Einfach am besten: Hondas NC700-Baureihe

Wenn man wie ich ein veritabler Hellseher ist, kann man seine Urteile früh abgeben. Zur Ducati Panigale habe ich auf den ersten Blick gesehen, dass sie das Sporcht-Motorrad des Jahres 2012 ist und bin sie nur deswegen in einem benzinnebelverhangenen Wüstenstaat gefahren. Es gab aber noch eine andere bemerkenswerte Neuentwicklung für 2012, die ich auch sofort als Motorräder/Rolläder des Jahres 2012 markiert habe: Hondas NC-700-Plattform. Das ist ein niedriger Rahmen über einem flach nach vorne geneigten Reihenzweizylinder, den Honda der Legende nach durch Zersägen eines ihrer Autovierzylinder konstruiert hat. Entsprechend das Drehzahlniveau: Viel mehr als 6000 U/min bringt nichts, und richtig viel mehr gibt es auch nicht zu drehen. Es ist wortwörtlich ein halber Automotor. Deshalb klingt er wie eine Harley bei Nenndrehzahl, deshalb verbraucht er aber auch sehr wenig: Dreikomma Liter haben die Kollegen von der MO damit pro 100 km zügigen Motorradtempos getankt.

Die Plattform: tiefer Rahmen über noch tieferem Motor mit tiefen Verbrauchswerten

Sowohl S als auch X sind bei den meisten Händlern bereits ausverkauft, und das liegt an drei großen Gründen: Erstens kostet die S ab 5.500 Euro. Zweitens kann man ab nächstes Jahr mit einer kleinen Praxisprüfung von der 125er aufsteigen, weil die Motorräder für die neue Führerscheinklasse A2 konstruiert sind (hier ausführlicher). Drittens und wichtigstens jedoch sind die kleinen Motorräder ein Riesenspaß zu fahren, und das zum Beispiel haben sich die Wenigsten gedacht, dazu brauchte man schon einen Hellseher.

Der Spaß fängt beim Motor an: Er hat dort Leistung, wo sich 98 Prozent der Fahrer zu 98 Prozent der Zeit aufhalten: im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Ganz oben hat er 48 PS Nennleistung wegen der A2-Zulassung. Ich finde sogar seinen Klang angenehm. Es war schon ernst gemeint: Durch den Hubzapfenversatz und die Auslegung auf niedrige Drehzahlen macht er ein ähnliches „Ka-tschugga“ wie Harlays oberhalb ihres Knatterbereichs. Und er verbraucht wenig.

Spaß: ganz groß. Schräglagenfreiheit: na, so mittel...

Der Spaß geht bei Hondas Stärke Ergonomie weiter: draufsitzen, passt. Wer sich wohlfühlt, ist schneller, wie (meine) Studien belegen. Gas geben: lineare Leistung. Bremsen: trotz Einscheibenanlage irgendwie effektiv und gefühlvoll. Es ist auch das erste Motorrad, an dem für mich Hondas Integralbremsanlage wirklich sinnig funktioniert. Es macht Spaß, dieses Motorrad auszuwringen wie einen Lappen, und wer sich über die im Vergleich zu einer Hornet deutlich geringere Schräglagenfreiheit beschwert, weiß nicht, wie geil es die Leute finden, wenn sie das Gefühl haben, etwas auszureizen. Nur deshalb fahren Goldwing-Fahrer immer auf der Verkleidung, und es sei jetzt mal drauf geschissen, dass ihre Verkleidung schon nach drei Grad Schräglage aufsetzt. Ein gut geübter Fahrer auf einer NC700S oder X kann durch die Alpen schneiden, ohne sich je überholen lassen zu müssen. Vielleicht braucht er dabei dann vierkomma Liter, da muss er eben durch. Das Krad ist mit 215 kg ein kleiner Specki (für A2 darf es bei 48 PS runter bis auf 175 kg gehen), aber durch den niedrigen Schwerpunkt ist das Gewicht immerhin gut rangierbar. Auch das hat die Honda mit Harleys gemein.

Ins Staufach passt dieses formschöne Schloss oder ein weniger formschöner Schuberth.

Es endet bei Alltagstugenden. Ich liebe es, wenn ein Motorrad mich überallhin bringt, mich in meinem gesamten Kradistenalltag begleiten kann, und das kann es nunmal besser, wenn ich beim Edeka ungeplant ohne Rucksack anhalten und ein paar Liter Milch heimtransportieren kann. Dazu hat die S und die X ein großes Staufach über dem Motor in der Tankattrappe. Dort passt ein Intagralhelm hinein, selbst die riesigsten Kopf-Iglus von Schuberth. Der Tank ist im Heckrahmen, der Tankverschluss unterm Beifahrersitz. Es gibt alle Modelle optional mit Hondas Doppelkupplungsgetriebe DCT, das auch einen lernenden Automatikmodus mitbringt. Das DCT ist so lange scheiße, wie man nur drüber liest, statt es mal eine lange Strecke zu fahren.

Es gibt die Plattform in drei Geschmacksrichtungen: einfaches Naked Bike (NC 700 S, mein Favorit), modisch höhergelegt als Tallrounder (NC 700 X) oder als Großroller Honda Integra. Durch seine Verwandschaft mit den Motorrädern fährt der Integra auch so wie ein Motorrad. Das habe ich ja bei BMWs Großrollern vermisst, und mir ist nicht ganz klar, wieso BMW keine 17-Zoll-Räder montiert. Es ist einfach so viel besser. Unter der Sitzbank des Integra gibt es deutlich weniger Platz als in den Bayrischen, sodass große Helme ins Topcase müssen.

„Und?“, fragte Honda-Stefan, „Was hast du sonst noch für Kritikpunkte?“ Naja, da fehlt einfach ein BMW-Aufkleber, Stefan. Er schlug mich dann, was bedeutet, dass ich recht habe: Der Integra ist der bessere Großroller. Er mag weniger Platz haben, aber er verbraucht die Hälfte, fährt besser, hat mit dem serienmäßigen DCT außer Automatik auch ein echtes, effizientes Schaltgetriebe und er kostet fast 3.000 Euro weniger. Trotz all dem wird BMW in Deutschland besser verkaufen. Das bedeutet aber auch: Leute, die sich dem Marken-Mainstream entziehen können, finden bei Honda ein überlegenes und trotzdem selteneres Fahrzeug.

Dieses Intermezzo nur für euch, liebe Feinde von der Großrollerfraktion. Zu den Motorrädern noch so viel: Es wundert mich überhaupt nicht, dass die ausverkauft sind. Es sind die besten Budget-Alltagsmotorräder, die man derzeit kriegen kann für einen Alltag, der vom Pendeln über Picknick bis hinauf aufs Penser Joch alle Blümchen-Aspekte der meisten gestandenen Motorradfahrer und erfreulich vieler nur-wegen-NC-neuer Motorradfahrer abdeckt. Es macht mir mehr Spaß als jeder überfettete Reisedampfer (GS, Crosstourer, wie sie alle heißen…). Es fehlt halt die Rennstrecke. Deshalb muss für mich doch eine Triumph Street Triple R her.

Honda NC 700 S / NC 700 X / Integra 700 MJ 2012

Ist: besser als du denkst.
Kostet: 5.755 Euro / 6.255 Euro / 8.255 Euro (jeweils inkl. 265 Euro Überführungskosten)
Leistet: 48 PS (35 kW) bei 6.250 U/min (Integra: 52 PS / 38 kW bei selber Drehzahl)
Stemmt: 60 Nm bei 4.750 U/min aus 670 ccm (Integra: 62 Nm)
Wiegt: 215 kg / 218 kg / 238 kg
Tankt: 14,1 Liter Benzin
Verbraucht: 3,5 – 4,5 Liter pro 100 km
Hat: Doppelkupplungsgetriebe (Integra serienmäßig, sonst 1000 Euro Aufpreis), Motorradfahrwerk, Staufach vorne und den Charme eines jeden simplen Motorrads.

Bilder: Gerhard Rudolph (Buenos Dias), Honda

Kommentare:

ältere
  • Alexander meinte am 18. Mai 2012 um 9:44:

    Clemens, schreib doch mal was, bei dem ich dir widersprechen kann.

  • Clemens Gleich meinte am 18. Mai 2012 um 9:46:

    Versuch das hier: „Bärte sind voll scheiße.“

  • Rick Lowag meinte am 18. Mai 2012 um 14:21:

    Clemens hat einfach immer Recht!…

    Auch das mit den Bärten stimmt – das sage ich aber nur, weil bei mir kein gescheiter Vollbart wachsen will! 😉

  • Marcus Lacroix meinte am 18. Mai 2012 um 18:36:

    Sehr schöner Bericht – deckt sich mit dem Gefühl das ich beim Fahren der X hatte: http://www.bma-magazin.de/fahrberichte/honda/honda-nc-700-x-modell-2012.html

  • Phil meinte am 19. Mai 2012 um 8:28:

    Im August kommt meine. Mit Glück. Zwei Motorräder habe ich dafür verkauft. Jetzt Geduld. Wenn man Pech hat, gibt es erst 2013 wieder Fahrzeuge.

  • Mugello123 meinte am 19. Mai 2012 um 17:41:

    Sorry Clemens, das mag ja alles richtig sein, was du schreibst, ich würde mir aber so ein Ding nie kaufen. Die Kisten haben doch eine Ausstrahlung wie ein paar alte Turnschuhe.

    Ne sorry….. deswegen fahre ich nicht Motorrad.

  • Volker meinte am 20. Mai 2012 um 17:22:

    Hallo Clemens!

    Nunja.

    Zur NC700 Serie schrieb ich ja anderswo schon was.

    Das ist einfach nicht meine Klasse – und selbst wenn es quasi der heilige Gral der Motorradbaukunst wäre (was ich mangels Testfahrt noch der Versuchung dazu weder bestätigen noch widerlegen kann). Denn ich weiß z. B. auch, daß mir Schlachtschüssel nicht schmeckt – ohne daß eine etwas zu pummelige Honda mit dieser bayrischen Delikatesse auch nur das Geringste zu tun haben müßte.

    Dein Fazit „Ist: besser als du denkst.“ reicht mir natürlich ebenfalls nicht als Kaufanreiz, ich bekennender Maximierer kaufe nicht einmal Klopapier nach diesem Prinzip.

    6.*k€ ist, völlig zu recht bemerkt, natürlich durchaus ein fairer Preis, insbesondere, wenn man bedenkt, was Motorräder (oder auch Hubschrauber) so kosten, die weit magerer ausgerüstet und technisch weniger up-to-date sind. Auch die 3.5-4.5 Liter pro 100km sind ein Argument, dem ich freilich sofort entgegenhalte, daß auch meine steinzeitliche KTM innerhalb dieser Grenzen bewegt zu werden imstande ist.

    Klahaar, die wiegt natürlich auch keine vier Zentner – mit mir im Schlepptau allerdings immerhin fast.

    Einigen wir uns also darauf, daß die NC700-Flotte zu den verbrauchsärmsten Fahrzeugen ihrer Klasse gehört und mit ihr der BMW X6M oder der im internationalen Vergleich mit Abstand sparsamste Kampfpanzer, gebaut von Krauss-Maffei-Wegmann, auch bekannt als Leopard II.

    Dieses Premiumfahrzeug ist nicht nur mit einem laufruhigen Zwölfzylinder-Hybridmotor mit 1100kW ausgestattet (Hybrid: Ist auch mit vielen anderen brennbaren Flüssigkeiten zu betreiben, uneingeschränkt Biodiesel/Sunfuel-tauglich, allein der Startgenerator – ja, sowas gibt es dort schon längst – leistet 20kW und kann bei Bedarf mitlaufen), sondern macht unerwünschten, vorausfahrenden Bremsern mit seiner 120mm-Glattrohrkanone ordentlich Dampf. Und das bei voller Höchstgeschwindigkeit, etwa 70km/h – unerreicht in dieser Liga!

    Gegenüber dem Vorgängermodell ist der Leo-II gerade einmal lächerliche 50% (20t) schwerer geworden, die Antriebsleistung konnte aber annähernd verdoppelt werden – und das bei einem im Mitbewerberfeld unerreichten Kraftstoffverbrauch. Gegenüber dem oft als Vergleich herangezogenen US-amerikanischen Vorzeigepanzer M1 Abrams mit seiner Gasturbine vom Typ Avco Lycoming AGT-1500 liegt der Verbrauch bei rund der Hälfte.

    Sensationell!

    Den größten Vorteil hat der Dieselantrieb dabei im Leerlauf- und Teillastbetrieb, was sich im alltäglichen Stadt-, Nah- und Kurzstreckenverkehr als überaus nützlich erweist.

    Auch beim Thema „Recycling“ und „Wartungsfreundlichkeit“ hat KmWeg mitgedacht:

    Ein Austauschmotor ist z. B. in unter 30 Minuten eingebaut – so lange brauche ich bei meiner KTM, bis ich allein den Mikroölfilter herausgepfriemelt habe.

    Inzwischen verfügt der Kampfpanzer im Rahmen der Modellpflege über einen verbesserten passiven Insassenschutz durch Modifikationen an der Turm- und Wannenfront und eine laufruhigere Kette der Firma Diehl mit eingebautem „Always-Run-Flat“-Mechanismus (die in kurzer Zeit gegen optional erhältliche Schneeschaufeln ausgetauscht werden kann – nie mehr Reifenpilot!). Beim aktiven Insassenschutz ist die Reaktivpanzerung lobend hervorzuheben – sie stellt das Airbagsystem in PKWs weit in den Schatten.

    Der Hersteller hat übrigens ebenfalls an wartungsarme Batterien und instandsetzungsfreundliche Leitradabdeckungen gedacht. Obendrein wurde der Tarnanstrich im Dienste der Umwelt auf zinkchromatfreie Lacke umgestellt, weswegen er in den Staaten evtl. sogar als Kinderspielzeug zugelassen werden könnte.

    Na, wenn das nichts ist?!? OK, jetzt schweife ich ein kleinwenig ab. Sorry. Zurück zum Thema:

    Da mein Anspruch ans Motorradfahren sich aber sehr wesentlich von dem
    unterscheidet, was „das Zielpublikm“ sich möglicherweise wünscht oder Du oben getestet hast, verfolge ich die Entwicklung interessiert aber weitestgehend emotionslos – mit dem zoologischen Interesse eines Wissenschaftlers, der an einer Studie zum menschlichen Kaufverhalten arbeitet.

    Was übrigens nicht an mangelnder Liquitdität (aka: „Saure Trauben“) liegt. Bei anderen Schmankerln (batterielose Einspritzcrosser, rekuperierender Elektroantrieb, technisch cleveres Brot-und-Butter-Design, schicke Sorglosenduros, …) könnte ich evtl. schwach werden, definitiv nicht bei 48PS und 220kg.

    Honda baut also die besseren Roller als BMW. Na und? In China fallen die größeren Säcke Reis um – und keinen störts. Aber wenn in Zukunft wieder mehr Fleisch mit weniger Metall transportiert wird, dann ist ja auch schon was geholfen.

    Herzliche Grüße,
    Volker

    • Clemens Gleich meinte am 21. Mai 2012 um 9:15:

      Volker! Man muss mir sicherlich keinen Leopard schmackhaft machen, ich will den auch so probefahren. Scheint mir ein veritabler Stadt-Hybrid zu sein.

      Ansonsten: Es ist mir schon klar, dass die Hondas nicht Dein Ding sind. Sie sind ja, seit ich den Zoomer habe, nichtmal mehr meins, weil auf den Zoomer zwei Longboards und eine Getränkekiste passen, bei 80 kg Fahrzeuggewicht. Sie sind aber das Ding einer großen Menge an Fahrern und zimmich vielen Fahrerinnen, und das völlig zu Recht. Ich habe die NC700S speziell für die Frau ausprobiert und ich würde sie jeder anderen auch empfehlen. Dir würde ich natürlich was Anderes nahelegen. Schonmal Freeride 350 gefahren z. B.? Ali erzählt nur gute Sachen.

  • Michael meinte am 22. Mai 2012 um 22:50:

    Hi Clemens, prima Bericht, hab ich gerne gelesen. Ich bin die 700 x auch schon gefahren. Wirklich extrem gutes Preis Leistungsverhältnis. Mir fiel auch die bis ins Detail gute Verarbeitung auf. Zu dem Preis!
    Aber kaufen würd ich nur den Roller, wenn überhaupt. Die beiden Motorräder haben mir zu wenig Leistung und zu wenig Höchstdrehzahl. Um wirklich mit Spass Motorrad zu fahren, sollten es meiner Meinung nach mindestens 70 PS sein bei einem heute üblichen Gewicht von 200 – 215 Kilo Vollgetankt. Und der Motor sollte eine sportliche Charakteristik mit einer Höchstdrehzahl von mindestens 9 Tausend Umdrehungen haben. Es soll sich ja wie ein richtiges Motorrad anfühlen.
    Die Siebenhunderter Hondas sind vom Charakter her schon arg brav.
    Er6, Gladius, CBF600, XJ6 sind da im Vergleich schon richtige Motorräder und doch deutlich dynamischer. Die machen einfach mehr Spass.
    Gruss Michael

  • Alexander meinte am 25. Juni 2012 um 9:46:

    @Clemens: Da spricht doch nur der Neid aus dir!

  • Caro meinte am 7. August 2014 um 22:59:

    Hey, kann dem nur zustimmen, für mich als Anfängerin fährt sie sich leicht, macht trotzdem sehr viel Spaß und reicht leistungsmäßig, ja, sogar überholt hab ich mit ihr schon-;))
    Und das Staufach ist einfach genial, vor allem Frauen wissen es zu schätzen.

  • Using (and trying) another motorcycle meinte am 31. Mai 2016 um 19:25:

    […] you could get; for my friend (and motorcycle journalist) Clemens it *is* the best, as he writes here or here (in German). Hint: he calls himself a „weight Nazi“, so this is what he bought […]

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