedoch: Irgendwo zwischen Rechenwerk anhalten, während der Bildschirm nichts Neues anzeigt und Eingaben vom Touchscreen abwarten hakt es andauernd.

Zum Vergleich: Amazon verwendet schon lange Freescales i.MX-Reihe für ihre E-Ink-Geräte. In meinem Oasis (und neueren Paperwhites) arbeitet der i.MX 7 Dual mit zwei Cortex-A7-Cores mit bis zu 1 GHz Tankt und einem Cortex M4 mit 266 MHz Takt. Die E-Ink-Steuer-Hardware inklusive Touchscreen und gemeinsames Energie-Management integriert Freescale mit auf dem Chip. Das vergleichsweise schmale Leistungsangebot reicht für Reader völlig aus, das Komplettpaket überzeugt mit guter Integration aller Funktionen. Während es auch hier selten einmal zu E-Ink-typischen Verzögerungen kommt, ist das Niveau ein völlig anderes. Es läuft üblicherweise einfach reibungslos, bei sehr geringem Stromverbrauch. Letztendlich zeigte mein Kauf die Vorteile spezieller Nischen-Hardware (Amazons Software-Skills sind nicht der Rede wert).

Fazit

Ich habe das Onyx Boox Leaf zurückgeschickt, doch gibt es durchaus eine Nische für solche Geräte. Sie eignen sich für Menschen, die bereits etwas Erfahrungen mit E-Ink mitbringen und wissen, was sie wie mit Android erreichen wollen und können. Amazons Hickhack mit Google ist ein Schlag gegen Buchkauf-Bequemlichkeit, aber kein Kaufausschluss: Der Browser funktioniert gut genug, dass der Wechsel zum Kindle-Shop im Browser, der dann ans Leaf schicken lässt, nur so mittel nervt. Wenn Sie diesen Satz nicht ohne weiteres Nachschlagen verstanden haben, dann rate ich Ihnen, besser einen an ein Ökosystem geketteten Reader zu kaufen: Kindle, Kobo oder Tolino. Bei der Anwendung „Text Lesen“ können diese Geräte alles besser als der Boox Leaf. Und geht es übers Text lesen hinaus, können Smartphone/Tablet alles besser als der Leaf. Die Crux der eierlegenden Wollmilchsau mal wieder.

Gib mir Geld, dann gebe ich es Amazon für einen neuen Kindle. ?

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