Vom Ende der Relevanz

Es kommt mir selber unwahrscheinlich vor, vor allem unwahrscheinlich lang her, aber begonnen habe ich mein Leben als professioneller Schreiber in der Zockerszene als Redakteur eines Videospiel-Magazins. Deshalb interessiert mich das Leben der Gamer bis heute mehr als sagen wir: Badminton. Und vor allem interessiert mich, wie es den Zockermedien geht, nachdem so viele der Urgesteine ihren Betrieb so früh einstellen mussten. Diesen Text hier schrieb ich eigentlich für den Heise-Freitagskommentar, war aber wohl uninteressant. Vielleicht nicht Flamewar-tauglich genug. Auf jeden Fall unterhielt sich die Gaming-Szene der USA vor einiger Zeit über einen Post der Gaming-Site Kotaku, in dem sie schrieben, dass Bethesda und Ubisoft sie schneiden aufgrund ihrer Berichterstattung. Solche Vorkommnisse gibt es in allen Sparten der Presse, und für sich genommen sind sie langweilige einzelne Punkte. Das Datenfeld jedoch, auf dem diese Punkte stehen, halte ich für sehr interessant, denn es ist ein Teil des Medienwandels, den ich einmal mit „Relevanzverlust“ betiteln möchte. Er gilt für alle Medienbereiche, der Gaming-Bereich mit seinen medienaffinen Lesern ist da nur ein schönes Vorreiterbeispiel.

Der ewige Paternoster im Hause Springer: Wenn du mit der Bild nach oben fährst, fährst du mit ihr auch wieder nach unten.

Gehen wir ein paar Jahre zurück in die gute alte Zeit ™, als uns alles so viel besser schien, weil wir besser (oder zumindest jünger) waren. Damals lag die Schwelle zur Publikation an Massen viel höher als heute. Wer die Reichweite einer Bild wollte, musste sich bei Springers Roter Gruppe einkratzen und durfte nie den Paternoster im Haupthaus des Verlags vergessen, an den Bild-Redakteure die Gegenstände ihrer Artikel gern erinnerten: „Wenn du mit uns nach oben fährst, dann fährst du auch mit uns nach unten, ob du willst oder nicht.“

Selbstverständlich konnte man versuchen, ohne die Haupt-Outlets von Nachrichten eine Botschaft an die Massen zu schicken, aber das war damals so teuer, dass es selbst für die meisten größeren Firmen nicht in Frage kam. Das Geld war besser angelegt in eine Freundschaft mit Multiplikatoren. Verlage erhielten alles, was sie brauchten, damit sie über die Hersteller berichteten. Die Dienstleistung der Verbreitung bezahlten die Hersteller mit Anzeigen. Es gab damals noch in viel mehr Häusern eine klare Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung, aber es wusste jeder Redakteur, dass am Ende des Tages die Gegenstände ihrer Artikel (bzw. deren Hersteller) die Rechnung bezahlen.

Man wog sorgsam ab, wie wichtig eine dem Hersteller schädliche Story für die Leser war, denn auch die Leser waren wichtig, wenn auch kaufmännisch gesehen hauptsächlich als Kennzahl: mehr Leser, mehr Relevanz, höhere Anzeigenpreise. Der Hersteller wog genauso sorgsam ab, ob er die lange gewachsene Beziehung zu einem Verlag schädigt, oder ob es nicht eigentlich unwichtig ist, was die da schreiben, solange es nur über ihn ging. Es waren sehr diplomatische Beziehungen zwischen großen Funktionseinheiten.

Plus ça change, plus c‘est la même chose

Dann kam jedoch die Digitalisierung, die Medienschaffenden sehr niedrige Schwellen bot, selber zu publizieren. Wer einen Nerv traf, konnte irgendwann auf Youtube mehr Leute erreichen als ein Verlag, selbst als Einzelperson. Oder er klickte sich eine Website zusammen und schrieb Brandreden, die zündeten. In diesem Umfeld ist Kotaku ein Fisch unter vielen. Er mag größer sein, aber ich kann auch einen Makrelenschwarm anfüttern und am Ende mehr davon haben, als wenn ich einen einzelnen Hai füttere. Digitalvertrieb heißt eben auch: Die Kosten, mein Werk zu verteilen, sind verschwindend gering. Jede Makrele darf eine Kopie ausprobieren und darüber berichten.

Die Erfahrung zeigt, dass Menschen zur Liebeserwiderung neigen, wenn man sie gut behandelt: „Hier, bitte probiere unser neues Spiel aus. Deine kompetente Meinung interessiert uns sehr, du Gott der Gamer-Berichterstattung.“ Dagegen kann sich kein Mensch komplett verwehren. Der Bericht über ein Geschenk fällt stets ganz anders aus als über etwas, das man vom eigenen, sauer verdienten Geld erworben hat. Deshalb führen Verlage gern die Abgestumpftheit ihrer Redakteure als Pluspunkt ausgeglichener Berichterstattung an – durchaus zu Recht: Wer jeden Tag drei Spiele geschenkt kriegt, über die er berichten MUSS, für den verliert das nach einigen Jahren doch an Glanz. Dann flashen ihn nur noch Blockbuster-Präsentationen, auf die Hersteller ihn als VIP einladen.

Ein schöner Verriss gehört zu den ressourcenintensivsten Testartikeln überhaupt. Er muss wasserdicht sein, erfreut wenige, verärgert aber viele.

Für die Leser ist das aber weder erkennbar noch erkennbar relevant. Nach meiner Erfahrung hassen die meisten Leser sehr kritische Texte eher, als dass sie sie lieben. Wer sich auf das neue Fallout freut, will nicht hören, dass es nix taugt. Längst hat er vorbestellt. Und wer sich nicht auf Fallout freut, den interessiert die Kritik doch noch weniger. Wenn ich eine neue Ducati das erste Mal ausprobieren kann, haben die Fans längst eine unbesehen vorbestellt. Ich kritisiere persönlich ganz gerne, was auch gut ist, denn außer meiner Freude daran hat scharfe Kritik hauptsächlich Nachteile. Ein schöner Verriss gehört zu den ressourcenintensivsten Testartikeln überhaupt. Er muss wasserdicht sein, erfreut wenige, verärgert aber viele. Natürlich kann man sich eine Nische der Kritik erarbeiten, aber bleiben wir ehrlich: Es geht auch ohne relevante Kritik. Beliebteste Umsetzung: Nichtigkeiten kritisieren, damit sich der Text von einer Werbebroschüre unterscheidet. Ich kurbele an der Phrasendreschmaschine und „Die Grafik reicht nicht gannnz an PS4-Schmuckstücke heran, aber die offene Welt macht das ja mehr als wett blafaselrhabarber“ fällt heraus.

Ich mach mein eigenes Ding

Was in der ungeheuren Fragmentierung unseres demokratisierten Publizismus‘ oft untergeht, ist die einfache Erkenntnis der Hersteller, dass sie bei den heutigen Schwellenkosten ganz easy ihr eigener Publizist sein können, und zwar einer mit ziemlich krassen „Production Values“, wie der Amerikaner qualitätsdefinierende Eigenschaften von Medienprodukten nennt. Da steht er, der neue Mercedes und glänzt in der Sonne. Die Redaktion des Mercedes-Magazins ist damit zu Peter Maffay gefahren, um mit ihm an der Ostseeküste über das deutsche Grundgesetz zu sprechen. Er ist ein Protagonist in einer Geschichte, die ihn inkludiert, aber nie prüft. Also, der Mercedes jetzt. Oder vielleicht auch der Maffay gleich mit. Wir wollen ja nirgends anecken. Oder wir lassen Maffay mal Fallout spielen. Der meckert bestimmt nicht rum über Bugs oder die Grafik, denn er denkt als Nongamer ja nicht einmal in solchen Begriffen. Google-Begriff: „Content Marketing“, beste deutsche Übersetzung: „komplett Hersteller-eigene Schleichwerbung“

Außer eigenen Publikationen hat es sich als sehr gute Investition erwiesen, auf der Metaebene Medien zu produzieren. Hier, ihr traditionellen Redaktionen: höchstauflösende Raytracing-Bilder aus der Szenenentwicklung! Charakterskizzen! Doodles mit Insider-Witzen! Red Bull verdient sein Geld mit dem Verkauf koffeinhaltiger Zuckersuppendosen, lebt aber als Medienmaschine. Man suche eine coole Trendsportart, in der es keine roten Bullen gibt. Mir fällt keine ein. Sie sponsoren auch Esports, und dort passen die kleinen Dosen hin wie reibende Fäuste auf müde Augen.

Was die Alten in dieser fragmentierten Welt der Medienschwärme stört, ist klar: Wir, die wir einmal so relevant waren, werden jeden Tag egaler. Vor diesem Hintergrund muss man auch die Chefredakteure verstehen, die zu seinem Advent so gegen das Internet wetterten: Es störte sie, dass auf einmal jeder seinen Stuss in die Welt schreien konnte statt wie früher nur sie. Veränderung tut immer dann weh, wenn man gerade ein lokales Optimum durchlebt, und dieses lokale Optimum lag für viele Verlage in den Neunzigern.

Gleichzeitig gibt es heute erzählerische Freiheiten wie nie zuvor. Viele Gamer sehen Kotakus Erklärartikel daher als Geheul an, als eine Art Klage des verstoßenen Paparazzo, dass das Objekt seines Stalkings ihm die Vorhänge zuzieht (so Kollege Gieselmann). Viele über die Jahre privilegiert behandelte Pressepersonen klagen, man gebe ihnen nicht mehr die Freiheiten, die sie bräuchten, um ihre Arbeit zu machen. Ohne einen bezahlten Fuhrpark vor dem Haus kann ich NICHTS über Autos schreiben, ganz und gar unmöglich! Ohne Presse-Exemplare der Spiele werde ich nichts über Spiele schreiben! Wo kommen wir da hin? In den Steam-Checkout am Ende! Mit Dings, Bezahlen! So kann ich nicht arbeiten.

Freiheit kann dir keiner geben. Du musst sie dir nehmen.

Für mich hat Jerry Holkins (Texter Penny Arcade) es am besten als Pinnwand-taugliche Kurzbotschaft für Verlage zusammengefasst: „Die alten Einverständnisse sind vorbei. Kauft eure Spiele im Laden. Versteht ihr nicht, dass das das Beste ist, das euch je passiert ist? Sie schulden euch einen Scheiß, und jetzt schuldet ihr ihnen einen Scheiß.“ Das ist die neue Freiheit. Aber Freiheit ist auf eine Art das Gegenteil von Liebe: Niemand kann sie dir geben, solange du sie dir nicht nimmst. Und Freiheit ist auf eine andere Art genau wie Liebe: Du kannst sie dir nicht herbeigreinen.

 

Das Aufmacherbild ist eine Illstration von Gustave Doré zum Buch „Das verlorene Paradies“ (Paradise Lost) von John Milton. Das häufigste von mir aus meiner Branche erwartete Kommentar lautet: „Aber wir können nicht alle Test-Kraftfahrzeuge kaufen, das ist viel zu teuer.“ Völlig richtig: Wer teure Dinge testet, die er nicht kaufen kann, bleibt selbstverständlich abhängig vom Wohlwollen der Ausleiher. Das muss nicht schlimm sein, man sollte nur nicht vergessen, dass die Leser das mittlerweile auch wissen.

In other news (possibly connected), das hier kam gerade:

Eine Flaschen voller Tränen. Blut und Schweiß gibts vielleicht auch.
Eine Flaschen voller Tränen. Blut und Schweiß gibts vielleicht auch.

Kommentare:

ältere
  • Daniel meinte am 6. September 2016 um 20:58:

    … und deswegen lese ich gerne bei dir mit: ich habe das gefühl, die ungeschminkte, subjektive geschichte zu bekommen. glaube ich zumindest, aber realität ist immer was man dafür hält 😉

  • Volker meinte am 8. September 2016 um 13:25:

    Servus Clemens!

    Jo, gut geschrieben.

    Das ist quasi die Essenz der Pressefreiheit bis zur anarchischen Schmerzgrenze. Klar: Niemandem taugt es, in seiner ehemals so hohen Schule plötzlich als Dinosaurier dazustehen.

    Aber, je nun: Hufschmiede werden sich beklagen, diejenigen, die ihr vergangenes Geschäftsmodell allein auf der Kunst der Trepanation aufbauten, ein Fortran-77-Entwickler, der König von Bayern – nur vielleicht weniger eloquent als diejenigen, bei denen geschrieben Weinerlichkeit zum täglich Brot gehört.

    So hat also die Industrie nun – gänzlich überraschend – entdeckt, daß sie anderswie besser werben kann, als die in Verlagen arbeitende Schreiberlinge mit Gratiszuckerln zu wohlwollenden „Tests“ zu animieren.

    Hmmm. Mein Mitleid für die Betroffenen hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Den Hut ziehe ich aber vor Deiner messerscharfen Analyse (die natürlich die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums vom Heise-Kommentar sprengt) und daß Du Dich trotzdem nicht von der Belletristik abbringen läßt.

  • 3-plus-1 meinte am 15. September 2016 um 16:35:

    Vielleicht liegt die gute Zeit auch deshalb in der Vergangenheit (also für Game-Kritiken), weil es nicht mehr den Strauß an unterschiedlichen und inkompatiblen Systemen gibt, wie in den 1980ern.

    Mit einem C16 habe ich damals auch alles an Zeitschriften gekauft, was es für die Maschine gab – und das war schon wenig genug. Daher konnten sich die Redaktionen auch Dinge rausnehmen, die man heute nicht mehr glaubt. Wenn ich da an die furchtbaren Fotos und die extremen Rechtschreibfehler in der „Compute mit – Sonderheft C16, C116 und plus/4“ denke, die quartalsweise erschien … mannoman!

    Und heute? Da gibt es zwei relevante Konsolen, ein bischen PC und Android bzw. iOS. Das war‘s. Woanders wird nicht mehr gespielt. Kein Wunder also, wenn es für die Redaktionen schwierig wird, wenn alle über das Gleiche schreiben.

    Einziger Ausweg, man schreibt wieder über damals. Entweder kommerziell (https://shop.heise.de/zeitschriften/retro-gamer-magazin) oder so zum Spaß (http://www.lotek64.com/hp/index.php).

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