Die Kirche: Abmahnung als Zensur

Das Bistum Regensburg lebt in einer seltsamen Kommunikationswelt. Als diese Diözese (ein Synonym zu „Bistum“) ihren Teil des Fetts der aktuellen Missbrauchsdebatte abbekam, tat sie das PR-technisch denkbar Ungünstigste: Sie versuchte und versucht aktiv, Meinungen zu zensieren, was zu einer angeregten Diskussion über sie führt, die wiederum zu Häufungen direkt damit begründeter Austrittsbekundungen führt. Sie bestreitet dabei nichtmal die Missbrauchsfälle, denn die sind polizeilich aktenkundig, sondern sie hängt sich an einzelnen Formulierungen auf, bei denen es um Geldsummen geht, die zwischen Familien von Opfern und der Regensburger Filiale der Kirche geflossen sein sollen. Der Spiegel berichtete im Februar 2010 unter der Headline der Titelgeschichte „Die Scheinheiligen — Die katholische Kirche und der Sex“ unter anderem von den Vorfällen in Regensburg. Dabei beanstandete die Diözese Textpassagen, die nahelegen, sie „habe durch die Vermittlung einer Geldzahlung bewirken wollen, dass der in Rede stehende Vorfall nicht an die Öffentlichkeit komme.“ (Zitat aus der einstweiligen Verfügung) Besonders grotesk wird das Vorgehen, weil eben diese Anschuldigungen schon damals, als der Fall öffentlich wurde, groß in den Zeitungen waren, im Springer-Verlag in Bild und Welt. Beim Springer-Verlag ist meines Wissens nach bis heute keine einstweilige Verfügung dazu eingegangen.

Dafür ist eine solche bei jemand viel Kleinerem eingegangen, bei Stefan Aigner, der die lokale Nachrichtenseite regensburg-digital betreibt. Er schrieb im März 2010 über die Vorfälle samt ihrer Nachwehen. Die Kritik Stefan Aigners bleibt weitgehend erhalten, er musste allerdings einige Passagen entfernen — nach einer einstweiligen Verfügung des LG Hamburg. Das ist jetzt von Regensburg geografisch gesehen nicht der nächste Weg. Gesinnungstechnisch gesehen ist das LG Hamburg wiederum ganz nahe am Bistum Regensburg. Es hat eine lange Geschichte von Urteilen gegen die Meinungsfreiheit, die es in meinen Augen zu einer kümmerlichen Karikatur eines deutschen Gerichtes degradiert. Da eine Internetseite in Hamburg geladen werden kann, darf man mit jedem Internetseitenproblem dort antanzen, also kommen passende Kläger in einer Art Rechtstouristik in Strömen.

In meiner Zeit beim Heise-Verlag hatten wir immer wieder Probleme mit dem Tag Team of Evil, der Kombo aus ballerinenhaften Klägern, gesellschaftsparasitären Anwälten und eben der Zivilkammer 24 (Pressekammer) des Landgerichts Hamburg. Meines Wissens nach wurden sämtliche Urteile gegen den Heise-Verlag von übergeordneten Gerichten später nichtig gemacht, selbst das unsägliche Heise-Forenurteil darf nach einer entsprechenden Entscheidung 2007 des Bundesgerichtshofs zu Forenurteilen da hinsortiert werden, wo es von Anfang an hingehörte: in den Müll. Ich wünschte mir nur, sie würden sich den jedes Mal langen und teuren Umweg sparen, bevor ihre Rechtsauffassungen da landen. Das nur zu den Hintergründen dieses Gerichts, das auch diesmal wieder als Vollstrecker einer de-facto-Zensur herhält.

Der Anlass meines Postings, zu dem ich wie immer sehr zeitig, heute schon im vierten Absatz komme, ist jedoch die Berichterstattung von Stefan Niggemeier. Der betreibt ein Weblog, auf dem eine angenehm ruhige, reflektierte Metabetrachtung aktueller Medienereignisse stattfindet. Sein Artikel beschreibt die Vorgänge beim Spiegel und bei Stefan Aigner, er enthält außerdem die Fragen, die er dem Bistum Regensburg gestellt hat. Er enthält sogar die vorhersehbare Antwort von dort: kein Kommentar. Was mir daran den Brechreiz in den Hals treibt, ist jedoch: die Diözese Regensburg (beziehungsweise deren Anwalt) hat Stefan Niggemeier eine Unterlassungserklärung geschickt, weil er sich die Aussagen in seinem Meta-Artikel „ohne Distanzierung“ zu eigen gemacht habe. Wie bitte? Ohne Distanzierung? Wenn man Zitate Dritter noch klarer kennzeichnen wollte als Stefan Niggemeier, müsste man unter jeden Buchstaben „ZITAT“ mit drei Ausrufezeichen schreien. <- Nein, da fehlt kein „b“. Er hat die Unterlassungserklärung bis dato nicht unterschrieben. Es steht also zu erwarten, dass die Regensburger die Tage wieder nach Hamburg rennen, um dort entsprechende Rechtsmittel zu verlangen.

Diese Abmahnfreudigkeit in Verbindung mit solchen Gerichten ist mehr als ein Ärgernis, sie ist eine reale Bedrohung des freien Meinungsaustausches im Internet. Die aktuelle Situation gibt jeder juristischen oder realen Person mit Macht Mittel in die Hand, Schwächere mundtot zu machen, denn für eine einstweilige Verfügung findet keine grundsätzliche, abwägende Prüfung des Falls statt. Man kann widersprechen und sich dann auf einen potenziell langwierigen Prozess vor Gericht einlassen, der die meisten schon vorab eingeschüchtert einlenken lässt. Ich habe keinerlei Respekt für ein Mitglied einer eigentlich sozialen Organisation wie der Kirche, ein Bistum, das auf für mich unsäglich unangemessene Weise mit Schuld und Verantwortung umgeht und dann auch noch gegen alle auskeilt, die über so ein Verhalten öffentlich diskutieren möchten. Ich habe keinerlei Respekt für Anwälte, die sich als Komplize solcher Klienten schmarotzend bereichern, schmarotzend an den Grundwerten des demokratischen Rechtsstaats an sich. Und ich habe keinerlei Respekt vor einem Gericht, das vorhersehbar das Recht des Stärkeren spricht. Denn dafür braucht‘s kein Gericht, da können wir‘s auch gleich lassen mit unserem Langzeitversuch Rechtsstaat.

Kommentare:

ältere
  • Tweets die Die Kirche: Abmahnung als Zensur | MoJomag – Die C-Straßen des Motorweb erwähnt -- Topsy.com meinte am 5. Mai 2010 um 1:37:

    […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Regensburg RTs und vera, Clemens Gleich erwähnt. Clemens Gleich sagte: Das Bistum Regensburg geht rechtlich gegen Berichterstattung über Berichterstattung über sich und seine Missbräuce vor. http://bit.ly/8YKvQn […]

  • Linktipps: Gewalt gegen Kinder in der katholischen Kirche | DELIJO meinte am 9. Mai 2010 um 8:14:

    […] Die Kirche: Abmahnung als Zensur […]

  • alfred meinte am 4. Mai 2023 um 18:22:

    “antörnt”: Da kann ich natürlich nun überhaupt nichts zu sagen, aber Weinreich hat seit Beginn dieser Auseinandersetzung sehr deutlich festgestellt, dass er nicht nur nun wirklich besseres zu tun hat, als diesen sinnlosen Kampf zu kämpfen, sondern dieser ihm darüber hinaus auch tatsächlich existenzielle Befürchtungen verschafft. Er also gut darauf verzichten könnte.

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