Bankenzocker: Springt endlich!

August 2009. Ich hatte gerade frisch dem Büroleben gekündigt und saß sehr bohémien mit meiner Reiseschreibmaschine und einem Brandy im Teehaus über Stuttgart, um Prosa in den Prozessor zu klickern. Das Teehaus im Weissenburgpark ist ein sehr angenehmer Ort, dort essen allerdings auch unangenehme Leute zu mittag. Namentlich: Finanzheinis. Ein kleiner Trupp saß ein paar Tische weiter und unterhielt sich. Im Sommer 2009 dachte die Bild-Zeitung ja noch: „Bankenkrise, hamwa grad so überstanden. Jetz‘n Bier.“ Der deutsche (und nicht nur der deutsche) Staat war mit Milliarden von Euros eingesprungen, um ein System zu retten, das es definitiv nicht verdient hatte. Wir brauchen den Finanzmarkt nicht in diesem Umfang, er ist ein wucherndes Krebsgeschwür. Es gedeiht deshalb so prächtig, weil die Finanzheinis in den Lobbies sitzen und die Lobbies, das ist Fakt, machen die Gesetze in Deutschland. Die Politik ist nur ein Haufen ausführender Handpuppen – nur, falls sich jemand fragt, wieso Top-Politiker immer so dumm sind: es ist vorteilhaft für ihre Karriere. Aber das Thema hatten wir ja bei der Abwrackprämie schonmal.

Jedenfalls überhörte ich das Gespräch der Fina(n)zis. Sie unterhielten sich laut lachend über ihre neuesten Zockereien mit dem Geld anderer Leute. Der Staat hatte ihnen ihre Existenzgrundlage gesichert, die sie selbst verzockt hatten, aber das hatten sie gar nicht gemerkt oder als selbstverständlich hingenommen. Hahaha, Bauruine wegen Spekulation, hahaha. Hahaha, in meinen Fonds ist nur heiße Luft, merkt ja keiner, hahaha. Ich hätte aufstehen und jedem eine Watschen ins Gesicht servieren sollen – und wenn sie entgeistert gefragt hätten: „warum?“, dann gleich noch zwei hinterher. Dazu war ich jedoch zu gesetzestreu, zu faul und zu besoffen, sie sind mir entwischt, bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, was mit solchen Subjekten zu tun sei. Zuhause bestellte ich mir ein Shirt mit dem Zitat:

Jump!
You Fuckers!

Dieser wütende Ausspruch stammt von einem Protestanten an der Wall Street, der Ende 2008 verzweifelt über seine Ohnmacht und die Gewissenlosigkeit war, mit der sie ausgenutzt wurde. Bei früheren Bankenkrisen hatten einige Banker zumindest noch Ehrgefühl, zumindest noch den Anstand, zu springen. Heute lässt man sich seine verzockten Milliarden vom Staat ersetzen und kümmert sich allein um Gewinne aus dem Alptraum, der das gegenwärtige Finanzwesen darstellt. Zeit, aufzuwachen. Denn es bringt nichts, die Banken zu retten, sie machen unterbrechungsfrei so weiter – ohne Scham, ohne Unrechtsbewusstsein und am wichtigsten: ohne eigenes Risiko, denn das trägt der jeweilige Staat ja. Das ist kein Kapitalismus mehr, das ist ein Kriegsherrenkasino. Es steht uns eine massive Entwertung des Euros ins Haus, und das liegt nicht an Griechenland oder den nächsten Bankrottkandidaten (Irland? Portugal?), sondern es liegt zunächst mal an einem krankhaft aufgeblähten Finanzmarkt. Bankrottstaaten sind eher Opfer der Finanzwelt als die Ursachen ihrer Probleme. Wer in den letzten Jahren den gigantischen Betonfriedhof aus Immobilienspekulationsblasen-Bauruinen gesehen hat, aus dem Südspanien heute besteht, weiß, was ich meine.

Hypo Alpe Adria, Bavaria und wir
“Wiiir lagen vor Karlovacko u-hund hatten die Pest im Hintergrund!“ (Bild: Philip Herzog)

Ich möchte auch mit dem Märchen aufräumen, dass Finanzzocker ganz besonders gerissen und schlau sind. Das stimmt nicht. Sie sind meistens ziemlich dumm. Man muss nicht schlau sein, um sich Milliardenbeträge fremden Geldes zu leihen, um damit würfeln zu gehen, es reichen Gier und Skrupellosigkeit. Diese Dummheit macht es gerade so schlimm: Sie verzocken den Boden, auf dem sie stehen, und merken das nichtmal. Reue? Eh nicht. Ende 2009 legten wir mit einer Segelyacht in der kroatischen Adria an einem guten Restaurant an. Dort lagen zwei große Motoryachten inklusive Bordnutten, Mieter: großes Tier bei der Hypo Alpe Adria, einem Geldsumpf par excellence. Wenn Reue so aussieht, mit ein paar Nutten den Weinkeller zu plündern, dann bin ich jetzt auch reuig, mal egal, wofür. Gut bemerkt: Wir lagen da auch. Der Unterschied (außer einem Haufen Geld nebst einigen Nutten natürlich): Wir gehören zum wirtschaftenden Wirtskörper, die zum Parasiten. Nicht falsch verstehen: Es soll jeder sein Geld verprassen, wie er mag, vor allem im Urlaub, und sei es noch so viel. Aber: SEIN Geld. Und: Ich will verantwortliche Köpfe rollen und nicht beim Dekadieren sehen.

Es steht also eine massive Inflation an. Weiters sollte man sich über Bankrott gehende Staaten in der nächsten Zeit nicht wundern. Selbst die USA sind längst pleite, sie operieren auf geborgter Zeit, indem sie den Dollar ans Rohöl hängen. Sobald weltweit Öl für Euro verkauft wird, gehen sie unter wie ein Stein. Saddam Hussein hat damals angekündigt, er wolle Öl für Euro verkaufen. Da hatte er – huch! – auf einmal Massenvernichtungswaffen und die Kavallerie rückte aus. Die beste Idee seit langem ist die Finanztransaktionssteuer, die – selbst im niedrigen Promille-Bereich angesetzt – Dutzende Milliarden Euro in die Staatskasse (zurück)bringt. Das entsprechende Gesetz dazu wird von der Finanzlobby derart weichgekocht, ja: umgekrempelt werden, dass am Ende wir das an der Supermarktkasse zahlen sollen. Just you wait.

Ja, ich sehe dieselbe Ohnmacht wie dieser Typ an der Wallstreet. Deshalb trage ich wenigstens mein Shirt, und finde, jeder sollte eines im Schrank haben, so für den Spaziergang durchs Bankenviertel. Es gibt im Internet viele Anbieter, die einem das auf ein Shirt drucken. Ich habe pützisch dienstleistend da mal was vorbereitet für alle, die das fertig haben wollen: Klickstu hier. Und ich hoffe wirklich, dass sich möglichst viele Deppen aus Finanzwelt wie Politik die Botschaft zu Herzen nehmen: Wir brauchen euch gerade jetzt gar nicht. Bitte springt einfach.

Jump! You Fuckers!

Wer keine Ahnung hat, von was ich grad rede, sollte sich das Interview in der Main Post zu Gemüte führen, den Fernsehbeitrag im ZDF, sowie den Film „Let‘s Make Money“:

Terrorismus an Finanzmärkten (Main Post)

Finanzkrise 2.0 (ZDF)

Let‘s Make Money (Amazon)

Weitere Links in den Kommentaren

Kommentare:

ältere
  • Clemens Gleich meinte am 9. Juni 2010 um 19:33:

    Kommt soeben der Hinweis auf den Betrügerfall Madoff rein. Die Bildklickstrecke der SZ sagt: „Ausdruck der Dramatik ist die Tatsache, dass sich der Fondsmanager, der ihr Geld bei Madoff angelegt hatte, in New York erschoss.“

    http://www.sueddeutsche.de/geld/die-gesichter-des-madoff-crashs-reingelegt-und-abgezockt-1.473620-4

  • Clemens Gleich meinte am 10. Juni 2010 um 14:43:

    Uwe Dolata bei Erwin Pelzig im BR über unsere „Lobbykratie“, Würzburgs „Anlügeberater“ und das „korrupteste Land der Welt“:

    http://bertjensen.info/uwe-dolata-zu-gast-bei-pelzig-unterhaelt-sich/

    Main Post über die Sendung:

    http://www.mainpost.de/lokales/franken/Wuerzburger-Uwe-Dolata-zu-Gast-bei-Pelzig-unterhaelt-sich;art1727,5532361

  • leser meinte am 16. Juni 2010 um 9:46:

    Apropos Kroatien:
    Hieß es vielleicht „Wir lagen vor Karlobag und hatten Karlovacko an Bord“?
    Denn die Küstenstraße südlich von Karlobag kann es mit _der_ Panoramico aufnehmen, meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Mal probiert?

    Regards!

  • Clemens Gleich meinte am 16. Juni 2010 um 10:04:

    Singt man „KarloVAcko“ mit derselben Verve wie „MadaGASkar“, ergibt das einen großartigen Klang, finde ich. Die Küstenstraße bei Karlobag kenne ich nicht, nehme sie aber hiermit in die „Liste Der Schönen Straßen“ auf, um sie fahren zu können, wenn ich in der Gegend unterwegs bin.

  • Birkenfeldt meinte am 22. Juni 2010 um 21:29:

    So so, der kleine Clemens liest also ein Interview in einer Provinzzeitung und schaut sich ein paar Filmchen an und dann erklärt er uns die Welt: Banker sind böse und gierig und deshalb kommt bald eine Inflation und wir verlieren wegen denen unser ganzes Geld. Schön erklärt und vor allem so einfach. Nur trotzdem falsch. Die bösen Banker machen auch nichts anderes als der Dackel meiner Tante: Wenn man ihm einen Ring Fleischwurst vor die Schnauze hält, schnappt er zu.
    Die Ursachen dieser Schuldenkrise liegen im Geldsystem, im Zinseszins und vor allem in der verfehlten Notenbankgeldpolitik der vergangen (Krisen)Jahre. Rezessionen und Schuldenabbau (über Deflation) werden nicht zugelassen, sondern sofort mit mehr Geld (Fleischwürsten) „bekämpft“. Der ach so böse Banker macht nur seine Arbeit, nämlich: versuchen, für die hingehaltene Fleischwurst die höchste Rendite zu erzielen. Dieses Finanzsystem nähert sich seinem Ende, die Banker sind daran aber am wenigsten Schuld.
    Zum vertiefen:

    http://ef-magazin.de/2008/12/16/857-wirtschaftskrise-hurra-wir-sind-bankrott

    http://ef-magazin.de/2010/06/15/2235-zwischen-deflation-und-inflation-und-die-rolle-der-politik-steuergelder-fuer-pigs-und-andere-schweine

    http://ef-magazin.de/2008/05/30/weltfinanzmaerkte-frankensteins-jammern

  • birkenfeldt meinte am 22. Juni 2010 um 21:46:

    Nachtrag: Klartext zur Schuldenkrise mit einfachen Worten

    http://www.wiwo.de/finanzen/waehrungsabwertung-ist-ein-suesses-gift-430982/

  • Clemens Gleich meinte am 22. Juni 2010 um 22:36:

    Hey Birkenfeldt,

    danke für die Links, werde sie mir als Hintergrund reinziehen. Meine Kritik bleibt: Ein Mensch ist mehr als der Dackel Deiner Tante, ich stelle moralisch-ethische Ansprüche an ihn. Das ist natürlich kein alleiniges Problem des Finanzsektors. Journalisten sind ja zum Beispiel ebenfalls scheiße. Dennoch: die Argumentation mit der Wurst lasse ich nicht gelten, genauso könnte man sagen: „die Diebe können nix dafür, die anderen sollen besser aufpassen.“

  • AVG meinte am 10. Juli 2010 um 15:55:

    Nachdem das WM-Getröte nun endlich vorbei ist, haben vielleicht schon ein paar Mitbürger mitbekommen, was die Bundesregierung uns in der Zwischenzeit klammheimlich untergejubelt hat.
    Zum Springen habe ich mir hier ein paar Gedanken gemacht:

    [Anmerkung des Leserbriefonkels für Eilige: Das Video enthält keine Infos, es ist nur eine Art Aufforderung zu aktiver Demokratie.]

  • Chris G. meinte am 4. Januar 2011 um 4:28:

    Clemens das was Heute ueber die Buehne geht hat sich doch schon vor so ziemlich genau 80 Jahren bei Uns genau so abgespielt.Die Akteure und Opfer waren damals genau Diesselben wie Heute.Das Ende der Weimarer Republik.
    Bis uns ein kleiner Mann aus Oesterreich versuchte zu erretten.
    Fuer [seine Taten] bezahlen wir Deutsche noch Heute…:-(
    Natuerlich war alles damals Scheisse unter Adolf und Heute ist trotz Allem alles toll und frei und geil…;-)
    Wir wollen ja nicht als Deutsche das traurige Schicksal unseres Mitbuergers Horst Mahler teilen der sein Grundrecht auf freie Meinungsaeusserung wohl als echtes Grundrecht und Nicht alten DDR-Witz genommen hat.
    Ja wir wissen lieber BRD-(Besatzungs)Verfassungsschutz „Die Erde ist eine Scheibe“…;-)
    Wenigstens wird man in der BRD heute als Ketzer nicht mehr verbrannt sondern bekommt nur Staatspension aufgebrummt was bei der heutigen Arbeitsmarktsituation und daraus folgenden Obdachlosigkeit auch sein Gutes haben kann…;-)

  • Clemens Gleich meinte am 4. Januar 2011 um 14:28:

    Chris, Adolf Hitler war selbst ein Bankenzocker der schlimmsten Sorte. Stichwort Mefo-Wechsel. Weiterhin veranlasst Du mich zu etwas, das ich noch nie getan habe: Kommentare editieren. Deine Mitteilungen enthalten Rassenhetze, für die ich als Seitenbetreiber mit verantwortlich bin. Bitte beschränke Dich auf eine (von mir aus beliebig krasse) Meinung.

  • Wir empfehlen: Harakiri | Wolfgang Lonien meinte am 9. November 2011 um 8:03:

    […] ja früher hat es noch Anstand gegeben, wie auch Clemens in seinem sehr lesenswerten Artikel „Bankenzocker: Sprint endlich!“ geschrieben hat. Früher sind Banker bei Verlusten noch aus den Fenstern gesprungen. Heute […]

  • sinsser meinte am 9. November 2011 um 9:16:

    Zitat (aus 06/2010):
    Es steht also eine mas­sive Infla­tion an. Wei­ters sollte man sich über Bank­rott gehende Staa­ten in der nächs­ten Zeit nicht wun­dern

    Also Clemens, ich muss schon sagen:
    Recht gehabt. Respekt.

    PS: Das T-Shirt ist schon so gut wie bestellt.

  • Clemens Gleich meinte am 9. November 2011 um 9:57:

    Das war ja nicht schwer, da Recht zu behalten, die Fakten standen schon lange fest, bevor ich das überhaupt geschrieben habe. Das wirklich Traurige hierbei ist: Es stand wie mir jedem Politiker, jedem Entscheider, jedem wichtigen Banker schon länger als mir frei, diese Entwicklung zu sehen und was zu machen. Sie tun es jedoch nicht. Und an diesem Punkt finde ich meine Verurteilung solchen unmoralischen asozialen Verhaltens als gerechtfertigt. Solche Subjekte sind Soziopathen in einem sehr klassischen Sinn.

    Wenn ein langjähriger Investment-Zocker die Wahl hat, ob er seine Firma ins Unglück stürzt oder die Welt (nach uns die Sintflut), dann muss er selten zwei Mal denken und sein Chef muss nie eine moralische Entscheidung fürchten. Man kann jetzt sagen, er hätte keine Wahl. Aber das wäre gelogen. Er hat nur keinen sozialen Antrieb und keinen Mut dazu. Dafür gibts halt bitte kein Mitleid.

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