Test Yamaha XVS 1100 Dragstar in Amerika

Amerikanische Fahrzeugklassen sollten am besten in Amerika getestet werden. Jack Baruth fährt den Japano-Softchopper Yamaha XVS 1100 Dragstar (V-Star Silverado heißt der Eimer dort) den Skyline Boulevard entlang. Mit einem NASCAR-Helm auf dem Kopf.

Geschrieben und mit freundlicher Genehmigung von Jack Baruth, übersetzt von mir.

Ihr Leser seid eine mutige Truppe, und das beweist sich nirgends mehr als in eurem Willen, mich eure Privatfahrzeuge testen zu lassen. Von Time Attack Mustangs bis zu Cadillacs aus der Malaise Ära habt ihr, die Besten und Hellsten, uns beständig geholfen, euch Reviews interessanter Vehikel zu bringen. Und ich habe noch keins zerlegt.

Trotzdem braucht es eine besondere Sorte Mut, ein Motorrad für einen Late-Night-Ritt rauf zu San Joses Skyline Boulevard zu verleihen, besonders im Hinblick auf den Fakt, dass ich mich nach Erhalt der Fahrzeugschlüssel zu Vodka McBigbra umdrehte, meiner berüchtigten Reisegefährtin, und ankündigte: „Ich setze dich jetzt auf das Ende dieses Bikes und dann gehen wir reiten da unten bei Old Man Johnson‘s Farm, falls du verstehst, was Prince damit gemeint hat, und ich denke, du tust das.“

Die XVS 1100 Dragstar (V-Star 1100 in den USA) ist jetzt seit bald einem Jahrzehnt die bezahlbare Big-Bore-Option in Yamahas Modellpalette. Nur die Hubraumgigantomanie der Cruiserszene hat diesen alten Soldaten in den Hintergrund gedrängt, zugunsten der 1300er oder gleich der 1900er. Meiner Meinung nach fehlen den neuen Modellen jedoch ein bisschen die stattlichen Linien ihrer Vorgänger. Ich bin kein Experte in Sachen Cruiser-Ästhetik, aber für mich sieht die 1100 einfach richtig aus. Nicht zu anstößig West-Coast-Cialis-die-zwei-fettesten-Twins-im-Guinness-Buch-der-Rekorde-groß, nicht zu Sportster-883-winzig.

Die V-Star Silverado Classic, wie sie in den Staaten heißt, mit Zubehör, ohne Fahrer. (Bild: Leser „SFBiker“)

Die 13° C kalte Nacht brachte V. McB zur Entscheidung, besser an der Ranch zu bleiben und den Abend damit zu verbringen, ein bisschen, äh, örtlich angebauten Tabak zu rauchen. Obwohl ich selber ein paar kurze Hosen trug, die in keinster Weise dazu geeignet waren, die anstehende Schockfrostung meiner Genitalien zu verhindern, lehne ich aus Prinzip keine Freifahrt auf einem Motorrad ab. Also rollte ich die Dragstar aus ihrer Garage und richtete sie auf die 101 aus.

Warum kaufen Leute Cruiser? Das ist eine berechtigte Frage, und in meiner Ninja-fahrenden Jugend dachte ich, es liefe auf eine Art Testosteronunterversorgung hinaus, gepaart mit leichter geistiger Zurückgebliebenheit. Denn obwohl der durchschnittliche Cruiser geradeaus nach Auto-Maßstäben schnell ist (die Dragstar wurde in der Fachpresse mit 13,92 Sekunden für die Viertelmeile angegeben, mehr als genug, um einem Toyota GT86 oder BMW 328i tschüss zu winken), hat er die niedrigsten Handling-Limits aller normal käuflichen Fahrzeuge. Ich scherze nicht. Ein Ford F-150 Pickup Truck hängt einen Cruiser auf den meisten kurvigen Strecken sofort nachhaltig ab. Alles an einem Cruiser hält das Tempo niedrig: der zu lange Radstand, der abscheuliche Lenkkopfwinkel, die üblicherweise unterdurchschnittlichen Bremsen, die nach Ästhetik statt Performance ausgewählten Reifen, alles. Wenn du versuchst, ein bisschen zu pushen auf einer Freeway-Auffahrt, wirst du schnell etwas abschaben. Meine Honda CB550 aus den Siebzigern („Kellee“) würde die Yam auf jeder Rennstrecke abledern — zumindest, bis die Gerade kommt. Performance ist einfach nicht im Angebot, fertig.

So what? Innerhalb einer halben Meile war ich voll und ganz entzückt vom auf alt gemachten Yamahopper. Durch das Wegwerfen jeden Ansatzes von Aggression, Performance oder konventioneller Schnellfahrtugenden macht die Dragstar das ganz normale Fahren eine so angenehme Aktivität. Ein modernes Sportmotorrad stachelt dich stets an, schneller zu fahren, und schneller, und … Oh mein Gott, ich bin mit 220 auf dem Freeway an diesem Cop vorbeigefahren und jetzt muss ich weeeeg! Die Dragstar dagegen schlägt vor, dass du dich entspannst. Schau dich ein bisschen um. Du sitzt dort wie der Passagier in einem Cabrio, nur noch besser. Du kannst die hübschen Mädels sehen, die schönen Autos, die fröhlichen kleinen Bäumchen. Anders als Kellee, die unter 3000 U/min gar nicht losrollt und gern absäuft, wenn ich zu geizig mit dem Gas war, rollt die Dragstar aus dem Leerlauf los und kann überhaupt nicht abgewürgt werden. Es gibt Trittbretter statt Rasten. Das ist irgendwie nett, wobei die Teile in jeder Kurve schrecklich nah am Boden scheinen.

In der Stadt hat die 1100 immer und überall und in jedem Gang genug Drehmoment, um dich röhrend in die gewünschten Verkehrslücken zu werfen. Die Bremssättel scheinen mir von der Größe in etwa denen eines Camaro SS gleichzukommen, und die Bremsen halten die Fuhre zackig an — ohne diese Vorderradblockaden, die Cruisergeometrien oft plagen. Alles ist sehr komfortabel. Es gibt eine Rückenlehne. Diese spezielle Dragstar hatte einen teuren, CHiPs-artigen Windschild, der die nervigen Aspekte des Fahrtwinds von mir abhielt, ohne mir seine angenehmen Aspekte vorzuenthalten. Das war gut, denn der einzige Helm, den ich hatte, war mein Impact! Air Draft Carbon. Die Halskrause störte mich nicht. Das ist ja keine R1 oder S 1000 RR, du musst nicht aktiv den Kopf heben, um die Straße zu sehen. Oh, und ja: Ich sah selbstverständlich aus wie ein vollkommener Idiot mit meinem topentlüfteten NASCAR-Helm auf einem Cruiser.

Wunderbar, um geradeaus langsam zu fahren. Auf dem Freeway wurde es weniger wunderbar. (Bild: Yamaha)

Auf dem Freeway ist die Dragstar weniger wunderbar. Der V-Twin, von dem jeder Zylinder so viel Hubraum hat wie der Zylinder eines Town Car oder der gesamte Motor meiner Honda CB550, fängt dann an, zu klingen und sich generell genau so aufzuführen wie ein Farbdosenschüttler. Ich meine das nicht als eine komische Metaphorik, ich meine: Es ist wirklich exakt wie ein Farbdosenschüttler. Eine Zeitlang machte ich mir Sorgen, dass der Motor gleich desintegrieren würde, aber das Verhalten ist offenbar Absicht. Anders als sagen wir: eine Harley der AMF-Ära, die jeden Moment an ihrer eigenen, unausgeglichenen Verbrennungsaktivität krepieren konnte, ist das Schütteln der Dragstar nur ein harmloser Trick aus der Japanokiste, so harmlos halbauthentisch wie der körnige Leerlauf eines Boss 302 mit Track Key. Das ist eine moderne Yamaha. Die geht nicht kaputt.

Tatsächlich ist die Dragstar 1100 bekannt für ihre Zuverlässigkeit, trotz (oder vielleicht wegen) ihrer rein luftgekühlten Konstruktion. Diese Yamaha war außerdem eine der letzten ohne Einspritzung. Es gibt sie zu fairen Preisen mit normalerweise einem Haufen an zusätzlichem Zubehör drangeschraubt. Das Motorrad, das ich gefahren bin, hatte zum Beispiel einige, teils teure Zusätze, die der heutige Besitzer bereits so miterwarb, als er die Maschine gebraucht kaufte.

Kosten und Zuverlässigkeit sind aber keine guten Gründe, einen Cruiser zu kaufen. Diese Maschinen verkaufen sich über ihre immateriellen Werte, also schneiden wir der Yamaha doch das Herz heraus und wiegen es, Anubis-Style, gegen die Anforderungen an ihre Klasse. Das größte Problem der Dragstar ist, dass sie keine Harley ist. Die Mehrheit der Dschobbr-Kultur in diesem Land — ja, ein Großteil der Motorrad-Kultur an sich in diesem Land — baut um die Marke Harley-Davidson herum. Als Yamaha-Besitzer wirst du immer außen stehen und zugucken. Du wirst wieder und wieder erklären müssen, dass deine Harley keine ist. Du wirst von Leuten verachtet werden, die du normalerweise selber verachten würdest. Es mag sogar Orte geben, an denen du dein Motorrad nicht parken wollen wirst, damit es nicht das Ziel unglückseliger Aktionen wird — ich sage nicht, dass sowas dieser Tage noch besonders oft passiert, aber es ist definitiv möglich, vor allem im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Die Quintessenz ist, dass eine Dragstar kein Ticket fürs volle American-Chopper-Erlebnis sein kann.

Wenn dir dieses Erlebnis egal ist, wird die Entscheidung gleich viel einfacher. Die Dragstar ist eine echte Freude zu fahren bei legalen Geschwindigkeiten, was ein Statement ist, das man über keinen Sportler seit dem Debut der GPZ 750 mehr machen kann. Die Yam ist günstig in Kauf, Versicherung und Unterhalt. Es gibt Platz für Gepäck und/oder Apollonia Kotero. Die Performance-Klammer ist nicht besonders weit, umschließt aber eine adäquate Bandbreite potenziellen Nutzens. Das Krad könnte kaum einfacher zu fahren oder bedienen sein, und das fast unabhängig von der Fahrergröße (der Besitzer und ich sind größenmäßig 10 Zoll auseinander). Es sieht cool aus, es klingt nett und es startet sofort, wenn du fahren willst. Meiner Meinung nach sieht die Yamaha sogar besser aus als die japanische Konkurrenz, was sie weiter zum naheliegendsten Kauf macht.

In meiner unmittelbaren Zukunft gibt es keinen Cruiser. Selbst wenn ich ein moderneres Nichtsportmotorrad wollte, würde ich eher nach einer V-Max gucken. Diese ruhige und elegante Yamaha hat jedoch einen positiven Eindruck in mir hinterlassen. Wenn du eine fährst und du siehst mich meine Honda fahren (oder schieben), wink mir zu, okay?

Kommentare:

ältere
  • sinsser meinte am 26. Oktober 2012 um 11:50:

    Nur ganz kurz:
    1. Ein C*ppper ist kein Motorrad. Die beiden Begriffe im gleichen Zusammenhang zu erwähnen ist unzulässig. Es ist dabei auch egal, wo der Kackstuhl herkommt, aus Japan, Amihausen oder Lappland. Wurschd.
    2. Die angesprochene Nutzung als „entschleunigendes Fortbewegungsmittel“ ist in gleicher Qualität für 3-5% des Invests mittels eines 70er-Jahre-Mofas/Mopeds/Mockicks realisierbar.
    Dazu ist dann 3. sogar Schräglage möglich.
    Ich praktiziere das höchstselbst mit einer 77er Yamaha Chappy.
    Ist auch ungleich cooler.
    Fazit: C*opper fallen – mit viel Liebe -unter die Fahrzeugkategorie Trikes und Quads, also jene Fahrzeuge, die von Menschen mit Gleichgewichtsproblemen gesteuert werden.

    Damit ist übrigens nicht das Clemens-Gewichts-Problem gemeint

    So, und nun Bühne frei für die Profi-Angepissten aus dem US-Lager. :o)

  • butterfly meinte am 27. Oktober 2012 um 15:35:

    hey folks
    1. der jack baruth artikel ist schon rein sprachlich lesenswert wie immer – kannst öfters mal was dir davon schnappen, wenn du magst, clemens.

    2. @sinsser: jack beschreibt die sache mit den schoppern ja ziemlich perfekt: viele leute fahren überwiegend unter bedingungen, die es nicht erlauben, auch nur eine cb 250 auszureizen, was den einsatz moderner sportbikes dann wahlweise langweilig, schiziophren oder führerscheinsgefährdend macht. Warum soll ich mich mit den ergonomiemängeln eine race-bikes rumärgern, wenn ich eh nur über die stadtautobahn tuckere, die mir vielleicht um 3 uhr nachts das erreichen einer dreistelligen geschwindigkeit erlaubt.
    dass entschleunigung natürlich billiger geht, ist keine frage – aber was machst du dann mit all dem geld – koks oder rosenthal sammeltassen kaufen?
    ich fahre gerne ab und zu mit meinem sportbike, ich mag auch leichte bikes mit überschaubarer technik und….
    …ich fahre gerne meine harley – weil sie ein motorraderlebnis bietet, das meine anderen bikes nicht bieten

    greez
    butterfly *dessen harley mit voll einstellbaren fahrwerk noch nie aufgesetzt hat und die die erwähnten trikes und quads genauso verschnupft wie irgendwelche siebziger jahre leichtkraftschüsseln

  • Wolfgang Wilhelm meinte am 19. Oktober 2013 um 19:06:

    Hallo,

    der Artikel ist interessant. Leider gibt er für mich an der Stelle, an der der Windschild beschrieben wird, zu wenig her.

    Hierzu interessiert mich folgendes:

    Gab es Verwirbelungen im Helmbereich, die störend waren oder ging der Luftstrom sauber über den Helm hinweg? Dabei meine ich vor allem Geschwindigkeiten von 100 – 140 Km/h.

    Die verbaute Scheibe sieht auf dem Foto höher aus, als 50 cm. Ist das richtig?

    Konnte man durch diesen Windschild hindurchschauen oder darüber hinweg?

    Gibt es Erfahrungen darüber, ob der Luftstrom auch über den Sozius hinweg zog?

    Beste Grüße W. Wilhelm

    • Clemens Gleich meinte am 21. Oktober 2013 um 9:35:

      Hallo Wolfgang, leider kann ich Dir diese Fragen nicht beantworten, weil ich die Yam nicht selber gefahren bin. Jack ist die Tage zum Chefred von thetruthaboutcars.com ernannt worden und kann auch grad ned. Musst doch selber probefahren, was eh am besten ist, weil Deine Fragen kopfhöhenabhängig sind. We apologize for the inconvenience.

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