No New Kids on the Blog

Es ist eine Schnittstelle, eine regelrechte Kreuzung, die ich bewohne: Ich mache Texte für Print, fürs Web und ich mache die einerseits für Verlage als redaktionelle Texte, andererseits texte ich auch Werbeprospekte für Hersteller (diese beiden Arbeitsarten sind ähnlicher, als die meisten wahrscheinlich denken). Als jemand, der obendrein noch für sich selber schreibt und somit sehr erkennbar auf einer vielachsigen Schnittstelle steht, höre ich in letzter Zeit oft die Frage: „Was hältst du eigentlich davon, Blogger-Events zu machen? Bringt das was?“

Diese Frage zeigt eines sehr deutlich: Über zwanzig Jahre nach Einführung des World Wide Web gibt es immer noch keine Medienkompetenz im Hypertext-Land. Warum ist die (für mein Empfinden eher scheußliche) Bezeichnung „Blogger“ eine eigene Kategorie? Antwort: Weil Internet-Angebote immer noch nicht verstanden werden. Ein Weblog (wovon „Blog“ damals abgeleitet wurde, für die Jüngeren hier) ist ein Online-Angebot mit meistens hauptsächlich Bild und Text. Es gibt medientechnisch gesehen keinen Unterschied zwischen einem meinungstarken Online-Nischenmagazin und einem Weblog, und konsequenterweise verwenden beide gern dieselbe Software (WordPress). Wenn nun also Mister Schnurrbart von Daimler für die A-Klasse Weblog-Betreiber einladen lässt, dann unterlassen seine Lakaien, das zu tun, was bei anderen Medien vorher sorgsam abgeklopft wird: die Reichweite messen, also die Anzahl der Personen, die sich ein Medienobjekt geben.

Es gibt keinen Bereich, in dem so viel geschummelt wird wie bei der Reichweite. Ich habe mehrere Pressesprecher von Firmen gesprochen, die sich plötzlich mit der Netzwelt beschäftigt haben und fasziniert waren, was es da so alles gibt. Ich musste sie ausdrücklich warnen, einfach Server-Logs für bare Reichweitenmünze zu nehmen. Sie sollen sich belastbare Daten geben lassen, aus Google Analytics oder vergleichbaren Tools, die echte Zugriffe zählen statt alle Spammer, Bots, Crawler und Software-Agenten mit. Die machen nämlich schnell 90 Prozent des Traffics aus, deshalb ist es ja so verführerisch, diese zehnmal höheren Zahlen vorzulegen. Allerdings glaube ich nicht, dass überhaupt Reichweite geprüft wird. Ich glaube, dass es eher so aussieht: „Da gibt es diese Blocks, ne, Chef. Das ist neu und irgendwie modern und hip und so. Die Zukunft! Wir sollten die einladen.“ Und Mister Schnurrbart veranlasst das dann, will ja schließlich nicht unhip alt aussehen mit seiner A-Klasse. Das finde ich schade, denn für ihn als Herstellermann wäre die beste Variante, den Hofierungsfaktor der Medienmänner allein nach Quantität und Qualität deren Publikums festzusetzen.

Gehen wir fürs Gedankenmodell aber einfach mal davon aus, die eingeladenen Blogger hätten dieselbe Reichweite, dieselbe Leser-Objekt-Bindung wie die anderen eingeladenen Medienleute. Denn es ist ja die Maxime der Einladung: Dass irgendwas bei diesen neuen Leuten anders, besser ist, deshalb lieber die einladen als so einen Zeitungsfurzkopf mit Ellbogenschonern an den Ärmeln. Es ist aber nicht besser. Wenn ich dir ein teures Auto hinstelle, wirst du es gut finden, und das gilt umso mehr, wenn das nicht jeden Tag passiert, wenn das „Blogger-Event“ eine Ausnahme, ein cooles Highlight ist. Das merken heute die meisten Leser den Texten an. Manche haben sich da auf die Metaebene begeben („schau mal, so sieht der Motorjourno-Alltag aus“), doch Kritik findet nicht statt, nichtmal die nötige. Schließlich möchte man beim nächsten Event wieder dabei sein, womit wir auf der komplett klassischen Präsentationsschiene des Motorjournalismus sind. Willkommen, ihr mit eurem Block! Holt euch ein Bier! Setzt euch zum Zeitungsfurzkopf, wo ich euch sehen kann!

Vergessen wir aber auch das Bier, selbst wenn‘s schwer fällt. Kommen wir lieber zu Buttah bei die Fischö, kommen wir zur Kohle. Was verdient man denn mit einem Weblog? Meistens: Nichts, zumindest nicht mit einem über KFZ-Themen. Es gibt Gadget-Sites wie die von Sascha Pallenberg und Kollegen aufgezogene, das hat mittlerweile Drehzahl und verdient, aber meistens machen die Leute das zum Spaß, als Ventil, als PR, als Testplattform, als kleines Kommunikationsmegaphon, als whatever — wie jede Eigeninteresse-Website seit immer eben. Vor diesem Hintergrund hat ein Weblogger in einer KFZ-Facebook-Gruppe vorgeschlagen, sich von den Herstellern bezahlen zu lassen fürs über deren Produkte schreiben. Und in der Tat gibt es ja Beispiele, in denen ein Autohersteller einen Autoblogger anheuert, um Firmenkommunikation zu betreiben. Nur: Das ist dann PR, Werbung. Es ist keine redaktionelle oder journalistische Arbeit mehr, sondern es ist die Arbeit des Werbetexters oder der PR-Drohne.

Da ist zunächst nichts Falsches dran. Ich betexte auch Prospekte oder Anzeigen gegen Bezahlung. Nur: Wenn diese PR-Texte unmarkiert als Artikel auf den Blogs liegen, haben wir das Gegenteil der üblichen Long-Tail-Stärken, wir haben es dann mit Guerilla-Marketing zu tun, das sich versteckt. Ich möchte daher eine Frage öffentlich beantworten, die mir dieser Tage ein Pressesprecher gestellt hat: „Glaubst du, dass es besser wäre, wenn es sich eingewöhnen würde, wenn nur noch Blogger statt den klassischen Medien da wären?“ Nein. Es wäre größtenteils genauso wie bisher. Nur Kritik würde es noch deutlich weniger geben.

Ich wollte hier am Ende eine komplette Liste aller Autoblogs geben, aber das war mir dann zu langweilig. Stattdessen für alle, die es noch nicht kennen:

Lest das hier.

Dieser Artikel wurde finanziert von Whiskey Dick, der internationalen Nummer Eins der Pupsdüsenschmierung mit Bourbon-Geschmack!

Kommentare:

ältere
  • Winfried V. Berlepsch meinte am 12. September 2012 um 10:32:

    Hey Clemens,

    ich äußere mal zwei Wünsche:

    1) Kannst Du einen oder mehrer Werbetexte von Dir nennen? Mich würde einfach einmal interessieren, wie sich soetwas bei Dir liest.

    2) Kannst Du in Deine Texte integrierte Links so einbinden, daß sich ein neuer Tab öffnet und nicht auf die verlinkte Seite gewechselt wird? Finde ich persönlich eleganter, weil man (okay, ich) sonst gerne den Tab schließt und dann merkt, Mist, muss ich wieder auf mojomag und mir die Textstelle wieder raussuchen.

    Ansonsten: Vielen Dank für die Bekanntmachung eines interessanten Produkts der Erwachsenenunterhaltung (wobei ich glaube, daß die 12-18 Jährigen eher mit soetwas experimentieren)

    • Clemens Gleich meinte am 12. September 2012 um 10:40:

      1.) Ich kann diese Texte nicht verlinken, weil sie nicht im Web sind. Kann Dir bei Interesse aber die gedruckten Belegexemplare geben, wenn Du sie hier in Benztown abholst.

      2.) Neuer Tab gilt als schlechter Stil, sagt mein kompetenter Techniker und ich gab ihm nach. Ich selber verwende Gestensteuerung (gibts heute für jeden Brauser) und mache dann die Geste für „neuen Tab“, wenn ich einen neuen Tab will.

  • Winfried V. Berlepsch meinte am 12. September 2012 um 10:45:

    1) Habe das erste Mal seit ca. 6 Monaten mal mehr als 2 Tage frei und eine vernachlässigte 10er in der Garage – folglich ist das Wetter scheiße.

    2) Betrunken beim Beischlafversuch der Liebsten in den Schoß brechen ist schlechter Stil. Neuer Tab ist praktisch! Jag‘ den Techniker zum TomTom-Ing!

  • Clemens Gleich meinte am 12. September 2012 um 10:53:

    Das Wetter ist nicht scheiße, sondern vielleicht Deine Reifen untauglich. Aber es ist eh uninteressant: Die PR-Auftragstexte unterscheiden sich fast gar nicht von Presse-Auftragstexten. Nur reden bei der Werbung viel mehr Leute mit.

  • Axel Bergander meinte am 12. September 2012 um 15:45:

    Konsistent ist, Links auf andere Domains im neuen Tab zu öffnen, Link auf der eigenen Seite im gleichen.
    Ich hab mir den 3finger-Klick angewöhnt. 3 Finger. Auf dem Mac.

  • Ben meinte am 13. September 2012 um 17:17:

    Ich drücke alle Links, die mich interessieren ohnehin mit der mittleren Maustaste -> mein Feuerfuchs machts dann eh im neuen Tab.

    btw. wusste noch garnicht, dass die Jungs von EpicMealTime sich auch um den ‚Nachtisch‘ kümmern.
    …betretenes Schweigen.

  • Jan meinte am 21. September 2012 um 19:29:

    Du brüllst ja gut und laut, Löwe. Allerdings wäre dann auch noch ein wenig Hintergrundrecherche gar nicht so verkehrt, um Deinem Text einen gewissen Wahrheitsgehalt zu geben. In der Tat ist es so, dass die mit dem Stern die einzigen der Branche sind, die sich mit dem Thema auskennen.

    Und es geht nicht mal immer um Reichweite. Es geht manchmal auch um SEO und Branding. Zudem ist die Reichweite an sich längst schon nicht mehr wirklich interessant. Interessanter sind Verweildauer und Zusammensetzung der Leserschaft, auch der Multiplikationsfaktor des Schreibers.

    • Clemens Gleich meinte am 21. September 2012 um 21:33:

      Jan, der „Multiplikationsfaktor“ des Schreibers ist seine „Reichweite“, das sind Synonyme. Du darfst gern den vermeintlich fehlenden Wahrheitsgehalt erläutern, ergänzen, hier oder auf einer Seite, auf die ich gerne verlinke. Reichweite schließt auch die Zusammensetzung ein. Zehn Reiche mit Interesse sind für AMG mehr wert als zehntausend Fans, die nie ein Auto kaufen können.

      Der Motorjournalismus ist kritikwürdig, und nachdem wir mit den kleinen Websites das mit den großen ausgiebig getan haben, darf man durchaus daran gehen und sagen, dass es bei den kleinen in keinster Weise besser ist. Ich verweise Dich hierzu auch auf den Text, in dem ich mich explizit in die Kritik mit einschließe. Ich bin Teil des Problems. Der Unterschied zwischen uns beiden ist offenbar, dass ich es als Problem empfinde oder zumindest als schade, als verbesserungsbedürftig und Du nicht.

  • Mercedes-Benz CLS Shooting Brake in Florenz › powerbook_blog meinte am 21. September 2012 um 20:22:

    […] über ein paar schöne Stunden mit einem schönen Auto zu schreiben. Dummerweise habe ich vorher diesen Artikel hier gelesen. Und jetzt fühle ich mich gemüßigt, einen 15 Seiten langen Disclaimer zu schreiben. […]

  • Will Sagen meinte am 21. September 2012 um 21:21:

    Auf der einen Seite early adopter (mobile geeks) als beispielhaft darstellen (sie sind ja schließlich „digital natives“), auf der anderen Seite early adopter (Daimler als Unternehmen, das mal guckt, was mit Blogs so geht) als irgendwie dümmlich und online-ungelenk geißeln.

    Auch die Orientierung an den ach so aussagekräftigen nackten Zahlen. Dann müssten ja alle das Auto mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis fahren. Oder es müssten alle das Smartphone kaufen (am besten ein halbes Jahr alt, wegen Wertverlust gegen die Lebensdauer gerechnet), das die größten Leistungsdaten zum geringsten Preis bietet. Und trotzdem gibt es welche, die auch mal was ausprobieren, was eigentlich nicht sinnvoll ist. Manchmal sind es sogar viele, wie z. B. Apple User.

    So ganz hab ich es darum noch nicht verstanden.

    Nur die Kritikbremse, weil man wieder eingeladen werden möchte: Da ist schon irgendwo was dran. M. E. sind die Texte über neue Autos eine Aneinanderreihung von Plattitüden, bei denen nur Reihenfolge und Produktname geändert wird. Aber das ist bei Printmedien nicht anders.
    Allerdings stoßen mir kritische Textstellen, die offensichtlich auf subjektiven Beurteilungen beruhen, negativ auf. Man liest ja viele (Auto)Tests meist zur Unterhaltung, denn man wird kaum diese Woche ernsthaft über die Anschaffung eines neuen Porsche 911 nachdenken und nächste Woche über den Erwerb eines Mercedes CLS oder sonst einer hochpreisigen Karre.
    Zu 99% dient die Lektüre (zumindest das Durchkurbeln im Feedreader) von Techblogs, die Produkte vorstellen, egal, ob Smartphones, Computer, Autos, Kameras, der Unterhaltung. Nur mal gucken, was es so gibt. Und da will man eigentlich gar nicht mit unangenehmen Fakten malträtiert werden. Dumm nur, wenn man wirklich mal objektive Infos sucht. Dafür nimmt man dann die Amazon-Bewertungen. 😉

    • Clemens Gleich meinte am 22. September 2012 um 18:29:

      Lieber „Will Sagen“, ich sehe es schon mit ein bisserl Wehmut, wenn nicht nur die großen Medien, sondern jetzt auch die Autoblogs größtenteils gleichgeschaltet sind. Krautige, urwüchsige Vielfalt fänd ich schöner.

  • Will Sagen meinte am 26. September 2012 um 14:34:

    Och, man muss sich nur die für seinen Geschmack richtigen Blogs zusammenstellen. Ist ja nicht so, dass es keine Vielfalt mehr gibt. Jedenfalls bedeutend mehr als zu reinen „Print-Zeiten“.
    Und: Früher war eh alles besser. 😉

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