Es gibt nur zwei Arten von Geographie: Die, in der ich U-Bahn fahre. Und die, in der ich fahren will. Alles andere ist Verbindungsetappe: die norddeutsche Tiefebene, mitteldeutsche Kleinstädte mit rot aufgepflasterten Fußgängerzonen. Oder im Weg, wie diese Siedlungsgebiete zwischen Urbanität und Provinz, nicht Stadt, nicht Landschaft, voller Ausfallstraßen, 70-Zonen und Ampeln für Verirrte und Verwirrte. Und hier fangen meine Probleme an. Darf ich vorstellen: Ducati 900 Supersport, Baujahr 1989. Auch bekannt als „italienische Schlampe“ und „Schraubsport“, nenn ich sie einfach Diva. Ist kürzer und lässt sich leichter brüllen, während ich gegen den Reifen trete.
„Italiener“, sagte man mir und dann ich mir, „sind teuer und unzuverlässig“. Sind sie. Ich bin trotzdem irgendwann eine Probe gefahren, weil Meckern nicht hilft. Eine abgeranzte Ducati 750 SS Nuda, hab mich beim Einbiegen auf die Hauptstraße fast lang gemacht („Der Lenkanschlag ist minimal“, haben sie gesagt. Hab ich so nicht geglaubt), und war fünf Kilometer später verliebt. Mit Bauchkribbeln, Grinsen von Ohr zu Ohr und Erektion. Also eBay abgegrast, weil damals noch Junior-Texter, bis ein 89er-Modell der 900 für kleines Geld zu haben war. Den Unterschied zu den späteren Baujahren kannte ich nicht. Jetzt kann ich sie alle blind aufsagen, komm her, frag mich.
Komplett in Teilen sollte sie sein, war sie nicht. Aber ich, ich war komplett glücklich. Und kaum ein halbes Jahr später hatte sie auch TÜV. Dankgebet an Ulf Penner und Helm auf zum Gebet, die Maschine ist alt, das Gefühl fast neu; wie bei der 750 SS, nur stärker. Nur meins. Der Beat auf 1 und 2 und. Sieht so aus: BumBummmBumBummm, mit Beats in Zehntelsekunden. Rhythmus, Groove, Funk. Lenker, Fußrasten, die im Takt vibrieren, ein Grollen öffnet sich mit dem Gas, sie schnappt nach Luft und brüllt, süß und ungehemmt, schleudert mich nach vorne. Andere mögen stärker sein, schneller, zuverlässiger, die besseren Maschinen. Keine berührt mein Herz und meinen Schwanz so. Sie hat mich an den Eiern und ich sie am Lenker, als ich sie in die Kurve drücke: „Weißt du, was du da tust?“, fragt sie. Weiß ich und sie folgt mir. Dann eine Gerade, 150 hinter der Verkleidung und der Wind stützt mich, nimmt das Gewicht meines flach nach vorn gebeugten Oberkörpers, trägt mich. Tank zwischen die Knie, Arsch leicht hoch um Bodenwellen abzureiten und die nächste Kurve anbremsen. Manche Dinge sollten nie aufhören. Tun sie auch nicht, aber es gibt die Zeiten dazwischen.
Irgendwann machte es im Weserbergland *krack*. Das war der Moment, in dem 4. und 5. Gang gleichzeitig eingelegt sein wollten und sich die Zahnräder gegenseitig die Zähne abbissen. Dann ein Neuaufbau des Motors; seitdem kenne ich jede Schraube in ihr, sitze wie so oft in der Garage auf einer Bierkiste, folge ihren Linien, die ich aus der Vollverkleidung herausschälte. Grade, klar, funktional. Gebaut von Ingenieuren mit Herz und Auge, der große Massimo Tamburini, so sagt man, der seinen Frust in Berufung verwandelte. Für mich hat alles Geschichte, fürs Fahren ist alles an seinem Platz. So muss es sein, wenn der Espresso in den Adern rauscht und aus einem Gedanken Form, aus der Form Bewegung wird.
Dann tauche ich armtief ein und erfühle, ertaste die andere Seite: Nach dem Essen trinken die Ingenieure noch einen Grappa und frickeln den Rest zusammen. Fertig. Es hilft dabei nicht der Ehrgeiz, ausschließlich italienische Bauteile verwenden zu wollen. Hat Ducati auch selber eingesehen und danach Teile bei Japanern eingekauft. Vielleicht haben sie vorher auch keine Lieferkredite bekommen; überraschend wär es nicht.
Und es gibt andere Zeiten dazwischen. Das sind die Strecken zwischen U-Bahn und Landschaft. Die mag die Diva nicht, das lässt sie mich spüren. Ich kauere auf der Maschine, die spuckt und bockelt von Ampel zu Ampel, will bei Laune gehalten, freigelassen werden, hustet sich die Zündkerzen zu. Und ich frage mich: Wäre es nicht besser, ökologischer, glücklicher, wenn wir alle in Urbania wohnten? Wenn wir auf das dazwischen verzichteten und den Rest zum Fahren und für die Bauern freiließen, damit die Biomasse für mehr Sprit anbauen? Könnten wir?
Ducati 900 SuperSport, Baujahr 1989
Ist: meine
Kann: Sich selbst und mein Herz brechen.
Braucht: Schlankere Sitzbank. Tipps sind willkommen.
Nachtrag.
Rauchende Gleichrichter, rutschende Kupplungen, lose Schwingen, brechende Batteriekabel, versagende Anlasser, abfallende Schrauben. Dies alles und noch viel mehr durfte ich in 10 Jahren der Diva antun (Verschleißteile ausgenommen):
- Showa-USD-Gabel von der 888
- passende Bremsscheiben
- Bremspumpe Fireblade (SC44, circa)
- Vollverkleidung entfernt
- LSL Lenkerstummel tief
- Diopa Einmann-Sitzbank
- Sitzpolster aus 2 Lagen Isomatte
- Tank-Elektrik (Pumpe, Reserve-Anzeige) getauscht und neu gelötet
- ‘normaler‘ Ölkühler (original ist er unter dem Scheinwerfer)
- Kupplungsdeckel getauscht, weil Führung für Kolben ausgeschlagen
- LED Rücklicht (dunkel, wieder raus)
- Kellermann Rück/Brems/Blinklichtkombi
- Touratech Digital-Cockpit angebaut und wieder abgebaut – analog ist besser
- Ölthermometer Veglia (wieder raus, Mopped wird in der Stadt eh zu warm)
- Kupplungsscheiben getauscht (und die richtige Kombi gefunden)
- Kabelbaum hin- und herverlegt (sollte mal neu)
- Anlasser-Kohlen erneuert
- Anlasser-Freilauf ausgetauscht
- Auspuff-Halteblech (2mal)
- Motor nach Getriebeschaden neu aufgebaut, neues Gehäuse und 4./5. Gang
- Schalthebel-Feder gebrochen
- Schaltmimik mehrmals eingestellt
- Schwungmasse richtig justiert
- Regler/Gleichrichter abgeraucht und gegen irgendein Kawa-Teil getauscht
Sehr schön geschrieben.
Muss an meine 748SP denken, die hat mich auch bei den Eiern gehabt und mit mir zusammen mehrfach auf den ADAC gewartet, weil der Motor wieder mal breit war. Aber geil sindse, die teile. Die 98er 900SS Superlight war total problemlos dagegen. Die hat jetzt auch ein netter Kerl, der Sie als Ersatz für seine Honda Hawk gekauft hat, der er in 10 Jahren 100.000 km verpasst hat. Ich glaub, da ist Sie richtig aufgehoben. Nu muss ich nur noch meine Guzzi fertigbekommen, damit ich auch mal wieder fahren auf der Strasse in seiner elementarsten Form erleben kann.
Viel Spass mit Deiner Diva, danke für die Geschichte. Hätte für mich ruhig noch bissel länger und ausführlicher sein können, schreiben kannst Du ja.
Gruss, Jens
Wirklich schöner Artikel… und schon wieder bekomme ich Lust mein japanisches Alteisen gegen eine italienische Diva auszutauschen…
Danke Axel, für die schönen 10 Minuten lesen und Bilders gucken. Meiner 750 Sport (und auch der Pantah) trauere ich immer noch nach. Das muss sich ändern. Aber ich nutze meine Tenere halt für den täglichen Weg zur Arbeit (auch heute), das macht ne Yamsel wirklich gut …
Zur Sitzbank: Denke, Diopa und Ebay sind schon abgehakt? Mal bei Radical geluschert? Kleiner Pantah-Höcker als Alternative? – Sieht bei der von JvB lecker aus.
Kurze Frage: Hat die 17″/17″? Sieht in der Seitenansicht so komisch aus.
Die Felgen sind 17/17, die heute üblichen Größen. Hinten ist ein 180er drauf. 170er ist aber handlicher.
Nur die 750 Sport hatte vorne 16 Zoll.
Das jetzige Heck ist von Diopa. Ich liebäugel hiermit:
http://www.ebay.de/itm/250880701349?ssPageName=STRK:MEWAX:IT&_trksid=p3984.m1423.l2649#ht_3006wt_801
Hab aber im Moment andere Baustellen.
Hi,
Gratuliere zu dem toll geschriebene Artikel aber vor allem zu Deiner Duc !
Besitze dieselbe (Bj.1990) und bin auch immer noch total vernarrt in diese Duc – kann m.E. keine neue Duc mehr bieten, da sie einfach schon zu perfekt und „rund“ sind.
Unsere „alten“ Ducs klappern und scheppern und haben bereits ohne Tunning-Tüten eine Hammersound und das vollkommen legal – hähä
Ich liebe es Kurven zu räubern und Kilometer auf einsamen Landstraßen abzuspulen.
Sag mal, was hast Du mit Deiner original Verkleidung gemacht ?
Hätte Interesse !
Schöne Grüße aus Tirol und noch viele Kilometer mit Deiner Diva !
Michael
Also, nach dem guten Artikel:
Welches Baujahr ist am ehesetn zu empfehlen?
VG
TN
Ich kann nur sagen: nicht 89/90. Die haben ein paar Bauteile (Kupplungsdeckel, Zündung), die es so nicht mehr für Geld und gute Worte gibt.
Hängt davon ab, was du damit machen willst. Aber ich verweis dich besser an die zuständigen Foren (diva di Bologna, ducati1 etc.), da sind Leute mit mehr Erfahrung mit den späteren Modellen.
Sehr guter Artikel!
Fahre seit 1,5 Jahren eine 1990er 750Sport und kann vollkommen verstehen, fühlen, empfinden was Du schreibst inkl. der Probleme und Umbauten!
Und auch wenn es viele Teile nicht mehr oder nur sehr teuer gibt, bleibt die Duc!
Viele Grüße
Sven
Gut beschreibt. Ich fühle genau wie am Weg mit meiner Duc (weil sie eine 900 SS 1989 ist, nun 52951 km). Diese hat caratteristica wie keine andere. Doch weiss ich dass das für alle Ducati-Modelle gilt, aber mit ihren Einschränkungen ist (fühlt) diese so einmalig sympatische… (Und das kommt aus Erfahrungen… Seit längerer Zeit fahre ich auch eine Alazzurra 650.) Gruss aus Finland, Keijo
Hallo,
ich bin noch auf der Suche nach original Brembo Bremsscheiben 300mm für meine DUC.
auch 900 SS Bj. 90.
Für einen Tip würde ich mich freuen.
Freilauflager, schleifende Kupplung, Kohlen vom Anlasser ab, Schwinge gerissen….ich kann sie auch alle aufzählen und fahr sie mit 60.000km immer noch.
Gruß
aus Achim
Andreas
Danke für den tollen Artikel über die Ducati. Ein Bekannter hatte sich neulich auch eine Ducati gekauft. Er sagt der Aluverbund scheint sehr gelungen zu sein.
Hallo Axel!
Wir sind gerade dabei eine 89er aufzubauen. Leider haben etliche Teile sehr gelitten. Der Ersatzteile Markt der 88-90 ist sehr „rar“, daher dachten wir, wir schauen mal bei der 91-97er. Du hast im Artikel geschrieben, dass du die Unterschiede kennst. Uns geht es hauptsächlich um das Fahrwerk wie Gabel und Federbein.
Wir würden uns über eine Antwort sehr freuen!!
Liebe Grüße
Dominik Borgmann u.
Mailin Beyer
Moin Dominik und Mailin,
das Fahrwerk ist tatsächlich der größte Unterschied:
Die 90er hat das gleiche 17″ Rad und Bremszangen mit 40 mm Aufnahme.
Die Gabel ist eine Telegabel von Marzocchi, nix besonderes. Die meisten haben die getauscht, oft gegen die 43er Showa USD aus den Folgemodellen. Wichtig: Beim Umbau der Brücke muss das alte Lenkrohr mitgenommen werden, es ist kürzer. Und: Die Gabeln sind kürzer, deswegen muss der Ölkühler nach unten gelegt werden. Ich bin inzwischen bei der Gabel einer 848, inklusive neuer Bremszangen (M4). Test ist im April, Umbau-Thread hier: https://www.ducati1.de/index.php?/topic/16769-projekt-shyster-ss-trift-st3
Das hintere Federbein ist ebenfalls Marzocchi und ähnliches Mittelmaß wie die späteren Showa-Dinger, mit einem Unterschied: Die Showas sind kürzer. Teile von Öhlins, WP oder YSS passen und sind gleich lang (~340 mm) bzw. verstellbar.
Ich hab noch Gabel, Brücken, Stummel und Federbein rumliegen, falls ihr Interesse habt.
Danke schonmal für die Antwort.
Wir sind gerade noch dabei den Motor zu revidieren. Auf die Teile die du noch rumliegen hast würden wir ggf. nochmal zurück kommen, wenn wir soweit sind. Was würdest du beispielsweise für Gabel und Federbein haben wollen?
Ihr habt Mail
Schöner Text, erinnert mich an diesen hier aus der MO:
https://www.motorradonline.de/supersportler/impression-ducati-900-ss-szenen-einer-ehe/
Als Ex-Besitzer einer 94 900SS nuda kann ich beide gut nachvollziehen.
Nun habe ich Kinder, ist auch nicht schlecht 🙂