Heute gibt es einen guten Anlass, ein paar Sätze über Medienkanäle sowie deren Verwendung zu verlieren: Judith Holofernes von „Wir sind Helden“ hat in einem Beißreflex öffentlich auf eine Anfrage zur Teilnahme an einer Werbekampagne für die Bild-Zeitung geantwortet: „Ich glaub, es hackt.“ Das ist verständlich, weil sie die Bild hasst. Sie kann da nicht still eine Antwort schreiben, sie muss sich aufregen. Ich verstehe das, weil ich mich auch immer über Kurt Beck aufrege, wenn die unerträglichen Pixel seines fiesen Gesichts mein RAMDAC zerpeitschen. Verständlich ist außerdem, dass die Jugend wie bei jedem Thema rumalbert, jetzt mit einer Fake-Antwort der Werbeagentur:
Die 10.000 Euro kommen den von ihnen gewünschten guten Zweck zu Gute: Sie geht an die Organisation „Gutmenschenmütter machen den Prenzlauer Berg besser“. Sie setzt sich für die totale Durchgentrifizierung des Bezirks ein. Unter anderem fordert sie Kinderspielplätze aus Bio-Holz, H&Ms ausschließlich mit nachhaltigen Textilien und die Begrenzung von Schriftgrößen für Boulevardzeitungen.
Jeder Primat erkennt sofort (Beweis: Ich habe es erkannt), dass dieser Text Herumgealbere ist. Für Journalisten ist diese kognitive Hürde jedoch zu hoch. Das ist nicht schlimm, man könnte ja einfach Google guttenbergen (Strg-C, Strg-V). Diese Fähigkeit, die eigentlich seit der ersten Suchmaschine sitzen sollte, fehlt im Qualitätsjournalismus weiterhin. Kleine Guckrunde: Der österreichische Standard und ein paar andere Idioten verkauf(t)en die alberne Antwort als Original der Werbeagentur. Weil die Sache gerade so große Wellen schlägt, werden selbst diese Idioten irgendwann irgendwas merken. Es zeigt jedoch, wie unbeholfen die Profis nach zwanzig Jahren Internet und tausend Jahren Telefon immer noch sind. Denn den Anruf bei der Werbeagentur hat eine Nichtprofessionelle angestoßen. Antwort: „Die Antwort auf die Antwort von Judith Holofernes ist nicht von JvM.“ Nein! Sag bloß! Ich hätte als Werbeagentur einfach mal „Ja!“ geantwortet und mich totgelacht. Das Recht auf Satire. Und weil der Brief dann eh schon öffentlich war, platziert ihn die Bild-Zeitung für 12.555 Euro in der taz. Das hätte die gute Frau Holofernes mit etwas Medienkompetenz denkarm vorabsehen können.
Von daher wundert es nicht, dass auch auf der anderen Seite die Medieninkompetenz grassiert. Ich höre oft als Entschuldigung von Firmensprechern für unzulängliche Antwortzeiten („niemals“ ist eben unzulänglich), dass sie hundert Mails am Tag kriegen. Na, Buhu. Wer nicht in der Lage ist, hundert Nachrichten am Tag zu verarbeiten, soll eben keinen kommunikativen Beruf ausüben. Ein Kollege von der c‘t verarbeitet täglich neben seiner anderen Arbeit mehrere hundert Mails. Von ihm erhält man jedoch immer zeitnah eine Antwort.
Pressesprecher fragen auch manchmal, warum immer so viel BMW in der motorisierten Presse passiert. Das ist ganz einfach: Erstens macht BMW halt viel. Das ist aber nicht der Hauptgrund. Der Hauptgrund lautet: Weil BMW außerdem bessere Pressearbeit macht als ihr Frager. Bei den Klagenden kommen Motorrad-Redakteure über Wochen nicht per Telefon durch und die Antwortquote auf Mails liegt prioritätsunabhängig bei etwa 10 Prozent. Mit so jemand eine Geschichte zu machen, führt zu tiefen Dallen in Redaktionswänden, dort, wo verzweifelt hingeschlagene Köpfe sie treffen. Wenn hingegen jemand mit BMW eine Geschichte macht, heißt es sofort: „gern, wann wollen Sie die Flotte ausgiebig zubehörierter Fahrzeuge abholen? Hier noch detailliertes Medienmaterial und eine Vagina voller Bier dazu.“ Das hat nichts mit Kosten zu tun, sondern rein mit kommunikativen Fertigkeiten (denn einen Testfuhrpark gibts bei den Klagenden auch). Eine Anzeige kostet schnell mehrere tausend Euro pro Seite. Ein redaktioneller Text über viele Seiten kostet praktisch nichts weiter als der eh kostenlaufende Fuhrpark. Und: Es gibt keine schlechte Publicity. Ich weiß, dass Presseleute sich damit schwertun, aber das muss man einfach irgendwann begreifen, akzeptieren, genauso wie: Es gibt keine Entschuldigung für mangelhafte Kommunikation.
Die wunderbare Aprilia RSV4 zum Beispiel, über die würden viele Leute gern mehr berichten. Das glaube ich wirklich. Ich weiß es in meinem Fall. Ich weiß aber außerdem, dass beim Konzern Piaggio ein Chaos herrscht, gegen das die Rush Hour in Palermo aussieht wie der schwäbisch aufgeräumte Schreibtisch des Chefredakteurs der Motorpresse. Ich würde lieber eine Videokonferenz mit meinen schlimmsten Ex-Freundinnen einberufen, als in den Strudel der unendlichen „ich-reich-dich-mal-an-XY-weiter“-Schleife dort hineingezogen werden. Sozial sein ist eine Fähigkeit, ohne die es keine wirksame PR gibt. Beispiel Hondas Road-Blog-Tour. Wir hatten ja Messwerkzeuge am Start (die Posterous-Zahlen stammen aus wasweißichwoher, vielleicht einem Zufallsgenerator), und deshalb habe ich gesehen, dass die primäre Medienwirkung praktisch nicht vorhanden war. Das wundert jetzt kaum, weil das Medium nicht die Geschichte sein kann. Am Ende des preisgekrönten Videos von Stephan Fritsch sage ich dennoch, dass ich das gut finde. Das meine ich ernst: Es ist gut, wenn Honda sich sozial menschlich durch die Republik bewegt und Menschen vor Ort die Hand schüttelt. Das ist auch PR.
Das krasseste Beispiel aktueller PR ist wiederum von BMW. Deren Superbike S 1000 RR fährt durch Rap-Videos und generell einmal quer durch Youtube, und jetzt gibt es eine DVD mit dem Making Of dieses Motorrads. Ein kleiner Blick hinter die Kulissen. Es ist eine professionelle Dokumentation der höchst spannenden Werdegeschichte der Superbimpf, die auf so vielen Ebenen interessant ist, dass sie von Branchen-Insidern bis hin zu Leuten, die gar nicht wissen, was ein Motorrad ist, jedem unterhaltend Informationen ins Hirn pflanzt. Eine dieser Informationen lautet: „BMW kriegt haarsträubende Herausforderungen hin.“ PR halt, Werbung. Und jetzt kommt das Perfide: BMW verkauft diese Werbung. Und ich mache Werbung für diese Werbung — freiwillig! Die Existenz dieser Scheibe würde in einer besseren Welt dazu führen, dass die Klagenden der anderen Presseabteilungen weinend ihren Job aufgeben und fortan etwas Unsoziales machen, zum Beispiel Politiker sein. So ist es zumindest beste Unterhaltung: