Wer früher bremst, ist schneller

Die meisten der gern zügig fahrenden Fraktion (egal ob Auto oder Motorrad) haben den alten Spruch verinnerlicht: „Wer später bremst, ist länger schnell.“ Der Spruch stimmt. Wer brutal spät bremst, fährt in der Bremszone häufig sogar schneller als ein Rennfahrer. Davon erzählt er dann jahrzehntelang. Wovon er nicht erzählt, ist das, was danach passiert: Der Spätbremser steht mit zusammengestauchtem Fahrwerk auf einer suboptimalen Linie, auf der er nicht richtig beschleunigen kann. Der Rennfahrer hat zwar zehn Meter verloren, gewinnt jedoch in der Folge mindestens hundert Meter. Wer also nicht nur ein paar Meter weit schneller fahren will, sondern über eine ganze Runde oder eine ganze Strecke, der sollte lieber früher bremsen, um sich auf die korrekte Linie einzuspulen.

Zuerst fiel mir das Phänomen in Hockenheim mit dem Motorrad auf. Ich arbeitete daran, den spätesten Bremspunkt nach der Parabolika auf die enge Haarnadelkurve zu finden. Als isolierte Übung klappte das ganz gut. Ich stand dann allerdings fast jedes Mal sehr suboptimal im Eck, und dann obendrein auch noch jedes Mal anders suboptimal: mal zu spät eingelenkt, mal zu früh, mal eine unbeschreibbare Linie gefahren, alles ohne Willensabsicht. Nach ein paar Runden bemerkte ich einen Kollegen, der auf dasselbe Eck viel früher hinbremste. Es erfreute mein Herz, ihn auszubremsen, aber nur kurz, denn dann fuhr er mir auf seiner richtigen Linie aus dem Eck davon.

Ich tat es ihm also nach und bremste früher. Das gab mir die Zeit, mich für das Eck zu sortieren und es sauber zu durchfahren. Vor allem die Beschleunigung auf die Gegengerade brachte viel, zum Beispiel Gelegenheiten, Spätbremser meines ungefähren Rundenzeitenniveaus problemlos wieder zu überholen. Eine lange Zeit dachte ich, das Phänomen sei eine Eigenart von Fahrzeugen der Leistungsklasse eines Motorrads, tatsächlich tritt es aber bei Autos ebenfalls auf, und zwar noch stärker. Dazu braucht das Auto gar nicht die Leistung eines Aventador, sondern wahrscheinlich gilt es immer bis hinunter zum einfachsten Panda. Meine Erkenntnis kam mir in einem VW Golf VII R (Variant).

Golf spielen auf Malle

Die Michelin Pilot Sport Cup 2 haben sehr gut funktioniert.

Natürlich hätte ich lieber Fahreindrücke über den Golf R mitgebracht, denn die kann ich ja verkaufen. VW zeigte jedoch alle aktuellen Gölfe gleichzeitig. Dem R war eine kleine Rennstrecke zugeteilt, auf der jeder von uns einen halben Turn fahren konnte, dann war Fahrerwechsel. Das war zu wenig, als dass ich guten Gewissens länger über das Fahrverhalten hätte schreiben wollen. Was ich im Golf R (Variant sogar!) feststellen konnte, war der tolle Motor, der außer Nennleistung auch eine fleischige Mitte hat, dann gute Reifen (Michelin Pilot Sport Cup 2) und schließlich die typisch mechanisch furzenden Geräusche des ESP, wenn es ein durchdrehendes Rad abbremst, denn der R wird nur mit offenen Achsdifferenzialen gebaut. Aus diesen paar Eindrücken wage ich die konservative Prognose, dass der Golf R das bleibt, was er vorher war: Ein Auto mit einer großen Nutzungsbandbreite von Kindergartentransporter bis Nordschleifenschrubber.

Wir fuhren im Gänsemarsch hinter einem Instruktorfahrzeug her, aus dem per Funk Fahrtipps kamen. Da der Instruktor eine gute Linie fuhr, konntest du sofort feststellen, wenn du einen Fehler gemacht hattest, denn dann öffnete sich beim Herausbeschleunigen eine Lücke. Wenn du versuchtest, diese Lücke durch spätes Bremsen zu schließen, war sie nach dem nächsten Eck so groß, dass der Instruktor auf dich warten musste. Ein extrem vom Einleitungssatz indoktrinierter Teilnehmer bremste gar so spät, dass er dem Instruktor fast ins Heck detonierte, obwohl der freundlich auf jeder Geraden auf ihn gewartet hatte. Warum also tritt das Phänomen im Auto noch so viel ärger als auf dem Motorrad in Erscheinung?

Schiebung

Im Gänsemarsch hinterm Rennfahrer her. Wer dranbleiben will, darf nicht zu spät bremsen.

Zunächst einmal braucht das Auto in der Kurve mehr Platz als ein Motorrad. Das reduziert die Anzahl der möglichen Linien, vor allem die Anzahl der möglichen Linien nach einem Verbremser. Und dann kommen wir zur für das schwere Auto so wichtigen Beschleunigung. Wenn du zu langsam ins Eck gefahren bist, kannst du das bei kleinen Fehlern durch die Wahl einer guten Beschleunigungslinie noch ausbügeln. Wenn du aber sehr spät bremst und dann lenkst, ist die Lenkung meistens schon von der Querführung überlastet. Sie lenkt also nur noch bedingt, sondern baut über einen Querdrift Energie ab. Wer jetzt beim Fronttriebler auch noch verlangt, dass die Vorderräder Antriebsenergie übertragen, wird das Problem noch verschlimmern. Das Auto schiebt weiiit nach außen, wird zu langsam und steht auf einer Linie, auf der keine anständige Beschleunigung mehr möglich ist. Ein Vorfahrer auf einer richtigen Linie zieht an diesem Punkt meilenweit weg.

Ein Hinterradantrieb entschärft dieses Problem nur minimal. Der Golf R liegt mit seinem Allradantrieb in der Mitte. Im Schiebebetrieb auf die Kurve zu ist er ein Fronttriebler. Beim Beschleunigen dann schließt die Lamellenkupplung, die Hinterräder treiben mit an. Dieses Auto erleichtert dir also die Beschleunigungsphase, schiebt aber den Spätbremser mit der Nase weit nach außen ins Eck. Am besten fährt deshalb auch dieser R, wenn du im richtigen Tempo einlenkst (zu erkennen daran, dass die Lenkung wirklich noch lenkt, statt nach außen schiebend als Bremse zu arbeiten), dann möglichst bald die Lenkung wieder gerade stellst und dabei progressiv dem Lenkwinkel entsprechend Gas gibst. Also erst ein bisschen Stützgas, dann mit sich öffnender Lenkung das Gaspedal immer weiter durchtreten. Der Scheitelpunkt darf bei den meisten Autos und beim Golf R dann ruhig etwas weiter hinten liegen. So eine Linie erleichtert das Beschleunigen und sie ist deutlich sicherer zu fahren, vor allem auf der Landstraße mit Gegenverkehr.

Im Prinzip gelten also alle Regeln für eine gute Motorradlinie. Und wenn sich das nächste Mal jemand mit Spätbremsfertigkeiten brüstet, lieber auf das Urteil der Stoppuhr an der Ziellinie warten. Es kann durchaus sein, dass sein Bremspunkt nicht nur spät liegt, sondern schlicht zu spät.

Gib mir 2 Euro, damit ich mir ein Auto mit Hinterradantrieb kaufen kann! Die Auswahl ist in diesem Preisbereich ja sehr groß ... ?

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Kommentare:

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  • Frank Matthieß meinte am 26. Mai 2018 um 11:00:

    Ich hatte diese Erkenntnis vor einigen Jahren beim Kartfahren mit den damaligen Kollgen. Meine Fahrweise war, und ist zum Teil noch, eher haerter zu bremsen und zu lenken. Ich lasse mich da stark von dem Gefuehl der Reifenhaftung leiten, die sich mir durch das Fahrzeug vermittelt.

    Die Kartstrecke (Werther in Ostwestfalen Lippe, ja „die Echten“) ist eher anspruchvoll. In einer der 180 Grad Kehren bin ich dann mit der Hinterachse, bzw. dem Rahmen um die Hinterachse in die Bande eingeschlagen. Klarer Fahrfehler. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Rundenzeiten von mittleren, niedrigen 33 Sekunden.

    Mit dem Einschlag hatte ich die oberen seitlichen Sitzschalenbogen in die Rippen bekommen. Das tat richtig weh. Da mein Koerper erstmal voller Adrenalin war, konnte ich noch ca zwei Runden fahren. Jede Kurve, jede Bremszone wurde immer schmerzhafter. Fuer die, die noch keine Rippenprellung oder -bruch hatten, das tut RICHITG weg. Das wuensche ich meinem aergesten Feind nicht.

    Diese Schmerzen fuehrten dann dazu, das ich viel frueher und weicher bremste und auch viel weicher einlenkte. Die letzte volle Runde war es dann eine 32,02 Sekunden.

    Lektion 1: Lernen, bzw. Erkenntnisse durch Schmerz funktionieren sehr gut.
    Lektion 2: Fahr weicher, nicht haerter.
    Lektion 3: Sein Fahrverhalten nach ein paar Jahrzehnten Jahren umzustellen ist fast nicht moeglich. Es geht etwas besser, aber gut ist anders.

    Da bleibt nur ueben, ueben, ueben und reflektieren, reflektieren, reflektieren und immer wieder „weicher, nicht haerter, frueher nicht spaeter“.

    LG Frank

  • Clemens Gleich meinte am 27. Mai 2018 um 18:22:

    Ja, das stimmt leider. Die alten Gewohnheiten gehen schwer weg, selbst, wenn man es besser weiß.

  • Zensorsliebling meinte am 6. Juni 2018 um 21:51:

    Wer nicht unter Rennbedingungen unterwegs ist, nimmt schlauerweise rechtzeitig Gas raus und lässt den Motor ordentlich bremsen. Das schont Bremse, Tankinhalt, Fahrwerk und Reifen und führt gleichzeitig zu einem sehr runden, keineswegs langsamen Fahrstil. Insbesondere in engen Gefällstrecken ist man damit bestens unterwegs.

    • Clemens Gleich meinte am 7. Juni 2018 um 13:24:

      Unterschreibe ich. Ein runder (und damit stets vorausschauender) Fahrstil hilft jedem Fahrer. Wer z. B. Elektroauto fahren will, wird mit dem üblichen Gas-Bremse-Gas-Gezuckel noch stärker bestraft, obwohl er glaubt, die Strafe werde milder wegen Rekuperation.

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