Gefahren: KTM Freeride E

Das elektrische Motocross-Motorrad KTM Freeride E muss nicht auf den mittlerweile nervtötenden Knopf „ich bin elektrisch und rette deshalb die Welt“ drücken, weil die Österreicher es geschafft haben, ohne so ein Nullargument ein in sich schlüssiges Fahrzeug zu bauen. Jetzt muss es nur noch in die Läden kommen. Ich fahre mal die Vorserie.

Motorräder sind in Europa Freizeitfahrzeuge. Wir benutzen sie zum Beispiel zum motorisierten, querkraftfreien Streunern durch die Mittelgebirge. Die wenigen elektrischen Straßenmotorräder versagen hier auf ganzer Linie, weil Streunern ohne Reichweite schlicht unmöglich ist. Eine mit militärischer Präzision geplante Tour ist kein Streunern, aber eine solche Planung ist nötig beim batterieelektrischen Antrieb. Es gibt jedoch noch die einspurige Freizeitgestaltung auf eigens dafür gebauten Strecken, es gibt im Dreck Motocross und auf der Kartbahn Supermoto, und weil dieser Einsatz im Gegensatz zum Herumstreunen sehr exakt definiert werden kann, bietet sich der elektrische Antrieb an. Das aktuell beste, weil einzig wirklich fertig wirkende Beispiel dafür ist die KTM Freeride E: ein Geländemotorrad mit 95 kg Gewicht bei theoretisch (und nur theoretisch) bis zu 30 PS, mit dem man sehr leise abgasfrei eine halbe bis eine dreiviertel Stunde im Dreck spielen kann. Es gibt dabei kein moralinsaures „das musst du jetzt fahren, weil deine Eltern alles Öl verfeuert haben“, sondern KTM tritt mit ihrem testosterontriefenden Krawallo-Image an, für das sie die „KTM-Taliban“, wie der harte Kern ihrer Kundschaft gelegentlich verspitznamt wird, so lieben. „We race.“, steht auf den Merch-Shirts aus Mattighofen, direkt über „go fast or go home“.

Deshalb muss die Freeride E als Produkt für sich selber stehen können, ohne staatliche Kaufpreiszuschüsse, ohne das schlechte Gewissen als hauptsächlichen Kaufgrund. Um diese Position zu verstehen, hilft es, ihre Schwester zu kennen, die Freeride 350. Das ist prinzipiell dasselbe Motorrad mit einem kleinen Einzylindermotor. Die kauft man, wenn man kanisterbetankend den ganzen Tag fahren möchte (beziehungsweise: kann) und einen ungestörten Spielplatz dafür hat. Die elektrische Variante dagegen hat die Chance, ganz neue Spielplätze zu erschließen — Spielplätze, die für den Einzylinder ungeeignet sind, der batterieelektrischen Variante mit ihren vorhersagbaren, klar definierten Einsatzszenarien jedoch entgegenkommen: Supermoto-Hallenkartbahnen zum Beispiel, Außenanlagen mitten in der Stadt, auf denen Verbrenner schlicht zu laut wären für einen friedlichen Betrieb oder gleich die großen Gärten im Land des unbegrenzten Platzes, der USA: Es gibt in vielen US-Bundesstaaten eine derart große Liebe zu den „Dirt Bikes“, dass es gar nicht ungewöhnlich ist, wenn jemand auf seinem Grund und Boden Strecken für diese Maschinen anlegt. Eine Freeride E könnten Geländefreunde selbst in den deutlich dichter besiedelten Vorstädten noch betreiben. Am Nürburgring hätte eine Indoor-Dreckstrecke mit Miet-Elektrokrädern einen Bruchteil der niemals benutzten Achterbahn gekostet. Und in den Alpen soll die Freeride Sommergäste anlocken, die damit über die Berge jagen. Bei den Mountain Bikes hat das ja auch geklappt.

Das Cockpit: zeigt mit hellen Lampen den Ladestand an, der einzige Knopf ist für die Motormodi gedacht.

KTM hat diesen Sportgerätgedanken mit endlich etwas Sinn für Ästhetik ausgeführt: Die Elektromotorräder von Zero oder Quantya wirken neben der E optisch unfertig, prototypenhaft und garagengebrutzelt. Die Ästhetik funktioniert auch wegen der KTM-typischen Konsequenz der Ausführung. Es gibt keinen Zündschlüssel. Es gibt kein Zündschloss. Die Kinder sollen das Teil aufräumen, wenn sie damit fertig sind — wie bei den anderen Sportsachen eben auch. Der Killschalter am rechten Lenkerende ist der An-/Ausschalter, der Startknopf schaltet die Leistungselektronik scharf. Dann rauschen die Spulen leise, etwa auf der Lautstärke einer Einspritzanlage auf Standby. Es gibt keine Kupplung. Stattdessen betätigt der linke Lenkerhebel wie beim Roller die Hinterradbremse. Es gibt keine Schaltung. Die Maschine ist mit einem fixen Untersetzungsgetriebe auf 70 km/h Endgeschwindigkeit übersetzt, fertig, aus. Das führt alles dazu, dass die elektrische Freeride noch sehr viel einsteigerfreundlicher ist als die Freeride 350. Man kann den Motor nicht abwürgen. Es gibt nichts zum Kuppeln, nichts zum Schalten. Es kocht kein Kühlwasser über beim zu lang stehenbleiben (Cross-Maschinen haben aus Gewichtsgründen üblicherweise keine Kühlerlüfter). Die Maschine könnte unter Wasser fahren, und weil die Luftfeuchtigkeitsanzeige zum Test auf „Marianengraben“ steht, muss sie das auch.

Es war sehr nass in Österreich.

Schon beim Anfahren stellt sie klar, dass sie eine KTM wie jede ist, denn selbst mit Elektromotor bleibt dem Fahrer die stets zitierte „präsente mechanische Geräuschkulisse“: Das Untersetzungsgetriebe mahlt, die Kette rasselt dazu. Am Lenkkopf sitzt ein kleines Anzeigeelement, das hauptsächlich aus unmissverständlich hellen Ladestandsanzeigelampen besteht. In der Mitte gibt es noch 1, 2, 3: eine numerische Anzeige der Drehmomentmodi. Wie stark soll sie antreten? Auf der kleinen Teststrecke reicht erstmal der schwächste Antritt, sagt der junge Einweiser. Das glaube ich mal, denn er hat sich erst kürzlich das Schlüsselbein auf der Maschine gebrochen. Die Unterschiede sind hier signifikant, doch in jedem Modus war bisher jeder Tester vor allem von einem Punkt angetan: der annähernd perfekten Dosierbarkeit des Elektromotors. Beim Verbrenner gibt es einen Haufen Umwege vom Dreh am Gasgriff bis zum Drehmoment an der Kurbelwelle, die beim E-Motor fast alle wegfallen. Lineares, vorhersagbar transparentes, stets verzögerungsfreies Anzugsverhalten ist das Resultat, und diese Tugenden sind im Geländesport unersetzlich wertvoll. „Der beste Geländemotor, den ich je gefahren bin“, wie es der Phil Mühlberger ausdrückte.

Der Akku wiegt runde 20 kg, speichert rund 2 kWh und lässt sich in rund zwei Minuten wechseln.

Die Umgewöhnungszeit auf diesen Antriebsstrang ist extrem kurz. Die Umgewöhnungszeit zurück auf einen Verbrenner ist schwieriger. Es nagt an der Sportlerseele, dieses Wissen um das so viel bessere Ansprechverhalten. Und dieser Schalthebel! Den braucht doch kein Mensch, der geht doch eh nur kaputt beim Hinschmeißen! Das Bessere kostet eben auch: Laut KTM soll die Freeride E „unter 10.000 Euro“ kosten, wenn sie 2013 zu den Händlern kommt. Besonders viel unter 10.000 werden es allerdings wohl nicht sein, was in der Hauptsache mal wieder an der Batterietechnik liegt. Zum Vergleich: Die Freeride 350 kostet 6995 Euro, und die muss nicht alle naslang lange Pausen machen. Der Lithium-Ionen-Akku der E mit 2,1 kWh reicht Offroad-Profis für 20-30 Minuten Fahrt, Spaßfahrer erreichen rund 45 Minuten, Einsteiger können auch mal 60 Minuten auf der Strecke bleiben. Aufladen dauert 90 Minuten. Akku wechseln dagegen geht in unter fünf Minuten: Sitzbank hochklappen, vier Schrauben lösen, die Zelle an ihrem Griff rausziehen, und dasselbe im Rückwärtsgang für die volle. Es soll außerdem ein Akku-Leasing angeboten werden, vergleichbar mit dem, was Renault gerade tut.

Der Wasserkühler ist neu. Bei Wüstenhitze wurde die Umrichtereinheit punktuell zu heiß.

Es herrscht noch Informationssuche in Mattighofen, und wenn man sich die halbgar in den Handel gekommene Konkurrenz anschaut, ist das wahrscheinlich der richtige Weg. Die Tests haben zum Beispiel gezeigt, dass bei Dauereinsatz in großer Hitze die Umrichtereinheit sehr heiß wird. Jetzt gibt es eine zusätzliche Wasserkühlung. Der Kunde muss also nicht wieder den Beta-Tester machen. Er kann das allerdings freiwillig tun: Ein Teil der bereits produzierten Kräder steht interessierten Kunden zur Verfügung, die sich über KTMs Website anmelden konnten. Man beachte das Präteritum: Interessierte sollten es im Frühjahr nochmal probieren, denn es haben sich so viele angemeldet, dass die Termine schnell ausgebucht waren für diese Saison. Fürs Wollen ist das schonmal ein gutes Indiz. Mal eben knapp 10.000 Euro für ein Sportgerät ausgeben KÖNNEN wird eher das Problem sein. Warten wir mal auf die Variante mit Schloss und Straßenzulassung, mit der man auch in der Stadt spielen darf.

Funktionstest: Will man eine? Ja. Oh ja, man will.

KTM Freeride E (Vorserie)

Ist: trotz Vorserie das fertigste Elektrokrad
Kos­tet: „unter 10.000 Euro“
Leis­tet: 10 PS (7,5 kW) bei 6.000 U/min. Da ist eine Erklärung fällig. KTMs errechnete 30 PS stammen aus dem Überlastbetrieb, der in unteren Drehzahlen verwendet wird. Wenn diese Überlast bis 6.000/min hochgezogen würde, kämen 30 PS heraus. Man beachte den Konjunktiv, denn die Überlast wird nicht hochgezogen, sondern dazu verwendet, bei niedrigerer Drehzahl auch mal deutlich über 10 PS anzulegen. Ingenieure wissen, wovon ich spreche.
Stemmt: 42 Nm bei 500 U/min
Wiegt: 95 kg ohne die neue Wasserkühlung
Tankt: 2,1 kWh mit maximal 16 A @ 230 V
Hat: bei Rönnoh das mit dem Akkuleasing aufgeschnappt. Gut.

Bilder: KTM

Kommentare:

ältere
  • Max meinte am 27. November 2012 um 12:29:

    Ich finde das sehr interessant und wenn sie die 4 Schrauben am Akku auch noch gegen Schnellverschlüsse tauschen, wäre das natürlich noch etwas benutzerfreundlicher. Ein Akku zum Kreiseln und einer im Ladegerät. 😉

  • sinsser meinte am 28. November 2012 um 8:54:

    da ich grade mein olles Dreck-Spielzeug Husa fe450 verkauft habe, unter anderem auch aus dem Grund es leid zu sein alle 100m in unserem dichtbesiedelten Land mittles Scheibenwischer-Gestik als Bekloppter tituliert zu werden, lese ich den Artikel mit besonderem Interesse. Leider zunächst nur aus technischer Sicht, da die finanzielle (Aus-) Sicht absehbar leider trübe ist. Trotzdem: Werde ich mal im Auge behalten und zumindest probefahren.

  • AllgemeinerMensch meinte am 28. November 2012 um 13:38:

    Aus meiner ganz persönlichen Sicht haben Fahrzeuge, welche man mit einem anderen Fahrzeug an ihren Einsatzort transportieren muss, keine Zukunft – ganz besonders nicht, wenn es darum geht „ 20–30 Minu­ten“ abseits der Straße zu fahren.

    Ich hatte in letzter Zeit sehr viel Freude an einer alten Fantic Trial Maschine, hab sie aber im Endeffekt wieder verkauft, weil mir genau das auf den Keks ging. Das Mopped passte bei umgeklappter Sitzbank zwar hinten ins Auto, trotzdem war es mir auf dauer zu doof immer alles zusammenzusuchen, zu verladen, irgendwo hin zu eumeln wo man fahren darf und nach 2 Stunden wieder alles rückwärts. Da hab ich bei meiner derzeitigen beruflichen Situation keine Zeit für, das muss spontaner gehen. Jetzt fahr ich wieder jeden Tag mit einer bleischweren Enduro zur Arbeit, aber wenn‘s mich packt fahr ich auf dem Heimweg einfach mal durch den Wald anstatt außen drum rum.

    Genau dafür sind in meinen Augen Enduros wie die KTM Freeride da und das macht sie großartig. Insbesondere die Verbrenner Version mit völlig ausreichendem 350er Motörchen find ich von der Idee her so gut, dass ich kurz davor war meine Vorurteile gegenüber KTM über Bord zu werfen, in den Laden zu gehen und son Ding auf der Stelle mitzunehmen…

    …bis ich feststellen musste, dass die 350er gar keine Straßenzulassung hat. Warum zur verdammten Hölle baut man ein so großartiges Motorrad, das endlich mal nicht nur darauf abziehlt Traum pubertierender Teenager zu sein, und bringt dann keine Straßenzulassung zu stande? Ohne Straßenzulassung sind für mich beide Versionen der Freeride genau für den Einsatzzweck ungeeignet für den sie -eigentlich- wie gemacht sind.

    Ob sich irgendwann Freeride-Parks mit Mietmotorrädern ähnlich heutigen Kartbahnen etablieren können, wag ich nicht vorherzusagen. Als Privatperson jedenfalls kann ich mit den Dingern ohne Zulassung einfach nichts anfangen, da gibt‘s bessere und gleichzeitig billigere Alternativen.

    Aus meiner ganz persönlichen Sicht: Chance vertan, schade eigentlich.

  • Parole Parole meinte am 29. November 2012 um 10:22:

    Schön, wenn das Moped es doch noch zur Serienreife schafft.

    Nur schade, dass KTM seit 5 Jahren dieses Motorrad ankündigt, aber nicht ausliefert.

    Manche fahren eine Quantya seit 2008.

    Wenn KTM Quantya nicht mit ihren falschen Ankündigungen (jedes Jahr heisst es, nächstes Jahr kommt‘s mit 30 PS und unter 10‘000 Euro!) das Geschäft kaputt gemacht hätte, wäre Quantya inzwischen wohl auch in der 2. Generation.

    Ankündigungen sind eh die Bits nicht wert, mit denen sie übermittelt werden, siehe auch Smart-E, wann wurde es zum ersten Mal von Hayek angekündigt?

    • Clemens Gleich meinte am 29. November 2012 um 10:28:

      KTM hat auch für die RC8 damals eeewig gebraucht. Immerhin haben sie für die E in richtige Werkzeuge investiert, deshalb sieht es so fertig aus. Wenn sie nur Fördergelder abgreifen wollten, hätten sie das Einspur-Äquivalent zum Mini E bauen können: ein Fahrzeug, das nichts mit Serienfertigung zu tun hat.

      Dass die E das Ende der Quantya ist, halte ich für ein Gerücht. Die Quantya ist ihr eigenes Ende, weil sie nicht gut genug war. Sie hatte alle Chancen, ihre Idee umzusetzen.

  • Winfried V. Berlepsch meinte am 3. Dezember 2012 um 12:30:

    @ AllgemeinerMensch: Stell‘ Dich mal an eine MC-Strecke, an eine Renne, eine GO-Kart-Bahn, an einen See bzw. ans Meer, auf einen (Segel)Flughafen oder ähnliches und erzähl‘ den ganzen Crossern, Racern, Kartisten, Jet-Skieern und Seglern (zu Wasser und zu Luft), daß Fahrzeuge, die man mit anderen Fahrzeugen an ihren Einsatzort transportieren muss, keine Zukunft haben.

  • Reini meinte am 4. Dezember 2012 um 9:04:

    Grössere Akku (an die 5kWh nicht nur 2 sollten rein), Schaltgetriebe weil 70 km/h zu schnell (Gelände) und zu langsam (Straße) ist und Nummerntafel sind must haves bei 10 kilo Euros. Ich fahr schon länger elektrisch und weiß wovon ich rede.

  • Urlaub, bis der Arsch blutet | MoJomag meinte am 29. Mai 2013 um 9:00:

    […] Tricks zu trainieren. Man kann aber auch einfach im Jackass-Stil mit dem Zipfelbob springen. Oder im Naturschutzgebiet KTM-Motocross […]

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