Dr. Gleichsam #1: Die Reiseenduro-Aufstellung

Diese Geschichte erschien damals unter „Roads to Nowhere“ in der MO. Der Heftplanung geschuldet war das stark gekürzt, mit Dingen wie „1000 km später dann“ darin. Hier deshalb die Geschichte, wie ich sie für richtig halte im Umfang. Es geht um Reiseenduros.

Die Reiseenduro und ich, wir hatten immer ein gespanntes Verhältnis. Sie ist eine Maschine, die an warme Abenteuergefühle appelliert, von denen ich offenbar keine habe in meinem kalten deutschen Ticktackherzen. Aber wenn man sich nie auf etwas einlässt, wird man nie verstehen, warum es jemand toll findet. Deshalb war ich begeistert von der Idee, durch die Alpen möglichst nur auf Schotterpisten zu fahren, bis wir unten in Nizza wären – mit Zelten (was ich sonst vermeide), in der Gruppe (was ich sonst vermeide) und alle auf Reiseenduros (die ich sonst vermeide).

Was eine „Reiseenduro“ wirklich ist, kann nicht mit dem Duden belegt werden, sondern beschreibt einen weit variablen Kompromiss zwischen Langstreckeneignung auf Asphalt und Spaßeignung ohne Asphalt. Wie bei der Abwägung zwischen aktiver und passiver Sicherheit muss auch beim Reisen jeder seinen eigenen optimalen Kompromiss finden. Für mich lag der von den Datenblättern her recht genau bei der KTM 690 Enduro (mit und ohne R): Fährt besser auf der Straße, als ihr Aussehen das vermuten lässt, fährt trotzdem so gut auf losem Grund, wie ihr Aussehen das vermuten lässt. Dieses Motorrad kippte der Herr Bikeshuttle also ganz termineng am Abreisetag bei mir ab, ich belud die gigantischen Touratech-Alukoffer und raste über die Autobahn in die Schweiz, wo wir uns treffen wollten.

Touratech und ich

Sehr schnell stellte sich ein Thema ein, das mich die ganze Reise über begleiten sollte. Nennen wir es „Touratech“. Ich habe diese Firma noch nie verstanden. Soweit ich das sehen kann, verkaufen sie zwei Dinge: a) unnützes Gewicht zum an deine BMW schrauben und b) Sachen, die tatsächlich eine Funktion haben in schlechter aber teurer als fast alle Alternativen. Wahrscheinlich verkauft sich das Zeug über den guten Namen. Das Koffersystem gehört zur Kategorie b) des Sortiments. Es ist auf einem Stahlrohr-Hilfsrahmen montiert und baut unfassbar breit (siehe Bild). Der Hilfsrahmen drückt deine Beine in O-Position, sobald du mit den Ballen auf den Rasten stehst. Die Beifahrerrasten am Rahmen schlackern im Wind, denn Touratech baut sie ohne Rastung. Die Koffer selbst halten dicht, bis ein mikroskopischer Partikel sich auf den viel zu klein dimensionierten Dichtungen einklemmt, dann laufen dir die Koffer voll Soße. Immerhin passt ein bisschen was hinein. Ich warf einfach alles, was ich in der Schnelle finden konnte in die Dinger und fuhr los. Auf der Autobahn zeigten die Koffer eine weitere Seite, die ich hassen konnte: Das Motorrad pendelte ab 160 km/h stark und verbrauchte so viel Sprit, dass ich bei schnellerem Tempo Tanketappen von mageren 140 km schaffte. Unter meinem im Fahrtwind wabbelnden Pseuduro-Helmschildchen begann ich, meine Entscheidung zu bereuen.

Aber wie das halt immer so ist: Nachdem ich die Anderen an dem See-Campingplatz mit einiger Verspätung gefunden und mein Anlegerbier intus hatte, sah mein Leben schon wieder rosiger aus. Alkohol lässt einen den Problemkreis Touratech in einem entspannteren Blickwinkel sehen. Vielleicht könnte ich die Kofferklumpen ja auch einfach im See versenken. Als hätten wir uns abgesprochen, hatten wir das gesamte Reiseenduro-Spektrum dabei. Ganz unten die Honda CRF 250 L: viel Spaß für wenig Geld, aber wenig Leistung und geringe Praxis-Tankreichweite (140 bis 160 km), was auf den langen An- und Abfahrtetappen nervt. Fahrer: Marc „Griesgram“ Szodruch. Dann die Yamaha XTZ 660 Ténéré: riesige Praxis-Tankreichweite von über 350 km, bequem, stylisch (finde ich), anspruchslos, aber 210 kg schwer und breit wie ein Vierzylinder. Fahrer: Stephan Fritsch. Die KTM 690 Enduro R baut schmal, schafft (wenn man langsam fährt) reale Tanketappen von 250 km, wiegt 156 kg vollgetankt, nervt allerdings mit zwei besonders merkwürdigen Dingen: serienmäßig ist kein Bordwerkzeug oder auch nur ein Platz dafür vorgesehen, und der Lenkanschlag erinnert mehr an eine Ducati Monster als an eine Enduro. Fahrer: moi. Und schließlich am oberen Ende der Gewichtsskala die Triumph Tiger Explorer, mit 259 kg vollgetankt ohne Sonderausstattung, Gussfelgen mit Schlauchlosreifen und 300 km nutzbarer Tankreichweite. Fahrer: Patrick „Ernie Trölf“ Schweizer.

Letztendlich, so dachte ich mir mit meinem Bier, ist das jetzt einfach eine schöne Motorradtour mit netten Leuten. Dann kroch ich zusammen mit einem anderen Mann in ein kuschlig kleines Zelt und fror eine Nacht durch. Meine Camping-Unerfahrenheit hatte mich einen Schlafsack kaufen lassen, auf dem „bis 0° C“ stand, aber bei „Extrem“. Nach meiner größtenteils durchwachten Nacht bei +6° C klärten mich die Kollegen auf, dass man die Temperatur im „Komfort“-Bereich wählen müsse, wenn man schlafen wolle, also in diesem Fall +16° C. Schon wieder was übers Campen gelernt! Nur halt zu spät.

Wir hatten auf Anhieb in der Gruppe einen herrlichen Motorradtag, mit dem besten wünschbaren Herbstwetter und allem. KTM hat die 690 Enduro recht straff gedämpft, sodass sie auf der Straße bemerkenswert gut fährt. Die Serienbereifung Metzeler Enduro 3 mit ihren vergleichsweise niedrigen Stollen fährt wie ein Straßenreifen. Denn selbst bei einer Tour wie unserer, bei der wir praktisch keine Schotterstraße ausließen, bleibst du insgesamt mit An- und Abfahrt eben doch 90 Prozent auf Asphalt. Mein alter Kollege Maik sagt immer, man könne mit Einzylindern nicht reisen, aber ich fand die Sitzbank der 690 Enduro recht kommod. Man kann sich die ganze Zeit von ganz vorn nach ganz hinten umsetzen, wie es grad bequemt, und im Stehen ist kein Tank im Weg, denn der ist ja hinten im Plastik-Heckrahmen. Wir kauften noch einen wärmeren Schlafsack im Outdoor-Laden, dann bogen wir zum ersten Mal auf Schotter ab.

Ich bin kein echter Geländefahrer. Wenn mir ein Gelände-Experte zuschaut, sagt er immer: „Du machst alles falsch!“ Das war aber völlig egal, denn schon der erste Schotterweg war pipieinfach zu fahren. Pipieinfach, aber wunderschön. Ja, ich hätte das genausogut mit meiner Duke oder einer Hornet oder egal was fahren können, aber ich habe es halt nicht getan. Ich fuhr mit meiner Reiseenduro, weil die mich zu dieser Tour motiviert hat und die Hornet nicht. Und wenn DAS ein typischer Schnitt durch das Fahrleben des Pseuduro-Fahrers ist, dann liebte ich sein Leben schon nach diesen ersten Metern. Alpenromantik! Kühe! Steine! Sonnenuntergang über den Gipfeln! Glücklich kuschelte ich mich an diesem Abend zu meinem Mann ins Zelt, eingerollt in einen richtigen Schlafsack diesmal. „Ich glaube, das wird ganz toll“, sagte ich als einen der letzten Sätze im Wachzustand.

… wird fortgesetzt.

Zubehör des Tages: Lafuma-Schlafsack

Für 60 Euro im Outdoor-Laden schnell nachgekauft: gescheiter Schlafsack mit Komfortbereich bis +7° C. War mir danach ein treuer, warmer Begleiter.
Für 60 Euro im Outdoor-Laden schnell nachgekauft: Lafuma-Schlafsack mit Komfortbereich bis +7° C. War mir danach ein treuer, warmer Begleiter.

Bilder mit mir drauf und die Langzeitbelichtung: Patrick Schweizer
Ténéré-Scherenschnitt: Stephan Fritsch
Rest ich

Kirschenkistenkasse: Artikel wie die Reiseenduro-Reihe sind mein eigentlicher Grund für die Kirschenkistenkasse, in die du per Paypal Geld einwerfen kannst. Eigene Bilder aus eigenen Geschichten statt von der Präsentation das mitbringen, was alle haben. Ich hatte viel Freude auf unserer Alpentour, und ich hätte weitere Freude, wenn euch die Reihe gefällt. In der nächsten Folge trockne ich mich mit einer toten Katze ab, bin der Einzige mit wasserdichten Klamotten und Stephan erklärt mir, was „Schwimmschotter“ ist, in dem Patrick dann einsinkt mit seiner britischen Baumaschine.

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Kommentare:

ältere
  • Chrissor meinte am 10. August 2016 um 13:49:

    Chrissor aka Christiano Marlboro sagt danke für die nette Geschichte und freut sich auf mehr! 🙂

  • Wolff meinte am 10. August 2016 um 18:07:

    Bin seit einem Jahr mit genau diesem Setup unterwegs, bis zu 600 km am Tag und auch mal im Gelände (ja, dehnbarer Begriff… es sind mehr als Schotterpisten).
    Was an den Koffern nervt ist das an- und abmontieren. Dafür bieten sie guten Schutz wenns einen mal schmeißt. Die verbiegts zwar schon, aber man kanns zum nächsten Metaller der alten Schule bringen und wieder richten lassen. Dicht sind die aber net, das stimmt. Dafür hat man das geilste Spaßgerät das ab 6000 Touren nochmal richtig wach wird.

  • 3-plus-1 meinte am 11. August 2016 um 16:41:

    Viele Reiseenduros (oder besser Touren-Tallrounder) sind ja hässlich wie die Nacht. Ein paar optisch Ansehnliche gibt es aber doch und so finde ich es schade, dass zwei davon zum Ende des Jahres ersatzlos eingestellt werden:

    Aprilia Caponord
    Moto Guzzi Stelvio

    Quelle: http://www.motorradonline.de/recht-und-verkehr/bikes-die-es-2017-mit-euro-4-nicht-mehr-gibt/757766

    Finde ich irgendwie traurig. 🙁

    • Clemens Gleich meinte am 11. August 2016 um 17:36:

      Ich liebe den Motor der Caponord, aber findest Du das Ding wirklich „ansehnlich“? Und ich muss nochmal fragen: Die Stelvio, ausgerechnet? „Ansehnlich“? Ich find die Stelvio ganz schlimm, die hässlichste aller Guzzis.

    • 3-plus-1 meinte am 12. August 2016 um 6:48:

      Aber klar finde ich die schön, sollte aber dazu sagen, dass ich Schnabelenduros nicht so mag. Daher gefällt mir auch optisch die alte V-Strom 1000 besser als die neue (vor allem in der Gechmacksrichtung Kawasaki KLV 1000).

      Vielleicht ist das aber auch nur ein ein Farbthema, dass mich die Stelvio in so einem Goldorange (http://www.motoguzzi.at/faberweb/media/tmp/1365607644Stelvio_G1_resized_900.jpg) einer BMW in Tripleblack vorziehen würde. Zumindest, wenn ich sie angucken muss.

      Die Caponord finde ich auch nicht hässlich … allerdings hat sie in der Frontalansicht schon Ähnlichkeiten mit dieser Außerirdischenrasse aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von denen ich bis heute nicht weiß, wie die genannt werden (hier im Bild neben Leia: https://jedi-bibliothek.de/blog/wp-content/uploads/2014/11/MovingTarget1-193×300.jpg)

  • Olli meinte am 11. August 2016 um 22:07:

    Da ich einmal im Jahr ne Schottentour mache (was wahrscheinlich auch mit der Goldwing geht), darf ich das ganze Jahr im vollem Reiseornament durch Hamburg fahren. Herrlich!

    Sehr schöner Bericht übrigens. Ich denke, ich werde mal die Kirschkistenkasse bemühen …

  • Dr. Gleichsam #2: Der betäubende Biss des Tigers – Mojomag meinte am 13. August 2016 um 13:14:

    […] Was bisher geschah. […]

  • 5000 km KTM 690 Duke R (MJ 2016) – Mojomag meinte am 28. September 2016 um 15:16:

    […] Duke. Den jetzt praktisch nonexistente Öldurst empfinde ich als einen Fortschritt, denn auf der Alpentour damals musste ich unterwegs Öl organisieren und auf der Duke kontrollierte ich nach nach jeder […]

  • Testprotokoll KTM 690 Enduro R MJ 2019 – Mojomag meinte am 8. Februar 2019 um 19:11:

    […] also davon aus, dass das im Sommer bei hohen Drehzahlen mit wenig Wind (Offroad) genauso sein wird. Mit dem Vorgängermodell der Enduro musste ich unterwegs auf 3000 km einmal Öl schnorren und einmal Öl […]

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