Test BMW S 1000 RR

Über die erstaunliche Schnelligkeit, mit der BMWs Superbike jedwede Mengen von Moral im Verkehr verbrennt.

„You meet the nicest people on a Honda“, sagte die vielleicht bekannteste und größte Werbekampagne Hondas in den USA der sechziger Jahre. Heute könnte man in Anlehnung sagen: „You meet the most vernünftig people on a BMW.“ Bestes Beispiel: Der GS-fahrende Erdkundelehrer, der immer Verbesserungsvorschläge zur Sicherheit unserer Bekleidung (mehr Kleidung!) oder unseres Fahrstils (weniger/langsamer Fahren!) hat. Den gibt es wirklich, wahrscheinlich sogar in ungefähr jedem Kaff. Und jetzt steht das Superbike S 1000 RR da, wie eine stachelige, schielende Kreatur aus der Hölle, mit einer Motorleistung, die Erdkundelehrer in die Insulinschockstarre treibt. Doch das ist gar nicht die eigentliche Nachricht an diesem Motorrad. Die eigentliche Nachricht sind auch nicht die elektronischen Gimmicks, die BMWs Ingeniersbuben ja schon seit immer gern an ihre Kräder tackern. Nein, die eigentliche Nachricht, von der ich glaube, dass sie wenige wirklich begriffen haben, ist: Vor allem technischen Schnickschnack hat BMW zunächst mal als Baseline ein richtig, richtig, richtig gutes Motorrad gebaut. Es ist sehr einfach zu fahren. Die Ergonomie stimmt. Es ist wie bei einer 600er Leistung da, die erst weit oben kommt, die einen daher also nicht überraschen kann. Und es ist seit langem mal wieder eine BMW, auf der man in fiesestem Wolkenbruchgewitter sitzt und dabei dennoch das gute Gefühl vermittelt bekommt, dass einen diese Maschine jetzt, egal was Mutter Natur noch auffährt, klaglos nach Hause bringen wird. Das war in den letzten Jahren nicht mehr selbstverständlich bei BMW.

Mit dem wichtigen Peco-Aufkleber sieht sie aus, als hätte sie sich in einer Schlägerei ein Veilchen geholt. Steht ihr hervorragend.

Nun bin ich ja ein leicht zu beeinflussender Mensch. Schon nach der Übernahme der S 1000 RR, interner Name „K46“, in München fing es an, dass BMWs Bosheit sich über die Hintertür einfacher Fahrbarkeit in meinem Kopf einnistete. Es regnete, vielleicht war deshalb „Rain“ als Setting eingestellt. Es ist scheiße, das braucht kein Mensch, denn unter Rain kastriert die BMW ihr Anfahrdrehmoment unter das Niveau einer Sechshunderter, die auf drei Töpfen läuft. Im Modus „Sport“ spricht der Motor mit vorbildlichen Knigge-Manieren an, er erinnert dort an einen weichbügelnden Gleichdruckvergaser. Leider beschneidet er auch hier noch das Anfahrdrehmoment so stark, dass es nicht nur mir unangenehm ist. Dieses Verhalten hört erst im Setting „Race“ auf, dann allerdings hängt der Vierzylinder sehr direkt am Gas, das E-Gas bügelt Lastwechsel kaum noch glatt. Dennoch ist Race das Setting der Wahl auch für die Landstraße, weil man ja immer mal wieder anfahren möchte und es tatsächlich keinen Stress, sondern eher Spaß macht. Es ist Genuss pur, im fünfstelligen Drehzahlbereich kanisterweise Benzin durch die Shower-Düsen sprühen zu lassen, als wär die Airbox eine Duschkabine für Elefanten. Auf der Landstraße hingegen kommt man selbst bei zügiger Fahrweise mit um die sechs Liter aus, weil immer viel zu viel Leistung in der oberen Drehzahlreserve vorhanden ist.

So fucken' easy to ride...

Das erstaunlich weiche Fahrwerk liegt sehr stabil in Schräglage. Das hat den Vorteil, dass die Störimpulse (zum Beispiel von weniger versierten Fahrern wie zum Beispiel mir) weniger Rühren erzeugen. Diese Auslegung will dann allerdings auch einen nachdrücklich gesetzten Lenkimpuls am Kurveneingang. Die griffigen, stabil laufenden Stahlgürtelreifen Metzeler K3 Interact passen perfekt dazu. Insgesamt genau die richtige Auslegung für Grobmotoriker wie mich. Dieses Krad ist damit das derzeit am einfachsten zu fahrende Superbike. Dickere Leute, die härter fahren als ich (also die Mehrheit) möchten eventuell an der Dämpfung drehen, die für mich Hering auf der Landstraße zwar sehr gut passt, aber in sehr schnellen Autobahnkurven schon dieses leichte Rühren der Fahrzeugfront erlaubt, dem ich wenig zugeneigt bin. Sehr zugeneigt bin ich dagegen dem Gasgeben wie ein Geistesgestörter, bis die Traktionskontrolle selbst geradeaus abregelt, was frustrierend früh passiert, weil sie den Nebenauftrag hat, Gaswheelies zu verbieten. Meh. Erst im Modus „Slick“ (Codierstecker erforderlich) erlaubt das DTC fünf Sekunden lang einen Wheelie, um dann das Vorderrad etwas grobmotorisch wieder auf den Asphalt zu knallen. Es bleibt zu sagen, dass BMW das beste Antischlupf-System in Serie hat, deutlich problemloser als zum Beispiel Ducatis DTC. Aber ich mag es nicht sonderlich.

Selbst ohne ABS und ohne Traktionskontrolle ein paradiesisches Motorrad.

Die Bremsen. Tja. Rennfahrer sind mit angeschaltetem ABS nicht langsamer unterwegs als ohne, was diesen Teil der Diskussion erübrigt. Gelegenheitsfahrer wird es jedoch stärker irritieren, dass das Servo-mitgebremste und Ventil-blockiergeregelte Hinterrad in der Bremszone für Unruhe sorgt. Die BMW schlingert beim Anbremsen ohne echte Not (denn die Bremsleistung ist durch die Geometrie begrenzt, durch den Überschlag nach vorne). Das kann die Honda Fireblade mit ihrem ABS aus Blei besser: Die braucht etwas länger zum Bremsen, liegt aber in der Bremszone wie das sprichwörtliche Brett, egal, was da unter den Reifen liegt. Ich persönlich würde das BMW-ABS auf einer trockenen Rennstrecke abschalten, sodass der Handbremshebel nur vorne verzögert. Das verbessert zwar die Zeiten nicht, behebt aber das (mich) irritierende Schlingern.

Das Gemäkel musste sein, Gemäkel macht mich zum professionellen Deutschen. Ich bin hier allerdings auch in der komfortablen Lage, meinen eigenen Pressespiegel zur Superbimpf zu machen, weil ich so viel drüber geschrieben habe in 2010. Der spricht eine deutliche Sprache:

Wenn sich Zumspaßfahrer auf der Rennstrecke treffen, gibt ihnen eine S 1000 RR einen geradezu unfairen Vorteil: Sie meistert mit entspanntem Fahrer die Kurven und nimmt auf jeder Geraden das Recht des Stärksten in Anspruch.

– MO 6/2010

Das Motorrad als Ganzes, als Paket ist eine Ansage, der aktuelle Benchmark, an dem sich andere messen müssen. Die S 1000 RR ist aktuell nicht nur das schnellste Motorrad von BMW, sie ist auch das beste.

– BMW Motorräder #33

Als mir die K46 bei der Überführungsfahrt zurück nach München auf der A8 bei über 300 km/h mit ihrer Urgewalt die Lufthutze vom Helm reißt, bin ich mir in meinem Urteil sicher: Die S 1000 RR ist das beste Motorrad 2010.

– Fastbike 3/2010

Oder mein ultrakompaktes Fazit im SWA-Superbike-Vergleich in MO 6:

Jammern wir mal nicht wieder auf einem so hohen Niveau über Schwächen, dass es beschämend dekadent ist, sondern reden Tacheles: Alle Superbikes haben ihre (Pferde-)Stärken. Aber die BMW hat die meisten.

Weitere Stärke, in der Fastbike eruiert: Die K46 ist ein tolles Landstraßenschnellreisemotorrad.

Diese Qualitäten haben in den zwei Wochen, die das Motorrad da war, jedwede langjährig erworbene Verkehrsmoral erodiert. Ich ertappte mich dabei, zu fahren wie ein Besessener und dabei mental „Nein!“ zu schreien. Und ich schwöre, dass irgendwo ein finsteres „Doch.“ antwortete. Vielleicht bin ich zu einfach korrumpierbar. Daher setzte ich im Namen der Wissenschaft einen höchst vernünftigen, umsichtigen und erfahrenen BMW-Fahrer dem Dämon aus, einfach mal als Prüfbank. Zunächst nichts Außergewöhnliches: der Manfred (BMW-Fahrer heißen immer Manfred oder Wolfgang) überbremst vorne, weil er nur die Komposthaufenbremse der K 1300 R gewohnt ist. Schüttelt den Kopf. Würgt die K46 am Berg ab mit ihrem kastrierten Drehmoment. Doch langsam, schleichend ändert sich der Körpertonus. Der Mann fängt an, Spaß zu haben. Als er *piiep-piep* durch *piiiiiiieeep* fährt, weiß ich, dass seine Seele verloren ist und als die Sonne endlich herauskommt, weiß er es selber. Er will nicht mehr absteigen. Meine persönliche Werbekampagne der S 1000 RR lautet also so: „You meet the most evil bastards on a BMW. Und sie können nichtmal was dafür.“

Ja, die beißt. Und will spielen. Mit den rausgebissenen Brocken. (Bild: BMW)

BMW S 1000 RR MJ 2010

Ist: das beste Motorrad 2010.
Kostet: 15.500 Euro + 915 Euro (ABS) oder + 1220 Euro (ABS + Traktionskontrolle DTC)
Leistet: 193 PS (142 kW) bei 13.000 U/min (real bisher alle Messungen über 200 PS)
Stemmt: 112 Nm bei 9.750 U/min aus 999 ccm
Wiegt: 207 kg vollgetankt inkl. ABS
Tankt: 17,5 Liter Super
Hat: Manfreds Seele verbrannt.

Fahrbilder: Manfred Handschuher

Besonderheiten der Fahrzeugelektronik:

Bild: BMW/CATIA, Beschriftungen von mir

Weitere technische Einzelheiten der K46 (heise Autos, auch von mir)

Kommentare:

ältere
  • 2-Takt-Affe meinte am 7. November 2010 um 12:13:

    Auch wenn‘s keinen interessiert, geb ich hier jetzt einfach mal meinen Senf dazu:

    ein sehr nett geschriebener Artikel, der mich ganz juckig gemacht hat. Wo bekomm ich jetzt nur die nötigen Kröten her?

    BTW:
    bin grad erst über dieses Blog gestolpert, aber jetzt schon extrem begeistert… …endlich mal jemand der die Wahrheit (auch wenn‘s nur seine eigenen ist) sagt.

    Deshalb von mir: thumbs up!

  • Konni meinte am 19. November 2010 um 15:58:

    Klasse geschrieben.
    Mein Bruder heißt Manfred und fährt…. natürlich GS
    Mein Kumpel heißt Wolfgang und fährt….. natürlich GS
    Ich fahr den Dämon himself und kann den Bericht nur bestätigen.

    Gruss
    Konni

  • Chris G. meinte am 4. Januar 2011 um 3:22:

    Clemens das Geilste an der S1000RR ist das BMW den Ahnungslosen in aller Welt mal gezeigt hat wo der Hammer haengt.Die S1000RR hat das Supersportmotorrad-Segment revolutioniert.
    So klein wie eine R6,staerker/schneller als eine Hayabusa,so einfach zu fahren wie eine CBR600F4!Gut in 2-3 Jahren werden alle Supersportler so sein wie die S1000RR.
    BMW hat aber Allen gezeigt dass sie mehr koennen als nur Tourer zu bauen fuer alte Maenner..;-)
    Gut in WSB hat die S1000RR noch nicht gewonnen aber vor einem Jahr haette Spiess auch auf einem Kinderfahrrad gewonnen und Aprilia hat mit den zahnradgetriebenen Nockenwellen der RSV4 geschummelt.Flamini,Aprilia,Biaggi…alles Mafia…;-)
    Bei den Serienmaschinen im FIM Superstock hat die S1000RR gewonnen,wie auch an der Verkaufsfront mit mehr als 50% Marktanteil aller Sportmaschinen!
    Gratulation!
    Habe ich eine S1000RR?Nein.Ich fahre nur 1 bis 2 Mal pro Jahr Rennstrecke.
    Auf der Strasse ist so ein Geraet totaler Overkill.
    Ich hoffe BMW bringt mal wieder eine „echte BMW“ sprich einen modernen R1100S mit 1200cc DOHC Boxer Motor!
    Das war fuer mich die beste BMW/das beste Motorrad ueberhaupt!
    Machte Spass auf der Rennstrecke und war auch fuer die grosse Tour zu Zweit mit der Holden hintendrauf gut zu gebrauchen.Und eine eigene Rennserie wo immer eine R1100S gewann hatte sie auch…;-)
    Die R1200S war nur halb so geil weil die Sozia S&M abgenoetig wurde und praktische Zutaten wie richtige Koffer,Gepaeckbruecke und H-Staender leider voellig fehlten.
    Eine neuen Sport(touren) Boxer braucht das Land…R1200RS!

  • Bruno Neral meinte am 30. April 2011 um 19:51:

    Ich bin so ein stolzer Besitzer einer S1000RR und bereue nicht eine Sekunde all die Euros, die ich für diese Maschine gelöhnt hab.
    Bis im letzten Jahr hatte ich die Meinung vertreten das BMW nur Bikes für angehende Rentner baut, sorry nicht böse sein.(Hab meine Vorurteil abgelegt)
    Aber BMW hat mich des besseren belehrt. Nicht das alle Modelle von BMW schlecht sind aber mit der S1000RR ist ihnen ein Bike gelungen das meine Wünsche voll befriedigt.
    Super Fahrwerk, in allen Situationen beherschbar. Selbst auf Schotter reagiert die Elektronik hervoragend und erspart mir einen Highsider.
    Leistung ohne Ende und in meinen Augen in allen 4 Mods gut regelbar.
    Selbst bei hohen Geschwindigkeiten von 250 km/h reagiert dieses Bike beim mehr Beschleunigen wie ein scharfes Biest und gibt unerwartete Leistungen auf den Reifen ab.
    Was die so oft kritisiert asymetrische Frontblend angeht, na ja, jedem sein Geschmack.
    Mir gefällts 😉
    Es gibt nur einen Punkt zu kritisieren. Durch die sehr schlanke Bauweise der Maschiene gibt der Motor sein Wärme an den Rahmen weiter. Sollte es unbelehrbare Jeansfahrer oder gar Bermudashortfahrer geben, na dann viel Spass mit gekochten Innenschenkeln.
    Leder ist da absolute Pflicht. Und als Stadtcruser ist diese Bike nicht zu gebrauchen.
    Landstrasse, Autobahn und Rennstrecken sind für dieses Bike genau richtig.
    Ich hab mich aus dem Bauch für dieses Motorad entschieden und bereu es nicht eine Sekunde.
    Mal sehen was in Zukunft von BMW und all den anderen noch kommt.
    Allen wünsch ich eine schöne Zeit und viel Spass

    Gruss

  • rentäng meinte am 29. Dezember 2011 um 1:03:

    Tolles Ding.
    Schade find ich nur, dass man jetzt eben keine Angst mehr haben muss, seit der s1000rr hat alles Traktionskontrolle. Vorher hat man sich vielleicht gesagt, nee, flieg ich nur mit rutschendem Hinterrad auf die Fresse, jetzt….. gibts sowas wie „zuviel“ nicht mehr.
    Toll, dass ses geschafft ham 20PS mehr als alle anderen rauszuholen, ABER:
    ich bin mir todsicher dass, hätten sie sich mal rangemacht, die Japaner das auch schon vor nem Jahr hätten rausbringen können, aber solange sich alle dran gehalten haben, wars halt für alle billiger abwechselnd nur 2-3PS draufzupacken, Jahr für Jahr. S selbe Spielchen wie bei….Fußballspielen, Formel 1-Simulationen….. usw.

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