Zu alltagstauglich: Brammo Enertia

Eins der ersten in Deutschland wirklich kaufbaren Elektromotorräder ist die Brammo Enertia. Axel Bergander hat sich mal draufgesetzt:

Nichts ist vor meiner linken Hand, meinem linken Fuß, keine Kupplung, kein Schalthebel. Ich bin nackt und dies ist das einzige Gefühl, dass in den nächsten Minuten verschwinden wird. Schlüssel umdrehen, Stille: Bootsequenz, Press Start to begin. Nach drei Sekunden klackt das Hauptrelais; nicht leise wie ein Blinkerrelais, hier wird satt Strom bewegt. Das LED-Band oberhalb des Displays spielt Autoscooter.

Zündschlüssel. Gasgriff. Gas geben. Worte passen nicht mehr. Dafür könnte ich die Akkus Tank nennen. Tut aber niemand. Ich bleibe bei den alten Worten und rolle langsam vom Bürgersteig auf die Straße. Das hier ist noch nicht real. Dann Gas: kein Gas. Strom auch nicht. Genauer: ein Rinnsal, anschwellend, ein Bächlein, ein Bach, ein Flüsschen. Es plätschert und ich lass mich treiben. Das hier ist freundlich, das ist nett.

Brammo Enertia innerhalb ihres natürlichen Lebensraumes

Wer will, wird Updates einspielen können. Damit der Elektromotor aus dem Stand vollen Schub gibt; zum Spielen, für ein bisschen Aggressivität oder um einfach das Vorderrad auf den Bordstein zu heben. Wer will, kann, ich stell an der nächsten Ecke den Regler rechts auf An, tausche Reichweite gegen Geschwindigkeit, und habe Zeit, zu hören, zu sehen. Wind rauscht, Kette surrt, Geschwindigkeit: irreal, wie damals, mit Musik in den Ohrstöpseln unterm Helm. Nur der Tacho ist Feedback. Reicht für die Stadt, wo Autos, Ampeln, Busse das Tempolimit sind. Ich schau nur nach vorn.

Schwerelose Bewegung, bis das Vorderrad über einen Gullydeckel bockelt, klappert, stolpert. Nett muss man zu der Brammo sein, der Zukunft. Sie ist noch etwas zerbrechlich, nicht fertig, und was ich anderswo für selbstverständlich halte, ist hier Nebensache. Sie sagt: Jaja, das passt noch nicht, ich weiß, steht auf der Liste, aber hier, schau mal, was ich kann, was sonst niemand kann.

Die Ampel wird grün, ich rolle an und balanciere, krieche vorwärts, lasse die Fußgänger über die Straße gehen und höre ihre Gespräche. Aus dem Stand vorwärts: Ein Gedanke in Bewegung. Baut nicht KTM die Freeride mit E-Motor? Mit der würd ich leichtfüßig durch die Gassen italienischer Bergdörfer, treppauf, treppab. Dann durch den Wald, die KTM hielte das aus.

Brammo Enertia außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes

Diese Brammo mag für den Alltag freundlich sein. Aber an den Tagen, an denen ich unfreundlich bin, an denen wär sie mir der Klotz am Bein, die Edge-Verbindung fürs Smartphone, die Geschichte vom Wollen und nicht Können. Aber eigentlich will ich nicht unfreundlich sein.

Kupplung und Schaltung habe ich nicht vermisst.

Ich fahre durch Nässe. Nur halt nicht besonders weit.

Brammo Enertia

Ist: zu alltagstauglich
Kos­tet: 6.950 Euro
Leis­tet: 18 PS (13 kW) bei 4.500 U/min
Stemmt: 40 Nm bei 0-1.450 U/min
Wiegt: 145 kg
Tankt: 3,1 kWh Energieeee in eine Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie (optional: doppelte Kapazität in Li-Ion für 9.500 Euro gesamt)
Ver­braucht: (oder physikalisch exakter: verwendet) diese Energieeee für 60 km Fahrt laut Hersteller. Realistische Reichweite: <40 km
Hat: zu viel Wollen, zu wenig Können.

Bilder: Brammo

Kommentare:

ältere
  • Matze meinte am 23. August 2012 um 18:26:

    18PS (18kW)? Wie geht das denn? 🙂

    • Clemens Gleich meinte am 30. August 2012 um 14:19:

      Hups. Korrigiert.

      Zum Thema Reichweite noch: Kollege Gregor Honsel von der Technology Review ist die Brammo ebenfalls gefahren und nach 30 km liegengeblieben. Er konnte das nicht vorher merken, weil der Tacho abgestürzt ist. Ich glaube, das Teil ist scheiße. Sie sollen die Empulse hierherbringen — zackig.

  • sinsser meinte am 31. August 2012 um 16:27:

    darf man bei Elektromotoren überhaupt PS sagen? Ich finde nein.

    Elektrische Leistung hat immer die Einheit Watt, zumindest wenn man meine Ausbildung hat.

    Ach ja:

    Zitat:
    Tankt: 3,1 kWh Strom in eine Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie (optio­nal: dop­pelte Kapa­zi­tät in Li-Ion für 9.500 Euro gesamt)
    Ver­braucht: die­sen Strom auf 60 km laut Her­stel­ler. Rea­lis­ti­sche Reich­weite: <40 km
    Zitatende

    Die Aussagen tun mir jetzt schon ein bisschen weh.
    kwh ist die Einheit für Arbeit, aber auch für das Energiespeichervermögen.
    Nicht für Strom.
    I ist die Einheit für Strom.

    Und Strom wird NIE verbraucht.

    Was denn nu? ;o)

    Gruß vom Korinthenkacker.

    • Clemens Gleich meinte am 1. September 2012 um 10:55:

      Oh nein, die Ingenieure fallen über mich her! Klar kann man PS sagen, wenn das die Leute besser verstehen, weil PS genauso eine Leistungsangabe ist wie kW. Es geht in dieser Zeile ja um mechanische Leistung.

      Zum Strom: Ich will ja dem Dirk ned wehtun. Schreiben wir „Energieee“.

  • Axel Bergander meinte am 31. August 2012 um 17:58:

    Die PS sind nur als Vergleich für alte Säcke wie mich, die noch mit pre-ISO-Normen aufgewachsen sind. Und damit sich die ganze Sache nicht zu sehr nach Staubsauger oder Waschmaschine anfühlt.

    Interessieren würd mich, wieviel kWh tatsächlich auf der Uhr stehen, wenn die 3,1 in den Akku gefüllt sind. Clemens, hast du da Erfahrungen?

    Anderswann hab ich mal grob kalkuliert, wieviele handelsübliche Windräder (2 MW-Klasse) wir in .de brauchten, um alle PKW zu betreiben. Tatsächlich eine niedrig vierstellige Zahl.

    • Clemens Gleich meinte am 1. September 2012 um 10:52:

      Nein, ich weiß nicht, wie das Akkumanagement von Brammo aussieht. Üblicherweise lassen KFZ-Akkus einige stille Reserven, die sie erst bei „Reichweite: 0“ anzapfen. Grund: bessere Akkuhaltbarkeit. Gregors Liegenbleiben nach 30 km ist aber die volle, echte Reichweite in seinem Fall gewesen.

      Windräder kalkulieren ist gegendabhängig. Ich bin für mehr Offshore-Windparks. Da draußen weht es wenigstens. Interessant hierzu: Es gibt bald so viele Windkraftgegner wie Atomkraftgegner, weil die dezentrale Stromerzeugung ja dann irgendwo bei mei‘m Haus (!) stattfindet. Das geht doch nicht! Bürgerentscheid!

  • sinsser meinte am 3. September 2012 um 8:34:

    Eyy, meinst Du etwa mich mit Inscheniör?
    Pfui deibel! Nee, ich kann wohl noch ohne Kneifzangen-App meine Hose zumachen.

    Hab nur nen Dr. im Handwerk, also so wie Werners Rööööhrisch, nur halt in dem anneren Gewerk, mit den freien Elektronen da.

  • wolf mienhardt meinte am 16. Januar 2015 um 19:35:

    Hallo und einen guten Tag Ich bin wohl einer der ältesten Brammo Enertia Fahrer!
    Bin schon gut 35000 Km auf Ihnen gefahren! Habe mit meiner ersten auch schon einen Accu-Zusammenbruch erlebt, nach 25000 km und 21 Monaten! Bei meiner Zweiten kommt nach gut 35 km immer die Fehlermeldung B55 was ich einfach Ignoriere!
    Das heist eigentlich der Unterschied zwischen der Höchsten und er Niedrigsten Spannung bei den Accus beträgt mehr als 30%, ist mir aber egal!
    Ich bin von dem Bike aber trotzdem überzeugt!
    So leise und billig kommt man sonst nicht von A nach B! Keine Steuern bist 2021!! Die Versicherung nur gut 58 Euro im Jahr! Und an den Ampeln in der Stadt muß ich mich immer zügeln damit ich nicht auf den Vordermann auflaufe!!!““!!!!!!
    Ach so meine Biker Kollegen halten mich zwar für einen Spinner aber spätestens wenn sie mal selbst daraufgessens sind sind sie kuriert! Das einzige was sie abschreckt ist die kleine Reichweite von nur ca. 40 km und der hohe Preis!
    einen schönen Gruß Wolf Mienhardt

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