Zurück in die Zukunft

Die Luftfahrt steht derzeit vor denselben Problemen wie die Autoindustrie seinerzeit: Auf einmal verlangt man von ihr, umweltfreundlich, sparsam und leise zu sein. Manche besinnen sich da sich auf die Vergangenheit, denn die in der Ölkrise entwickelten Lösungen sind auch heute noch interessant.

Über den Wolken, da war frei nach Reinhard Mey die Freiheit früher grenzenlos — zumindest die umweltpolitische. Keine Steuern auf den Sprit und mit den Abgasen war man auch nicht so genau. Doch die politische Lage hat sich gewandelt. Es gibt immer noch keine Steuern auf den Treibstoff, wohl aber sollen die Emissionen reduziert werden. Es gibt daher zum ersten Mal seit langer Zeit einen konkreten, kurzfristigen (für die Zyklen in der Luftfahrt), politischen Druck auf Hersteller und Fluglinien, weniger Sprit sauberer zu verbrennen. Ein ganz ähnlicher Druck existierte damals in der Ölkrise von 1979/1980, wenn auch aus anderen Gründen. Die erste Ölkrise 1973 war noch nicht lange her, da kam schon -zack!- die nächste. Ölförderung im Krisengebiet ist eben unsicher, dachte man sich und fing an, sparsamere Triebwerke für Flugzeuge auszuprobieren, damit die Gesamtbetriebskosten weniger vom Ölpreis abhängen. Als die Ölpreise sich dann jedoch über lange Zeit wieder stabilisierten, warf man die durchaus flugfähigen Antriebe in die Grabbelkiste und machte weiter wie vorher, weil es wirtschaftlicher war. Dem modernen, ab dem Kindergarten ökologisch indoktrinierten Geist mag diese Vorgehensweise dreist erscheinen. Die Luftfahrt setzt jedoch bei den Motoren andere Prioritäten als der Automobilbau. Wenn im Auto ein neuartiger Motor ausfällt, bleibt die Karre eben stehen. Wenn in einem Flugzeug die Motoren ausfallen, fällt gleich alles aus dem Himmel. Hunderte Menschen könnten sterben. Hätten Sie auf Ihrem nächsten Flug lieber bewährt ausfallsichere oder neue, weniger praxiserprobte, aber effizientere Motoren an der Maschine? Dieser Zwickmühle stehen die Flugzeugbauer für die zivile Luftfahrt gegenüber, und bisher lief es in die Richtung, dass der Passagier, der Mensch, wichtiger ist als der Eisbär. Lieber ein paar Tonnen Kerosin mehr verfeuern, das aber zuverlässig.

Typische Konfiguration: Boeing 737-800 mit zwei CFM56-7-Turbofan-Aggregaten. Gut zu erkennen der Mantelstrom außen und der Turbinenstrom innen. (Bild: Air Berlin)

Diese Rechnung geht allerdings nur auf, solange der Treibstoff günstig bleibt. Denn der Mensch mag wichtiger sein als der Eisbär, er bleibt ein Mittel zum Zweck „Geld verdienen“. Auf sehr lange Sicht gesehen ist außerdem der fossile Treibstoff als Hauptquelle von Energie begrenzt, sodass die Hersteller mit jedem vergehenden Jahrzehnt stärker in Zugzwang kommen, darauf adäquat zu reagieren. Die eingangs erwähnten Ölkrisen sorgten damals für krasse Umsatzeinbrüche bei den Fluglinien, so krass, dass die NASA ihnen zu Hilfe kam. Hierzu kurz zum Stand der Technik (damals und heute war die ja im Prinzip gleich): Der Ferienflieger, den wir alle kennen, wird in der Regel von Mantelstrom-Strahltriebwerken angetrieben. So ein Strahltriebwerk hat ein großes Schaufelrad vorne, angetrieben von einer Gasturbine innen (die wiederum hat kleinere Schaufelräder). Der Gesamtschub nach hinten ist dann der kombinierte aus der Luft, die das große Rad schaufelt und dem (normalerweise viiel kleineren) Rückstoß aus der Gasturbine. Der Vorteil dieser Art Triebwerk ist seine hohe Reisegeschwindigkeit in großen Flughöhen, der Nachteil ist eine nicht sonderlich hohe Treibstoffeffizienz. Leicht nachvollziehbare Extrembeispiele für besonders durstige Strahltriebwerke sind Aggregate mit Nachbrenner und Ramjets. Bei langsameren Fluggeschwindigkeiten befestigt man an der Gasturbine statt des Schaufelrads einfach einen Propeller, was die Sache deutlich effizienter macht, aber auch lauter. Außerdem fällt der Überschallbereich als Möglichkeit flach. Dennoch fand die NASA bei so einem Ansatz das für die zivile Luftfahrt größte Potenzial zum Sprit sparen. Eigentlich heißt so ein Antrieb Propellerturbinenluftstrahltriebwerk (PTL), oder kürzer im Alltag „Turboprop“. Die Amerikaner fühlten sich jedoch damals von diesem Begriff an ihre alten Propellermaschinen mit turbogeladenen Hubkolbenmotoren erinnert, bei denen vor lauter Vibration die Rotorblätter abfielen. United Airlines startete daher eine Kundenumfrage rund um den neuen Kunstbegriff „Propfan“: Würden Sie mit einer solcherart angetriebenen Maschine fliegen? Die recht positive Resonanz sorgte dafür, dass der Begriff fortan fürs Marketing verwendet wurde und prinzipiell dasselbe meinte.

Nach dem technologischen Vorgeplänkel der NASA stellten die Ingenieure von General Electric 1983 unerwartet früh mit ihrem Aggregat GE36 Unducted Fan (UDF) einen Antrieb hin, der schlichtweg genial gelöst war. Wirklich: Wenn Sie sich nur irgendwie für Technik interessieren, schauen Sie sich diesen Motor en detail an. Um sich etwa das in der Luftfahrt unbeliebte Getriebe (schwer, bewegliche Teile…) zu sparen, löste GE die Untersetzung von Gasturbine zu Propellerantrieb über eine weitere Turbine. Das Triebwerk war damals derart elegant, dass die Ingenieure es dieser Tage wieder aus der Mottenkiste ziehen, um eine modernisierte Variante zu bauen. Boeing propagierte den GE36 als Antrieb für die Neuentwicklung 7J7, UDF-Prototypen flogen ab 1986, und 1987 titelte die Washington Post: „Der Flugzeugantrieb der Zukunft hat Propeller.“ Die Lösung für das Problem hoher Ölpreise war da, leider war das Problem zwischenzeitlich verschwunden: Da der Ölpreis mittlerweile wieder stabil niedrig war, gab es keine Vorteile mehr für die wartungsintensiveren Propfans, die ehrgeizige 7J7 erschien nie und der kompetent kalkulierte Airbus 320 mit konventionellen Strahltriebwerken machte das Rennen.

Ein Mann mit Schnauzer prüft den CRISP-Versuchsmotor. (Bild: DLR)

Ein möglicher Flugzeugantrieb der Zukunft hat dennoch Propeller, denn die neuen politischen Probleme unserer Tage machen den Flugbetrieb ja wieder teurer. Der deutsche Antriebshersteller MTU Aero Engines entwickelt ein System, das wie beim UDF zwei gegenläufige, langsam rotierende Propeller verwendet, die diesmal allerdings vorne sitzen und außerdem ummantelt sind. Das System beschreibt sich mit „Contra-Rotating Shrouded Integrated Propfan“ (CRISP) selbst recht gut. Die Ummantelung sorgt dafür, dass die Strömung gleichmäßiger fließt, der Antrieb wird dadurch wesentlich berechenbarer und leiser. Gegenläufige Rotoren sind nämlich auf der einen Seite energieeffizient, weil weniger Energie nutzlos einen Drall, einen Luftkreisel erzeugt, doch schneidet der zweite Propeller immer direkt in den Nachstrom des ersten, was laut wird. Das deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) testet daher zusätzlich zur lärmreduzierenden Hülle an einem CRISP-Versuchsträger ein direkt am Triebwerk arbeitendes Antischallsystem. Dabei erzeugen Lautsprecher Schallwellen, die jene des Antriebs um 180° phasenverschoben überlagern und somit idealerweise auslöschen. Das kleinere Verkehrsflugzeug Saab 2000 benutzt ein ähnliches System für den Innenraum seit Mitte der Neunziger zum Komfort seiner Passagiere; Endanwender kennen das Funktionsprinzip aus Antischallkopfhörern, die gleichförmige Umgebungsgeräusche aktiv ausfiltern. Das DLR kam in seinen Tests auf Lärmminderungen von 20-30 dB, das bedeutet subjektiv im Ohr vereinfacht gesprochen etwa ein Viertel bis ein Achtel der vorher gefühlten Lautstärke. Insgesamt ist CRISP damit ein Hoffnungsschimmer für alle Flughafenanwohner, in Serie sollen solche Triebwerke allerdings erst 2025 gehen. Nochmal fünf Jahre später soll der Motor überdies einen Wärmetauscher erhalten, der die ansonsten unnütz vertstrahlte Abgaswärme an die Ansaugluft abgibt, um nochmals effizienter und sauberer zu verbrennen. Wärmetauscher arbeiten seit Ewigkeiten problemlos in stationären Gasturbinen zu eben diesem Zweck.

Bis dahin widmen sich die Leute bei MTU dem Strahltriebwerk, genauer: dem an den meisten Linienmaschinen verbauten V2500, an dem die Firma über International Aero Engines (IAE) maßgeblich beteiligt ist. Das soll nämlich ein Getriebe bekommen. Dazu sollte man wissen, dass Luftfahrtleute Getriebe wie gesagt in der Regel verabscheuen, weil dort ein ganzer Sack voll beweglicher Teile drin ist, die man alle warten muss. Die Gasturbine ist außer ihrer anderen Vorzüge auch deshalb beliebt in der Luft, weil sie wenig bewegliche Teile hat. Außerdem sind Getriebe schwer. Das Problem bei den derzeitigen Triebwerken ist jedoch, dass sie einen Kompromiss fahren, weil das Lüfterrad, das Sie am Einlass sehen können, wenn Sie in den Flieger steigen, auf derselben Welle läuft wie der Niederdruckverdichter dahinter, einem Teil der Gasturbine. Gasturbinen arbeiten bei hohen Drehzahlen effizient, das Lüfterrad wäre effizienter, wenn langsamer. Daher soll es in den nächsten Jahren (2015) bereits einen V2500-Nachfolger mit Getriebe geben, damit beide Komponenten bei optimaler Drehzahl operieren dürfen. Man verspricht sich davon 15 % weniger Verbrauch, 40 % weniger Stickoxidausstoß und 50 % weniger Lärm.

Die Überschallerektion A2 im Größenvergleich zum Airbus 380 (Bild: Reaction Engines)

Tja, hält ihnen halt das Öl 15 % länger, könnte man einwenden. Irgendwann geht es trotzdem aus. Nun ist aber ein weiterer Vorteil einer Gasturbine, dass sie rein vom Prinzip her wenig pingelig ist in der Wahl ihres Treibstoffs. Sie trinkt prinzipiell alles, was gut und einigermaßen sauber brennt. Die Anforderungen für die Luftfahrt sind da natürlich etwas höher, aber am 12. Oktober 2009 flog zum Beispiel die erste Passagiermaschine mit einem neuen 50-50-Mix von konventionellem Kerosin und synthetisierten aus jenem Erdgas, das früher einfach nutzlos über der Bohrstelle verbrannte. Das Verfahren heißt „Gas to Liquid“ (GtL), verwandelt also gasförmige Kohlenwasserstoffe in flüssige und wird irgendwann auch aus Biogas/Biomasse Flugtreibstoff erzeugen können. Aber vielleicht interessiert Sie das alles gar nicht, weil Sie der Kalif von Kalifornien sind und Ihre Zeit daher wertvoller ist als Kerosin oder Eisbären. Sie haben sich geärgert, als die Concorde ihren Betrieb einstellte. Verzagen Sie nicht, denn die englische Firma Reaction Engines will mit ihrem A2 mit Mach 5 die Interkontinentalstrecken befliegen. Das Flugzeug sieht zwar aus, als hätte es ein Grundschüler mit Größenwahn gemalt, aber das wird Sie beim Reisen nicht stören, denn es hat keine Fenster. Auch Lockheed Martin arbeitet an neuen Linien- wie Privatjets, die mit leisem Knall überschallschnell am Himmel entlang schleichen. Gelegentlich darf man sich jedoch trotz aller Fortschritte auf die fernere Vergangenheit besinnen und sich fragen, ob man wirklich unbedingt zum Preis einer Pizza nach Pamplona fliegen muss. Gar nicht fliegen spart am meisten Sprit.

to be continued.

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