Tötet das Laubgebläse!

Im Jahre 1951 zeigte der englische Aktionskünstler Piotr Lombardini eine Nonsensmaschine der interessierten Kunstwelt, die das Sinnlose allen Schaffens demonstrieren sollte: das Laubgebläse. Ein Mensch schnallt sich diese Installation um, läuft damit presslufthammerlaut pustend über einen herbstlichen Platz, die Blätter aufwirbelnd. Dort, wo er gegangen, fallen die Blätter nach der Demonstration leise wieder zu Boden. Lombardini war stark depressiv und assoziierte auch sein eigenes Leben mit dieser Nonsensmaschine. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ein Schwabe im Publikum war, der seine ganz eigenen Vorstellungen von diesem Gerät mit nach Hause nahm.

Im Jahre 2010, Stuttgart, Samstag, acht Uhr morgens. Das erste Laubgebläse geht an. Um den Grund zu verstehen, muss man die Schwaben verstehen: Sie sind ein sauberes Völkchen, das fest daran glaubt, dass ein soziales Miteinander allein durch strengste Regeln sowie deren ständig überprüfte Einhaltung überhaupt möglich ist. Jeder Gegenbeleg zu dieser These (also der Rest der Welt) wird ignoriert. Trotz all seines Strebens ist jedoch selbst der Schwabe nur ein Mensch, daher braucht er ein Ventil, das auch sein zu können, ein Ventil, das aber in den Regeln liegen muss. Das vielleicht beliebteste Ventil ist der Samstag, wenn Kehrwoche ist. Dann kann man nämlich innerhalb der Regeln Seelenqualen durch Krach ausdrücken. Es gibt in Stuttgart Besen mit eingestreuten Stahlborsten. Warum? Na, damit sie lauter sind! Mit lauten Besen kann man anzeigen: „Sieh her, Welt! Ich fege! Ich nehme meine Pflichten ernst, schon so früh!“ Der Besen hat jedoch den Nachteil, dass er sauber macht. Am Ende ist der Schmutz weg und mit ihm die Rechtfertigung. Ein Laubgebläse hingegen kann man den ganzen Tag trompeten lassen, ohne dass irgendwas besser wird.

Auch der für Außenstehende scheinbare Nachteil, dass es antisozial ist, frühs sinnlos zu lärmen, entfällt im Biotop Stuttgart. Denn hier stimmt der Nachbar sogleich mit ein, möglichst mit einem lauteren Gebläse. Das geht dann, bis der Sprit alle ist, und dass ihr Tun die Zugezogenen foltert, ist nur ein weiterer Pluspunkt, denn die hassen sie ja eh. Ein besonders deutliches Zitat eines Stuttgarters zum Thema Menschen, Gesellschaft, Sozialleben hier zum besseren Verständnis im O-Ton: „Ich hasse alle Leute, weil alle Leute mich hassen.“ Und hier und nur hier gibt es für ewige Optimisten etwas Gutes am Laubgebläse: Es erlaubt, aus diesem Kreislauf des Hasses auszubrechen, indem die Zugezogenen die Laubgebläse hassen und treten können, statt das mit den Nachbarn zu tun. Daher der Aufruf für eine bessere Welt: Vernichtet die Laubgebläse! Vernichtet sie alle! Wenn der Nachbar dann klingelt, hat man dann auch gleich ein gutes Gesprächsthema.

Kommentare:

ältere
  • Christoph Hensel meinte am 14. Dezember 2010 um 12:21:

    Na ja bei dem Schnee sind Laubbläser nicht wirklich ein Problem. Ansonsten frag mal Burce, der weiss was zu tun ist wenn man einen versteckten Laubbläser am Arsch hat.

  • Christopher Kunz meinte am 14. Dezember 2010 um 12:49:

    Sehr schön. Das Laubgebläse im rheinischen Umfeld (Köln) wurde übrigens auch von Tommy Jaud in „Millionär“ durchaus pointiert dargestellt.

    Jahreszeitliche Verwandte:
    – Frühjahr, Sommer: Der (Aufsitz-)Rasenmäher
    – Winter: Die blecherne Schneeschaufel; in alpineren Lagen die motorisierte Schneefräse

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