Brutaler Reisen: Z 1000 vs. Brutale

Aus unserer Reihe „Vergleichstests von Motorrädern mit Exzenter“ heute: Touring-Test der neuen Kawasaki Z 1000 gegenüber der MV Agusta Brutale 990 R.

Wenn man Menschen, die eine Reise tun wollen, zuviel Zeit zum Überlegen gibt, tendieren sie dazu, ihren gesamten Hausrat ans Motorrad zu schnallen. Ted Simon beschreibt das Dilemma in seinem Reisebuch „Jupiters Fahrt“
recht gut:

Ich wusste, dass ich zuviel mitschleppte, aber […] ganz allgemein war ich ein Opfer des Gabel- und Löffel-Dilemmas: Wenn du eine Gabel mitnimmst, warum nicht auch einen Löffel, wenn Salz, dann gewiss auch Pfeffer.

Das geht dann in unseren Breiten und Tagen weiter quer durch den Touratech-Katalog, für den man natürlich erstmal eine komplett mit Originalzubehör behängte BMW R 1200 GS Adventure braucht. Wer nur genügend lange nachdenkt, kommt irgendwann zwangsläufig beim Hymer-Wohnmobil an oder bleibt gleich daheim. Mit Denken kommt man beim Motorradfahren generell nicht sonderlich weit, also habe ich die Initiative „ohne Denken einfach losfahren“ (ODEL) ins Leben gerufen. ODEL besteht im Prinzip darin, sich auf eine MV Agusta Brutale 990 R und eine Kawasaki Z 1000 zu setzen, je drei Unterhosen in die Hecktasche zu werfen und dann Richtung Sonnenuntergang zu reiten. Diese Motorräder sind Naked Bikes, die man in der Garage haben und eigentlich alles damit machen kann – zum Beispiel auch Reisen. In bester Vergleichstesttradition vergleiche ich also hier „Motorräder mit besonders schöner Exzenter-Kettenspannerei“.

MV Agusta Brutale 990 R

Kurvige Linie und weiterhin das bescheuertste Cockpit der Welt (Bild: MV)

Zugegebenermaßen hatte ich dunkle Vorahnungen dabei, ein italienisches Motorrad für eine Tour zu nehmen. Als ich das letzte Mal italienisch fuhr, fiel ein Spiegel ab, noch bevor der Motor wegen irgendeines Elektronikproblems stoppte. In bester Tradition kam die Brutale auf den MO-Hof und funktionierte nicht: Batterie kaputt. Mit einer neuen Batterie war sie dann doch zum Mitkommen zu überreden, außerdem enthielt ein Taschenfach ausschließlich Elektrikhilfen: Überbrückungskabel, Posi-Taps, gemantelter KFZ-Kupferdraht, crimpgeeignetes Multifunktionswerkzeug. Um das Ende vorwegzunehmen: Die Brutale hielt durch, an ausgefallener Elektrik gab es nur die Blinkanlage zu vermelden. Keine abgefallenen Teile. Das verstehen Japanfahrer jetzt nicht, aber sowas ist für Italomaterial eine ziemlich gute Bilanz. Heute geht die Blinkanlage übrigens auf einmal wieder, es gibt also glücklicherweise keinen Grund mehr, sich mit der Spaghettielektrik zu befassen.

Das war dann auch schon die Kritik. Denn die Brutale ist überraschend gut zum Reisen geeignet. Das Fahrwerk schafft einen bemerkenswerten Spagat zwischen Straßenhaftung und Komfort bei erstklassigem Ansprechverhalten. Letzteres ist der Grund für die Freude selbst am Geradeausfahren: es funktioniert so gut, dass sich der Mensch im Sattel über jede perfekt durchexerzierte Unebenheit freut. Der Sitz ist hart, doch dauersitztauglich, es gibt ein brauchbares MV-gebrandetes Weichgepäcksystem von Givi und die Ergonomie ist gut – mit Ausnahme des rechten Fußes, der beim Fahren mit dem Ballen auf der Raste vom Hitzeblech der Auspuffanlage in eine leichte X-Bein-Position gedrückt wird.

Der Motor ist ein alter Bekannter, als Variante hatte ich den in meinem ersten MO-Patenkind, einer mattschwarzen MV Agusta F4 1000. Er klingt wie so ein Ferrari-Rennmotor von anno dazumal und knurrt selbst an der Ampel so kernig, dass alle gucken. Generell wickelt er den Fahrer in einen Kokon aus Brummelbass, den der Fahrtwind erst außerhalb der Ortschaften durchbricht. Manieren hat er keine. Er geht ans Gas wie ein Lichtschalter und lastwechselt mit zwanghaften Tourette-Spastiken. Manchmal, sehr selten verschluckt er sich dabei derart, dass er ganz ausgeht. Man vergibt ihm das, weil er zum Gesamterlebnis passt, das der Name „Brutale“ perfekt beschreibt. Alles ist straff, alles ist direkt, alles wirkt muskulös, voll kaum beherrschter Kraft. Selbst Trivialitäten wie „Gang einlegen“ inszeniert die MV kinoreif: *K-tschugg*, es ist wie das Durchladen eines gut geölten Gewehrs. Die Brutale ist für alle, die Motorrad fahren als emotionalen Trip verstehen, auf den einen eine Maschine mitnehmen muss. Sie werden diese Maschine hassen, wenn (nicht falls) die Elektrik schließlich komplett den Geist aufgibt, aber den Rest der Zeit werden sie das Teil innig lieben.

Kawasaki Z 1000

Schön gemachte Proll-Details freuen den Kawa-Käufer. (Bild: Kawa)

Die Kawasaki Z 1000 erblasst im Vergleich. Beim Tausch sagte der Kollege, der einen Einzeltest Z 1000 machen wollte, den bezeichnenden Satz: „Ich hätte die Brutale gar nicht fahren sollen.“ Das liegt daran, dass die Z 1000 unter ihrem prolligen Äußeren, unter ihren vielen Plastikblenden, unter ihrem Schlangenledersitz einfach ein gut gemachtes japanisches Big Bike ist. Sie fährt sich genau so, wie man sich das vorstellt: Gut. Einfach. Zuverlässig. Alles Adjektive, mit denen man keiner Frau Komplimente machen kann, alles Adjektive, die somit auch ein Motorrad nicht klar in die Spaßecke stellen. Der Vergleich ist unfair. Der Kollege hat ein bisschen recht: Wenn man die Z 1000 ohne Vergleich fährt, fließen die Emotionen deutlich klarer. Der Motor zum Beispiel knurrt unten weniger schön, weil er sich im Gegensatz zur Brutale an Geräuschvorschriften hält, doch obenraus heult er wie ein apokalyptisches Monster und vibriert diese kleinen Fußknochen in neue, interessante Positionen.

Beim Anhalten ist die Kawa etwas, über das man sich freuen kann. Kawasaki hat zum Beispiel die Felgen aus Aluguss erst schwarz anodisiert, dann abgeschliffen, dann poliert, dann klar überlackiert – Optiktuning, das sonst Tuner für entsprechendes Geld machen. Dasselbe machen die grünen Japaner mit den Fußrasten, sodass sie anders als die stumpfen MV-Rasten selbst im Regen griffig bleiben, weil sie eben scharf geschliffen wurden. Und Exzenter sind halt einfach die schönere Variante, Ketten auf korrektem Durchhang zu halten. Mit der Brutale mag man in Mailand besser angezogen sein, aber kein aktuelles Motorrad toppt die neue Z 1000 im Ruhrpott, in Bottrop, Dortmund oder Bochum. Wenn sie einen Vornamen hätte, dann wäre es Gunter oder Reinhold oder Kalle; ein bodenständiger Kumpel halt, der Bierflaschen mit den Zähnen aufmacht und menschliche Flaschen mit einer Hand aus macht. Ich mag sie. Sie ist sympathisch. Nur: Wenn ich die Entscheidung zu treffen hätte, mit wem ich leben will, würde ich statt meinem Kumpel Günni die heiße Italienerin nehmen. Es wird eine süchtige Hassliebe sein, eine emotionale Achterbahn, und in einer Welt, in der man jetzt mit Knieschonern Fahrrad fahren soll, ist sie glaube ich das einzig richtige Gegenmittel.

Brutale (hier die 1090): Antithese zu Fahrrädern mit Knieschonern (Bild: MV)

MV Agusta Brutale 990 R MJ 2010

Ist: eine emotionale Achterbahn.
Kos­tet: 15.500 Euro
Leis­tet: 139 PS (102 kW) bei 10.600 U/min
Stemmt: 106 Nm bei 8.000 U/min aus 998 ccm
Wiegt: 215 kg voll­ge­tankt
Tankt: 23 Liter Super Werksangabe (real wohl weniger), schenkt sich allerdings selbst beim Bummeln schon 7-8 Liter ein.
Hat: ihren Namen zu Recht.­

“Hallo. Ich bin der Reinhold. Ich mache Bierflaschen mit den Zähnen auf und wenn du mich anmachst, mach ich dich aus.“ (Bild: Kawa)

Kawasaki Z 1000 MJ 2010

Ist: ein echter Kumpel.
Kos­tet: 11.295 Euro
Leis­tet: 138 PS (102 kW) bei 9.600 U/min
Stemmt: 110 Nm bei 7.800 U/min aus 1043 ccm
Wiegt: 223 kg vollgetankt
Tankt: 15 Liter Super. Wie niedlich. Ein Tank für Kettenraucher.
Hat: geschliffene Rasten, geschliffene Felgen, ungehobeltes Design und natürlich einen Exzenter.

Update: Zu früh gelobt. Die MV steht auf dem Hof und ölt aus dem Kupplungsdeckel. Schrauben nachziehen half nur bedingt, auf der testweise befahrenen Autobahn ölte sie wieder. Und die Blinker funktionieren auch nur noch 50 Prozent der Zeit. Italienische Motorradmomente.

In MO 5-2010 steht eine ausführliche Reisegeschichte um und mit diesen beiden Motorrädern.

Kommentare:

ältere
  • Winfried v.B. meinte am 19. August 2010 um 21:14:

    Der Artikel in MO war besser. Wo ist der Haaaaadmuuuud?

  • Die Inspiration des Proleten : Mojo-Talk meinte am 22. Oktober 2010 um 11:57:

    […] Vergleich geil vs. Z 1000 […]

  • Mülder meinte am 13. Januar 2014 um 21:55:

    Die Brutale hat schon was,außer der hässliche Frontscheinwerfer.Zwei geile Bikes!
    Kawa übertreibt es mit seinem Plastikschnikschnak,Motormässig erste Sahne.
    Fahre selber eine ZRX, (R),hoffentlich noch sehr lange,bestes Bike bis dato….

  • Hintergrund und Kurzvergleich: Triumph Speed Triple R vs. Yamaha MT-10 – Mojomag meinte am 25. September 2016 um 15:59:

    […] Genauso sinnloser Vergleich MV Agusta Brutale 990 vs. Kawasaki Z 1000 […]

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