Kampfjet oder Cessna?

Mit jeder neuen Technik flammt die alte Diskussion über technische, meist elektronische Fahrhilfen wieder auf. Verderben die nicht den Charakter beziehungsweise die Fahrtechnik? Außerdem: Noch ein System, das kaputtgehen kann. Simplicity rules. Dann kann man auch selber reparieren.

Alle drei Argumente sind für sich genommen ignorant, weil sie den großen Gesamtzusammenhang außer Acht lassen, das Gesamtfahrzeug. Klar kann man Motorräder einfacher bauen. Man sollte es sogar. Denn praktisch alle Vorwürfe, die Elektronik betreffen, entstehen eigentlich aus zu hoher Gesamtkomplexität des Fahrzeugs. Das moderne Auto ist dazu das warnende Beispiel. Es gibt ein Optimum zwischen einfachem Aufbau und hilfreicher Technik. Der wird Puristen jedoch nicht reichen. Die wollen das Krad noch viel einfacher. Nur: dann wird es eben auch langsamer. Es wird außerdem weniger zuverlässig, wartungsintensiver und aufgrund der heutigen Industriezusammenhänge bietet es insgesamt weniger Leistung pro Preiseinheit. Vielen Leuten ist das aber egal, weil sie ihren zusätzlichen Spaß mit reinrechnen, den sie dabei haben, das Ding überhaupt ans Laufen zu bringen oder es unterwegs am Laufen zu halten. Alte Italiener. Oder noch besser: alte Engländer. Und das Fahren ohne alle Elektronik erst! Mit freudig glitzernden Augen erzählen solche Fahrer, wie sie drei Kurven lang Dampf hinter dieser einen Fireblade machen konnten, bevor ihnen das Getriebe explodiert ist oder sie in den Wald detoniert sind, weil der Motor ein Ansprechverhalten mit Tourette-Syndrom hat. Aber waren schöne zehn Stunden da am Straßenrand zur Reparatur, ne, nur Mensch und Maschine, ölige/blutige Finger, echtes Leben, Klischee, Pathos, Klischee, gibtsjaheutallesnimmer.

Ich verstehe diese Leute gut. Ich gönne ihnen ihren Spaß. Nur umgekehrt hapert es oft am Verständnis. Sie finden Techniktiefflieger wie mich meist emotional beschränkt, womit sie sich eben diesen ihren Vorwurf selber gefallen lassen müssen. Vergleichen wir das mal mit der Luftfahrt, weil dort die Unterschiede noch klarer sind. Der Purist fliegt eine alte Cessna. Ein Mann, ein Motor, zwei Räder, äh, Flügel — fertig. Ich fliege dann einen modernen Kampfjet. Die fallen nämlich ohne Regelelektronik aus dem Luftraum wie ein ziemlich teurer Stein. Dutzende von Regelkreisen flattern mit Dutzenden von Stellklappen, damit das aerodynamisch instabile Flugobjekt überhaupt geradeaus fliegt. Kein Mensch schafft das von Hand. Der Cessna-Pilot freut sich über seine saubere Steilkurve oder seinen gelungenen Slip vor der Landung. Ich stelle derweil meinen Kampfjet senkrecht auf seine Schubdüsen, bremse mit Anstellwinkeln, die dem Cessnesen nichtmal im Traum einfallen, tanke in der Luft am Stratotanker nach und geh dann auf die Überschallautobahn im Anflug auf ein schönes Zielgebiet, in das der Cessnese drei Tage und gutes Wetter braucht. Klar: Der Mann in seiner Cessna hat seinen Spaß. Nur: glaubt irgendjemand, ich hätte weniger? Gut, die Cessna ist vielleicht ein unfairer Vergleich. Nehmen wir stattdessen eine Ikone der Ingenieurstechnik, nehmen wir die Spitfire. Der Vergleich hält trotzdem. Elektronische Assistenz hebt schlicht das Niveau, auf dem der Spaß passiert. Passieren tut er in jedem Fall. Beim derzeitigen Level der Serienfertigung weine ich einer „guten alten Zeit“ ohne alle Elektronik also keine Träne nach. Eines sollten Tränennachweiner auf BSA/Spitfire deshalb verstehen, wenn ich auf F22/BMW S 1000 RR mit Überschallschockwelle an ihnen vorbeiziehe: Ich habe genausoviel Spaß. Wahrscheinlich sogar mehr.

Kommentare:

ältere
  • Rick Lowag meinte am 18. Oktober 2011 um 23:19:

    True, true!

  • Clemens Gleich meinte am 18. Oktober 2011 um 23:26:

    Ah, Mr. Police Man BMW Fighter Jet Pilot speaking. And congratulations on surviving yet another year!

  • Marc meinte am 19. Oktober 2011 um 10:15:

    So geht das ja nun überhaupt nicht. Du kannst doch den Alt-Motorrad-Fahrern den Spass nicht absprechen, nur weil sie keine Schlupfregelung oder dergleichen haben.

    Allerdings, wenn man Toleranz übt, kommen irgendwann die Harley-Fahrer, oder noch schlimmer, Trike-isten, und wollen auch Spass haben.

    Hmpf.

  • Clemens Gleich meinte am 19. Oktober 2011 um 11:45:

    Garg! Da steht doch, dass die Alteisernen sehr wohl ihren Spaß haben. Da steht halt außerdem, dass neue Hightech-Teile genauso Laune machen.

  • jensinberlin meinte am 19. Oktober 2011 um 12:26:

    als bekennende fahrernatur und bekennender nichtschrauber, merke ich an, dass bei der entwicklung einer cessna – ich glaube die dinger werden noch gebaut – sicherlich flugsspass für den piloten als wichtiges kriterium im lastenheft steht. beim kampfjet ist der ein sich zufällig ergebendes abfallprodukt. auf den piloten würde, wenn technisch machbar, gerne gleich ganz verzichtet werden.

  • Tobias meinte am 19. Oktober 2011 um 12:35:

    Deshalb konnte ich das Argument mit einer Ural durch die Welt zu fahren nicht Nachvollziehen.
    Was bringt es mir wenn ich das Getriebe mit nem Hammer und Wodka von jedem Dorfschmied reparieren lassen kann aber ich mit einem japanischen Getriebe 40000 Kilometer weiter komme ohne Dorfschmied?
    Man gibt Zuverlässigkeit zugunsten von „Einfachheit“ auf.
    Alt und neu hat beides seinen reiz, schön wenn man beiden erlegen ist :).

  • Clemens Gleich meinte am 19. Oktober 2011 um 12:43:

    DANKE, Tobias. Danke fürs zu Ende lesen, danke fürs Verstehen. Ich mag auch Cessnas, Spitfires und Vincent Black Shadows. Ich würde damit durch/über den Schwarzwald fliegen. Für weitere Strecken würde ich weiter fortgeschrittenes Materaal nehmen.

  • sinsser meinte am 19. Oktober 2011 um 13:57:

    Das man aber auch immer gleich alles in schwarz und weiß trennen muss.
    Ich möchte nicht meinen Motorradsommer auf einer Ural verbringen, die mit mangelhafter Technik und unterirdischer Haltbarkeit höchsten für den Weg zum Bäcker zu gebrauchen ist, oder halt für eine Technical-Backtotheroots-Tour durch die Lüneburger Heide.
    Ich möchte aber auf der anderen Seite auch nicht von meinem Mopped an einem Lustwheelie / stoppie oder -drift gehindert werden. Das ist Bevormundung.
    Selbst wenn ich dabei aufs Maul falle, dann muss ich halt mehr üben.

    Meine KTM 950SM ist da – für mich – ein Paradebeispiel.
    Grundsätzlich (bis auf ein paar Kinderkrankheiten) absolut zuverlässig, Vergaser, kein ABS, Top-Fahrwerk, Top-Bremsen.
    Das alles resultiert aus dem jahrzehntelang immer vorangetriebenen Fortschritt, sicher.

    Aber diese Generation Motorrad (KTM 950/990, Triumph Speedtriple, Aprilia Tuono) stellt meines Erachtens den Zenit dar.

    Von mir kann sich jeder ein gut funktionierendes und freiwillig gekauftes! ABS für die Straße zulegen, aber Seitenständerschalter in BUS-Technik (KTM 690), Wheelie-, Überschlag- und Stoppieverhinderer sind doch nur die Vorstufe zu Schildererkennung, Spurhalteassi und Abstandsradar.
    Sorry, brauch ich nit.
    Und nur um des Fortschrittswillen gegenüber dem Vorjahresmodell schon mal gar nicht.

    Oder sind die modernen Donnerbalken ala 1000RR ohne Assi-Systeme nicht mehr fahrbar. Sorry, noch nicht probiert, mein letzter Supersportler war ne 96er Blade.
    Warum?
    Weil ich mit der KTM abseits der Rennstreckeviel viel schneller bin, komisch….

  • Alexander meinte am 20. Oktober 2011 um 11:59:

    „Wahr­schein­lich sogar mehr.“ – Alter Stänkerer! 🙂

  • Ekologist meinte am 21. Oktober 2011 um 2:58:

    Das man aber auch immer gleich alles in schwarz und weiß tren­nen muss. Ich möchte nicht mei­nen Motor­rad­som­mer auf einer Ural ver­brin­gen, die mit man­gel­haf­ter Tech­nik und unter­ir­di­scher Halt­bar­keit höchs­ten für den Weg zum Bäcker zu gebrau­chen ist, oder halt für eine Technical-Backtotheroots-Tour durch die Lüne­bur­ger Heide. Ich möchte aber auf der ande­ren Seite auch nicht von mei­nem Mop­ped an einem Lust­whee­lie / stop­pie oder –drift gehin­dert wer­den. Das ist Bevor­mun­dung. Selbst wenn ich dabei aufs Maul falle, dann muss ich halt mehr üben.
    +1

  • Marc meinte am 24. Oktober 2011 um 16:42:

    Sehr richtig. Sehe ich auch so. Ich hab ja auch beides. Low-Budget Diesel Technik, da ist nicht mal eine Zündung dran und die KLX mit voll Digital alles drum und dran Chiptuning Gedönse. Und jetzt kommt die Überraschung: Ich fahr beides gern. Ist halt nur komplett was anderes. Wenn du oder irgendein anderer Kradist nun eine Präferenz für das eine oder das andere hegt… so what!? Hauptsache mit Spaß am Gas.
    Und das aktuelle Technik besser ist, muss nicht unbedingt sein. Meine KLX ist gerade in der Werkstatt, Kabelbaum am Sack, hat Kawasaki ein wenig doof verlegt, Pech gehabt. Aber umgekehrt ist das genauso: Meine Benzin Enfield steht, weil bei 18.000 Km das tolle Lager von der Kurbelwelle aufgegeben hat. Alter Engländer halt. Baujahr 2004.

  • Frank Kemper meinte am 27. Oktober 2011 um 9:44:

    Ich sehe bei High-Tech vs. Steinzeit zwei Probleme. Problem Nummer 1: Ich kann keine unzuverlässigen Kraftfahrzeuge leiden. Ein Krad, bei dem man morgens vor dem Starten schon ein blödes Gefühl hat, weil einem schwant, dass es wohl nicht anspringen wird, das nervt mich, und jede Panne, die mir eine Tour versaut, kommt auf eine Ewige Liste, die, wenn sie voll ist, dazu führt, dass das Fahrzeug mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wird. Es gibt Moppeds, die kann man im Winter drei Monate unter einer Plane im Schnee stehen lassen, und danach springen sie auf den ersten Druck auf den Anlasser an. So muss das! Problem Nummer 2: Sobald man sich im öffentlichen Straßenverkehr bewegt, muss man sich an gewisse Grenzen halten. Was nützt mir das Superfast-Krad, das bereits im Ersten deutlich über 100 geht, wenn man damit auf der Landstraße schon mit einem Bein im Knast steht? Die StVO ist es doch, die bei Straßenmotorrädern einen weiteren performance-Gewinn im Grunde überflüssig macht. Was nützt dir dein Überschalljäger, wenn du damit nicht schneller als 150 Knoten fliegen darfst? Und ich glaube, das ist es, was vielen Leuten an älteren, schwächeren Krädern so gefällt: Man kann es – in den Verhältnissen des Krades – voll krachen lassen und ist – in den Verhältnissen der aktuellen StVO – immer noch halbwegs legal unterwegs. Versuch‘ das mal mit ner Kilobimpf…

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