Nicht vergessen: Die Erste Regel lautet …

Die Tage hat ein Leser die ewige Frage nach der „Vorbildfunktion“ gestellt, wahrscheinlich, weil er meistens die „Motorrad“ liest: Wie passe es denn zusammen, dass ich einerseits mit Kleidung und Verhalten auf meine Außenwirkung achte, gleichzeitig aber empfehle, sich nicht sklavisch an die Regeln zu halten? Sowas stürzt mich in finstere Hoffnungslosigkeit für die Zukunft der Menschheit. Ich antwortete: Das passt perfekt zusammen. Wer sich sklavisch an die Regeln hält, tendiert zur Unmenschlichkeit und schiebt dann auch noch die Regeln als Ausflucht vor. Die Frage ist: Wieso muss ich das erklären? In Europa hatten wir die Nazi-Zeit, die uns alle Beispiele für derartiges Verhalten geliefert hat, die wir je brauchen könnten. Gut, vielleicht hat der Leser seine gesamte Schulzeit verdrängt, das ist ja theoretisch möglich. Doch selbst dann muss er nur die Augen aufmachen, um die Armeen der Regelgeilen zu sehen, bei denen ob des Drucks zwischen den Arschbacken jedes Stück Scheiße zu Diamantstaub gepresst rauspöppelt. „Tja“, seufzt der Rohdiamantenscheißer, „da waren mir die Hände gebunden. Da musste ich einfach Anzeige erstatten. Das sind die Regeln.“

Oh, nein, so einfach kommst du nicht davon. Du musstest überhaupt keine Anzeige erstatten oder es dem anderen Menschen schwermachen, sondern du wolltest es. Und du wolltest es aus niederen Beweggründen. Vielleicht wolltest du dich ein bisserl erhöhen, indem du dein Opfer regulär erniedrigst. Ganz sicher jedoch warst du einfach zu faul, um eine menschliche Lösung zu suchen. Deine ewige Ausrede lautet „abba-abba ohne Regeln, an die wir uns halten, da gibt es nur noch die Anarchie!“, was eindeutig zeigt, dass du die einzige Regel, die wirklich wichtig ist, nicht kennst: Zuerst mal kommt der Mensch. Genau: Diese Regel ist vage. Man kann sie nicht aus einem Regelwerk lernen, am allerwenigsten du, denn man muss sie im Herzen haben.

Leute unterstellen mir gern eine pauschale Ablehnung der Polizei. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Ich halte die Polizeiarbeit für eine der wichtigsten Aufgaben im Staat. Deshalb ist es ja so wichtig, dass sie von Menschen getan wird, die unsere erste Regel verinnerlicht haben, und zum Glück ist das an einigen Schlüsselstellen weiterhin so, denn sonst könnten wir genausogut einpacken mit unserer europäischen Zivilisation. Sogar die eher ungeliebten Verkehrspatrouillen sind Teil der Polizeiarbeit. Leider finden wir gerade hier bevorzugt die Herren Glitzeranus: „Tut mir ja leid, 80-jährige Mutti, aber das sind die Regeln. Steig aus deinem alten Rönnoh und bück dich.“

Oder wieso geht es Yamaha in Deutschland so mies? Weil sie die erste Regel nicht kennen. Sie behandeln ihre Händler wie Hundekot an den Hacken ihrer Schuhe. Sie behandeln die Presse wie den dummen Praktikanten mit den Pickeln, über den man so schön lachen kann, wenn man Menschen hasst. Das sind eben die Regeln, die aus Japan kommen. Dort steht auch der exakte Zeitpunkt, an dem wir nimmer ans Telefon gehen. Das Echo ist eben, dass immer weniger Händler Yams verkaufen und immer weniger Hefte drüber sprechen möchten. Will ich eine Yamaha im Heft haben und mich dafür anscheißen lassen oder geh ich doch lieber zu Honda oder BMW, die mich wie einen Menschen behandeln? Hmm, schwiiierig. Ich geh zum Händler, höre mir sein Leid an, fahre seine Maschine für Fotos. Gemeinsam die Deutschlandzentrale überwinden. Warum hat Triumph es von Null in den Neunzigern zum Major Player geschafft? Weil sie die erste Regel beherzigen. Sie bieten gute Produkte zu fairen Preisen an, über Händler, um die sie sich kümmern. Ich weiß auch, dass es nicht perfekt funktioniert, aber dass ihnen alle Menschen der Kette nicht egal sind, macht eine Welt an Unterschied.

Deshalb musste ich auch lachen, als ich mal wieder eine Klickstrecke gesehen habe. Besser kann man seinen Lesern ja nicht zeigen, was er für einen ist: eine Klick-Taste. Es gibt da eine ganz einfache Regel: Je mehr Klicks, umso öfter werden die Anzeigen geladen, was im Tausenderpack (TKP) abgerechnet werden kann. Prinzipiell ist das durch Anzeigehäufigkeit abgerechnete Bannermodell eine bewährte, legitime Einkommensquelle. Doch dann kam die Klickstrecke und mit ihr der Begriff „Klickvieh“, mit dem gleichzeitig jeglicher Respekt vor dem Leser ging. Die Klickstrecke als Krebsgeschwür hat mittlerweile die nach Ladehäufigkeit abgerechnete Werbung zum siechenden Tod verurteilt. Die Preise sind im Keller, Anbieter wollen jetzt lieber konkret für Klicks auf Anzeigen bezahlen. Ich halte die erste Regel für den einzig langfristig gangbaren Weg. Dazu muss man sich nur erinnern, dass an jeder Klicktaste ein Mensch sitzt. Dieses Lehrstück sollte dabei helfen:

Marcels beste Klickstrecke evarr

Kommentare:

ältere
  • lockinger meinte am 8. Februar 2013 um 13:09:

    göttlich! und du nennst mich eine „ reaktionäre Querulantensau“ – dann bist du eine spitzfindige reaktionäre Querulantensau……lol

  • Sergej Koroljow meinte am 8. Februar 2013 um 14:56:

    Immer wenn man in der Tristesse des täglichen Einheitsbreis zu versinken droht und sich der nächstbesten Depression hingeben möchte, kommt der Clemens um die Ecke und erinnert einen an die wirklich wichtigen Sachen im Leben.
    Danke dafür.

  • Phil meinte am 8. Februar 2013 um 15:02:

    Hat mit „reaktionaer“ ueberhaupt nichts zu tun. Ist vielmehr eine grundlegende und hochaktuelle Voraussetzung fuer ein Sozialleben, das menschenwuerdig und somit gesund ist (und das uns zusehens abhanden kommt). Das muss verstanden werden. Dann lösen sich womöglich viele Probleme.

    Im allgemeinen Sinne die „Sittlichkeit“, konkreter das regelgesteuerte Zusammenleben kann nur so funktionieren. Regeln für sich genommen sind sinnlos, dumm und sehr leicht missbrauchbar. Es besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen der Anarchie, also der Ablehnung jedweder Regel und dem irren Aufstellen und sinnlosen Befolgen immer weiterer Regeln. Beides ist menschenfeindlich, genau wie das hirnlose Exekutieren von (vermeintlichen? s.Moralapostel, Volksmund, Hausverstand…) Regeln.

    Also: woran erkenne ich einen professionellen Polizisten? Daran, dass er genau dies bei seiner Arbeit verstanden hat. Und solche gibts. Zum Glueck.

    Erst das individuelle Durchdenken und Verstehen gibt einer Regel überhaupt einen menschlichen Wert und einen ggfs. übergeordneten sozialen Charakter. Bei vielen Regeln (z.B. Verkehrsregeln) geht das recht einfach. Bei manchen Regeln allerdings ist es schwierig („Weihnachten wird bei uns im Winter gefeiert.“). Und bei manchen ist es unmoeglich („Auf Ihrer Webseite steht das Wort xyz. dafür mahnen wir Sie lt. Paragraph §§§ ab. Zahlen Sie EUR 123 ein.“).

    Die Sicherheitsdiskussion eskaliert bei uns grundsätzlich. Es treten bei Aussagen wie „u.U. geht Komfort vor absoluter Sicherheit, weil man sonst bekloppt beim Fahren wird“) sofort sadistisch veranlagte Menschen auf den Plan, verlinken Splatterfotos und sagen „so wirst du bald aussehen, wir spachteln dich dann von der Strasse“).
    Keine Regel wird jemals erkennbar machen, wo die Grenze zwischen Leichtsinn zum einen und angstgesteuertem Gehorsam (um nicht zu sagen Perversion) zum anderen zu ziehen ist. Dazu werden wir unsere Intuition, unser Hirn und unser hoffentlich gut entwickeltes soziales Verstaendnis bemühen müssen, sofern das nicht bereits genetisch degeneriert ist, aber nicht das Gesetzbuch. Und das ist viel komplizierter als mal schnell die ueblichen Phrasen zu dreschen.

    So, haetten wir das auch wieder. Alle paar Monate platzt der Hut, dann gehts wieder.

  • Buron meinte am 9. Februar 2013 um 17:15:

    Danke Clemens, danke, danke, danke!

  • Chris Präger meinte am 16. Februar 2013 um 22:58:

    Endlich weiß ich, wie ich 90% der Menschen um mich nennen kann: Rohdiamantenscheißer! Danke Clemens!

  • Thomas Gessner meinte am 17. Februar 2013 um 12:51:

    Die erste Regel lautet … Menschlichkeit. Es ist das Gegenteil von „Sachzwang“ und die schwierige Übung, nicht das Bequeme zu tun, sondern das Richtige.

    Wie nun? Wie kann einer einfach sagen, was das Richtige ist? Haben wir nicht gelernt, das alles relativ ist, alles indivuell und somit „das Richtige“ doch gar nicht existieren kann?

    Es kann, weil der autonome Mensch die Fähigkeit besitzt, sich sein ethisches Gesetz zu geben. Der sich selbst ein Gesetz gebende Mensch ist aber der Gegenpol zu dem, der die Regeln anderer benötigt. Wobei Fremdgesetz und Selbstgesetz in einem guten Gemeinwesen sich nicht entgegenstehen, sondern sich weitgehend überdecken, wenn das Gesetz das Ergebnis eines ethischen Konsenses der Menschen ist.

    Gruss, Thomas

  • “Dies ist nur … ein Netz ohne Zensur.” | MoJomag meinte am 2. September 2013 um 13:30:

    […] das ist eh Pflicht) und ein Mal einen Namen zum Schutz eines Schwachen (denn das ist gemäß der Ersten Regel menschlich fair). Gelegentlich fragt mich jemand, warum ich mich von vollkommen Ahnungslosen auf […]

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert